WAS MENSCHEN IN PRENZLAUER BERG SO TREIBEN

Mit Ratte und Co die Vielfalt der Welt entdecken

In einem Erdgeschoss-Büro nahe den S-Bahngleisen an der Schönhauser Allee sitzen zwei junge Frauen und bringen Menschen dazu, ihren Lebensraum und ihre Welt zu entdecken. Mit kleinen Erkundungs-Heften und einer Weisheit, die ins Format einer Schnitzeljagd passt.

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Nimmt mit auf Entdeckungstour: Fred, die Ratte.

Diese Berliner Ratte müssen Menschen einfach mögen. Egal, ob sie auf dem Tisch in einem Gemeinschaftsraum in der Pappelallee sitzt, schnuppernd von einem Plakat blinzelt oder sich hinter einer der Märchenfiguren im Volkspark Friedrichshain versteckt. Den Sympathiefaktor hat der Ratte ihre Schöpferin Antje Geyer ins rauh-graue Fell gestaltet. Und eine freche Lebendigkeit: Die 40 Zentimeter große Figur kann Kopf, Arme und Beine bewegen und auch ihre Schnurrhaare vibrieren, wenn sie durch die Bewegung zu leben beginnt.
Antje Geyer, die Kommunikationsdesignerin, hat früher an Filmanimationen mitgearbeitet. Deren Grundphilosopie, dass Menschen mit Hilfe wundersamer Figuren zu verführen sind, die bringt sie für ihre gegenwärtige Arbeit beim Verein „Pindacticta“ mit.
Und so ist auch das Logo des Vereins eine Figur: Ein Schiff mit menschlichen Beinen, die in die Welt marschieren. Das Schiff ist die gezeichnete Variante des ersten Schiffes von Welten-Erkunder Christoph Kolumbus, „Pinta“. Die menschlichen Beine darin könnten allen gehören, die sich solcher Entdeckungslust anschließen. Loslaufen oder -schippern, mit geöffneten Augen und geschärften Sinnen auf der Suche nach Neuem und Wissenswertem sein – dazu tragen die Entdeckerhefte des Vereins „Pindadicta“ bei. Gemeinsam mit der Germanistin und Museumspädagogin Nadja Israel hat Antje Geyer ihn vor drei Jahren gegründet, inzwischen haben sich immer mehr Menschen verschiedener Berufe und Sparten angeschlossen. „Lernen kann man überall“, sagt Nadja Israel. Die Entdeckerhefte sind kluge und spielerische Anleitungen zum Erkunden und Lernen unterschiedlichster Orte, Tiere, Lebensweisen. Sie nehmen ihren Ursprung in einem Erdgeschoss in Prenzlauer Berg, in einem Gemeinschaftsraum eines Genossenschaftsbaus unweit der S-Bahngleise der Ringbahn. Hier werden sie ersonnen, diskutiert, geprüft. Von hier aus reisen sie nach ganz Deutschland.

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Wissen auf spielerische Weise vermitteln Nadja Israel (links) und Antje Geyer vom Verein „Pindadicta“.

Fred, die Ratte, begleitet durch zwei der Entdeckerhefte und auf den geführten Entdeckungstouren, die Geyer und Israel ergänzend dazu anbieten. Es stecken ja nicht nur Witz und Schabernack, es steckt auch ganz viel Weisheit hinter den Rattenohren. Fred kennt sich im Volkspark Friedrichshain ebenso aus wie in den Mülltonnen Berlins. Er weiß, was ein Hautflügler ist, beispielsweise, oder wie Müll richtig zu sortieren ist. Er lässt in den entsprechenden Heften „Rallye durch den Park“ und „Müllpomüll“ sein Wissen aufblitzen und verführt Kinder und Familien dazu, sich dieses Wissen anzueignen. Durch Beobachtung, Suchen, Fragen in der realen Umwelt – weniger durch Mausklicks ins Internet.
Wer zum erlebenden Lernen verführen will, braucht neben spielerischer Phantasie auch selbst Lust, Neues zu entdecken. „Wenn wir uns neuen Themen widmen, dann gehen wir als Autodidakten ran. So wissen wir auch, wo die Knackpunkte sind“, sagt Antje Geyer. Ihre Wissbegier und Recherche führt sie zu Experten, die ihre Fragen beantworten und die Hefte mit ihrem Fachwissen gegenchecken. Überhaupt sind die Publikationen Teamarbeiten: Neben den beiden Frauen arbeitet eine sechs- bis siebenköpfige Gruppe von jeweiligen Fachleuten, Textern, Gestaltern an den A-5-formatigen Publikationen. Unzählige Brainstormings und Projektsitzungen folgen auf die  umfangreiche Vorbereitungszeit, mit der Anträge erarbeitet werden, um Finanzierungsquellen zu erschließen. Die meisten der Entdeckerhefte werden von Stiftungen und Fonds gefördert, die sich den jeweiligen Themen verschrieben haben.
Begonnen hat die gemeinsame Lust von Antje Geyer und Nadja Israel, zum Entdecken von Wissen zu verführen, während eines Museumsprojektes an der Nordsee. Die Frage, wie Kinder für Kunst zu begeistern sind, führte zur Methodik des spielerischen Suchens und Entdeckens. „Das war unsere Aufgabe: Wie bringt man Kinder dazu, sich einen Max Liebermann länger als drei Minuten anzuschauen?“, erzählt Nadja Israel. Eine der Antworten: „Zum Beispiel, in dem man sie zählen lässt, wieviele Frauen es auf seinen  Bildern gibt“.

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Hier geht’s auf Entdeckungstour: Der Verein „Pindadicta“ sitzt in der Pappelallee. Fotos (3): al

„Pindadicta“-Hefte sind in erster Linie individuelle Begleiter für Familien, die sich auf Schnitzeljagd in die Wissenswelt begeben wollen. Das neueste Produkt wendet sich an Lehrerinnen und Lehrer und ist eine spielerische Hilfe für den Unterricht in der Grundschule. Auch hier gibt es wieder eine Figur, ein Urzeit-Wesen namens Tiktaalik, halb Fisch, halb Krokodil, das den Kindern Wesentliches über die Evolution vermittelt. In Rätseln, Spielen und Experimenten erfahren sie, wie Leben sich verändert und welche Bedingungen es dafür braucht. Für das Material, das wie ein Modulbaukasten nutzbar ist,  hat der Verein „Pindactica“ gerade einen ersten Preis der Wissenschaftsvereinigung EvoKids gewonnen. „Hier liegt ein innovatives und hervorragendes Konzept vor, das den ersten Preis völlig verdient hat und ihn deshalb auch erhält.”, begründeten die Wissenschaftler ihre Wahl.
„Pindadictas“ Entdeckungen führen quer durch die Welt und doch entlang von Lehrplänen und -inhalten. Sie erkunden das, was Geyer, Israel und die MitmacherInnen selbst gern wissen wollen: Hefte über Bienen sind ebenso entstanden wie das über Müll und Recycling, ein U-Bahn-Museum oder eben den Volkspark Friedrichshain. Sie alle locken raus aus den Wohnungen und raus aus den Klassenzimmern, laden zum Spielen, Bewegen, Lernen. Ähnlich wie Ratte Fred mit einer Schnitzeljagd durch den Park, so führt das Hasenmädchen Elfie durch die Hasenheide. Demnächst wird es ein Heft geben, mit dem sich Entdeckungslustige auf die Spuren von Wildtieren in der Stadt begeben können. Antje Geyer und Nadja Israel recherchieren gerade das wilde Großstadtleben. Ein Geheimnis ist indes noch, welche neugierige Figur sie dabei begleiten wird.
Katharina Fial (Dezember 2015)
Mehr auf: www.pindactica.de