MENSCHEN IN PRENZLAUER BERG

Das Speaker-Paar

Was machen Menschen so, die in Prenzlauer Berg leben? Familie haben - vielleicht in der Patchwork-Variante. Hobbies pflegen - vielleicht ausgefallene. In Jobs arbeiten, die sie möglicherweise ausfüllen. Nadja und Tim Löhr verbinden dies alles irgendwie zu kurzen Lebensgeschichten, die sie gern öffentlich erzählen.

Reden ist, so profan das klingen mag, tatsächlich eine Kunst. Wie Schreiben, Filmen, Kochen. Keine PolitikerIn, die sich nicht in Rhetorik-Kursen schult. Keine SchauspielerIn, die nicht täglich Sprechübungen macht. Und in unseren digitalen und medialen Zeiten brilliert, wer gut reden kann. 

Die Wertschätzung der Rede ist uralt. Spätestens im antiken Griechenland, als es die Schrift noch nicht gab, wurde die Rede zur Kunst stilisiert. Bereits im Athener Parlament der vorchristlichen Zeit überzeugten die rhetorisch besten Politiker. Und von Homer, dem Dichter heißt es, er habe seine ZuhörerInnen zu Tränen gerührt oder in Angst und Schrecken versetzt. Je nachdem, welche Passage aus der Odyssee er vortrug. 

Große Worte braucht es zum Reden nicht unbedingt. Wohl eher: Den Impuls, gern zu reden. Und möglicherweise auch: Eine gute Geschichte zum Erzählen zu haben. Reden gehört zu den Leidenschaften des Paares Nadja und Tim Löhr. Sie nutzen es beruflich, sie machen es auch in ihrer Freizeit. Das ist vielleicht zunächst nichts Ungewöhnliches. Für die Löhrs indes schon. Sie haben mit ihrer Rede-Lust einen ersten Preis gewonnen. Einen Preis des Internationalen Speaker Slam 2020, vor kurzem in Berlin ausgetragen.

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Reden gern und gewannen mit ihrer gemeinsamen Rede den Speaker Slam: Nadja und Tim Löhr.

ZWEI UR-BERLINER*INNEN

Nadja Löhr leitet eine Eventagentur. Vor 40 Jahren ist sie in Berlin geboren. Sie gehört – wie Tim – zu den wenigen Menschen, die tatsächlich in Berlin geboren sind. Zum Studium der Sozialwissenschaft ging sie nach Bochum. Kehrte dann nach Berlin zurück. Nadja gilt als hochsensibel, als Mensch mit starken Wahrnehmungen. „Nadja ist unglaublich im Sehen und Erfassen von Motivationen, Bedürfnissen und Gefühlen von Menschen.“, sagt ihr Mann Tim über sie. Der ist Werbefilmer. Hat in seiner Geburtsstadt Berlin Kommunikation studiert. Und ist, so sagt seine Frau Nadja über ihn, „ein Meister darin, Dinge und Situationen so zu beschreiben, dass sie fühlbare Bilderwelten aufmachen.“ Klingt so, als hätten die beiden auch Lust, mit ihren Worten andere Menschen zu erreichen.

Kennengelernt haben sich Nadja und Tim Löhr in einer Sauna. Das ist noch gar nicht so lange her. Beide waren zu der Zeit frustriert, hatten gescheiterte Beziehungen hinter sich. Sie tauschten ihre Telefonnummern. Dann ging es doch recht schnell. Inzwischen lebt das Paar, beide um die 40, mit drei Söhnen als Patchwork-Familie in der Schönhauser Allee.

 

DAS REDE-DUO

Für ihre Teilnahme beim Speaker Slam wählten sie die Geschichte ihres Kennenlernens aus. Denn die  erzählen sie gern öffentlich. Auch, weil die Geschichte eine Pointe hat, die beiden viel bedeutet. 

Der Internationale Contest Speaker Slam fand nach Stationen in New York, Wien, Hamburg, Stuttgart und München im Jahr 2020 erstmals in Berlin statt. Vereinte 73 redende KandidatInnen aus sieben Nationen vor Publikum und vor einer Jury, die größtenteils aus der Kommunikations- und Sprech-Branche stammt. Wie bei Poetry Slams oder Science Slams geht es auch bei diesem Contest darum, mit der eigenen Performance zu überzeugen. Nur eben mit Schwerpunkt Rhetorik. 

Was sie erzählen wollen, können die KandidatInnen frei wählen. Es kann ein Thema aus dem beruflichen Alltag ebenso sein wie ein privates Thema. Entsprechend unterschiedlich sind auch die Teilnehmenden: Naturwissenschaftler redet neben Seminarleiterin, Lebenskünstlerin neben Beamten. Gilt für das Themen-Spektrum freie Wahl, ist die Rede-Zeit indes begrenzt. Um ihre Geschichten zu erzählen, haben alle KandidatInnen exakt vier Minuten Zeit. Dann wird das Mikrophon abgeschaltet. 

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Das Paar auf der Slam-Bühne: Beziehungsgeschichte in vier Minuten. Fotos (2): Nadja und Tim Löhr

Nadja und Tim Löhr traten beim Speaker Slam als Paar auf. Das ist eher ungewöhnlich. In der Regel gehen die SpeakerInnen solo auf die Bühne und performen die vier Minuten allein. Die beiden erzählten die Geschichte ihres Kennenlernens abwechselnd – gewissermaßen im rhetorischen Duett. „ Wir haben die Bühne gerockt“, zeigt sich Tim Löhr danach stolz. Und ebenso stolz verkündet er, dass erstmals ein Paar aus Prenzlauer Berg eine Internationale Speakers-Trophäe gewonnen hat. Die ist eine goldene Stele, rund 30 Zentimeter hoch. Ein ideeller Gewinn – verbunden mit dem schönen Gefühl des Sieges, das Nadja und Tim Löhr nun gern auskosten. Denn früher sei sie eher schüchtern gewesen, so Nadja Löhr. Jetzt sei sie eine richtige Rampensau, bescheinigt ihr Tim Löhr. Die Jury überzeugte bei der Rede-Performance der beiden, dass es sich um „Typen handelt, die in Erinnerung bleiben“.

 

DIE SCHÖNEN MINUTEN

Bleibt noch die Frage nach der Pointe ihres Kennenlernens, die beiden so viel bedeutet. Es ist die Frage, wer damals nach dem ersten Treffen in der Sauna wen angerufen hat. Es war Nadja, die zum Telefon griff. Auch, wenn sie eine Weile mit sich gerungen habe, ob sie sich damit nicht lächerlich macht. Auch das erzählte sie beim Speaker Slam. Für Tim war das Ganze nur folgerichtig. Denn als positiver Mensch setzt er noch eine weitere Pointe auf ihre Kennenlern-Geschichte: Aus beider vorhergegangener schlechter Beziehung wurde eine gute.

Aus Schlechtem was Gutes werden zu lassen – diese Erfahrung hat das Paar noch auf eine andere Idee gebracht. Sie sammeln seit einigen Monaten auch Minuten, schöne Minuten. Momente, in denen aus etwas vermeintlich Schlechtem etwas Gutes wurde. Sie sammeln sie, gewissermaßen als Guthaben für Krisen-Zeiten.

Katharina Fial, Dez. 2020