ZUKUNFT PRENZLAUER BERG

Wir sind Draußen-Kieze

Wie kann ein Prenzlauer Berg sein, in dem sich mit der neuen Gefahr Pandemie leben lässt? Erste nachhaltige Konzepte setzen auf ein Mehr an Freiräumen – und damit auf eine neue Lebensqualität – vom Radweg bis zum Draußen-Labor. Das ist gut für Menschen und Klima. Ideenskizzen.

Raus. Seit dem letzten Juni-Wochenende leert sich Prenzlauer Berg. Wer kann, fährt raus auf die Campingplätze des Umlandes, die unter dem ungewohnten Ansturm stöhnen – oder ins Wochenendhäuschen. Wer mutiger ist, steigt in die Flieger der nun hoch subventionierten Lufthansa nach Griechenland oder Italien. Die Straßen sind leerer, weil die allmählich wieder eintrudelnden TouristInnen den temporären Exodus der EinwohnerInnen nach draußen nicht ausgleichen können. Eigentlich auch mal schön.

Wer nicht raus aus Prenzlauer Berg zieht, verlegt seinen Tag zumindest nach draußen – in die Cafes und in die Grünanlagen, auf die Spielplätze und die Bürgersteige vor der Haustür. Ein Sommer wie jeder andere? Den Aufrufen zum Bäume gießen und Vogeltränken aufstellen; zum Baumscheiben-Bepflanzen und Müll trennen folgend – ja, das könnte ein Sommer wie jeder andere sein. Ist er aber nicht.

Das Virus ist noch da, lauert unsichtbar um uns. Oder sichtbar in den Schlagzeilen der ersten neuen Lockdowns in Berlin und andernorts in Deutschland. Macht uns alle, möglicherweise und zugespitzt, zu potenziellen MörderInnen. Es ist noch da. Auch, wenn wir das an diesen Sommertagen und in diesen hellen Nächten gern vergessen wollen. Und nach dem Schock des komplett stillgelegten öffentlichen Lebens folgen nun Stimmen, wie dieses öffentliche Leben mit dieser oder anderen Pandemien wird umgehen können. 

#Mauerpark #PrenzlauerBerg
Nach Jahrzehnten fertig und gerade zum richtigen Zeitpunkt: Der Mauerpark gibt nun doppelt mehr Platz. Foto: Manuel Frauendorf.

MEHR RAUM

Eine neue Gefahr ist in der Welt, mit der wir leben werden. Die ersten Ideen, wie das möglich ist, ohne neue Shutdowns, lauten: Raus und Raum. DenkerInnen und Kreative verbinden ein Leben mit dem Pandemie-Risiko mit klugen Klimaschutz-Konzepten und mit mehr Lebensqualität in dicht besiedelten Stadtteilen wie Prenzlauer Berg.

Beispiel Eins: Die Draußen-Stadt. Pankow gehört zu den ersten Berliner Bezirken, die sich den Aufruf des Rates der Künste zur „Draußen-Stadt“ zu eigen machen. Kurzfristig bedeutet dies: Kunst, Kultur, Bildung und Veranstaltungen gehen nach draußen, weil sie drinnen noch nicht stattfinden dürfen. Mittelfristig bedeutet dies, in jedem Bezirk Berlins experimentelle Zukunftslabore einzurichten, die neue Formen städtischen Zusammenlebens ausprobieren. Brachen, Plätze und leerstehende Gewerbeflächen stehen Initiativen und Projekten zur Verfügung, die dort Erlebnis- und Lernorte, Aktions- und Bewegungsräume für und mit der Nachbarschaft einrichten können. „Wir brauchen mehr Platz zum Ausprobieren!“ postuliert der Rat der Künste und meint damit auch: Ausprobieren, wie menschliche Nähe und menschliches Miteinander auch im Abstand möglich sind. Da Kreative per se VisionärInnen sind, sind solche Zukunftsmodelle bei Ihnen in guten Händen.

Beispiel Zwei: Mehr Raum für RadlerInnen. Auch in Prenzlauer Berg gibt es seit dem Lockdown mehr und breitere Fahrradwege, die das Radfahren sicherer machen und den Autoverkehr überflüssig. Das neue Berliner Mobilitätsgesetz sieht einen dauerhaften Verbleib dieser Radwege und ihren Ausbau vor. Mehr Raum für klimaneutrale Mobilität also und ein besseres Leben für all diejenigen, die an besonders lauten Straßen wohnen.

#Greifswalder Straße #PrenzlauerBerg
Raum ist auch da, wo er gar nicht auffällt – und nun neu genutzt werden kann: Grünstreifen an der Greifswalder Straße.

MEHR RESPEKT

Beispiel Drei: Größere Sitzflächen. Die notwendig gewordenen Abstände zwischen den Tischen in Cafes und Restaurants sind schon fast zu einer beliebten Normalität geworden. Fremde bedrängen sich nicht gegenseitig, wie sonst in überfüllten Sommer-Biergärten. Dass sich GastronomInnen mit ihren Tischen weiter in den Straßenraum ausdehnen können, um das Gäste-Manko auszugleichen, ist eine schöne, unkomplizierte Form des Raum-Schaffens. Parkbuchten, unattraktive Nischen oder Abstellplätze werden zu lebendigen Orten. Das kann so bleiben. Wenn die Nachbarschaft mitspielt. Diese muss nämlich der gastronomischen Ausweitung zustimmen – und das ist in Prenzlauer Berg nicht überall der Fall. Für mehr und dauerhafte Sitzflächen braucht es also auch ein Mehr an Respekt und Toleranz.

#ArnswalderPlatz #PrenzlauerBerg
Mehr Raum, größere Abstände sind auch in Nicht-Corona-Zeiten ein Zeichen von mehr Lebensqualität. Fotos (2): al

MEHR GRÜN

Beispiel Vier: Mehr Grün. Das beste Draußen ist grün. In den Parks und Grünanlagen ist Raum und gutes Klima zugleich. Das betonen nachhaltige Stadtplanende seit Jahren; jetzt umso mehr. Und pünktlich zu dieser Idee erhält Prenzlauer Berg mehr Grün. Seit Ende Juni ist der Mauerpark doppelt so groß. Über 25 Jahre nach den ersten Plänen, den ehemaligen Grenzstreifen zwischen Wedding und Prenzlauer Berg zur grünen Oase für alle zu machen, ist dies nun Realität. Ein 15 Hektar großer Park verbindet beide Stadtbezirke. Das neue Gelände mit Wiesen, Spielflächen, Platanenalleen soll ein ruhiges Gegenstück zum quirligen Alt-Park mit Flohmarkt und Karaoke sein. 

Der Mauerpark mit mehr Raum für viele Bedürfnisse – eine schöne Idee, die sich in der Realität bewähren sollte. Und wir erinnern uns: Damit das neue Grün in Richtung West wachsen konnte, wurde dem alten Grün eine Fläche von 3,5 Hektar genommen: Für das neue Groth’sche Wohnquartier nördlich der Jugendfarm Moritzhof. Deren GründerInnen waren kurz nach dem Mauerfall die ersten, die den ehemaligen Todesstreifen mit neuem, grünen Leben erfüllten. Die „Freunde des Mauerparks“ folgten einige Jahre später mit unermüdlichem Engagement für die große Fläche. „Wir hoffen, dass auch die Kultur des Lebens im Mauerpark sich erhält und weiterwächst und immer wieder im gemeinsamen Miteinander entsteht.“, so wünscht es sich die Initiative. Und dieser Wunsch kann nun auch für ein Leben mit mehr Raum und mehr Draußen für weniger Pandemie-Gefahr gelten.

Katharina Fial,  Juli 2020