PRENZLAUER BERG ZUM JAHRESBEGINN

Höhenflüge

Mieterängste und Stadtentwicklung, Freiraum-Forderungen und ein klitzekleiner Hauch von Utopien werden auch in diesem neuen Jahr die Themen und Atmosphäre von Prenzlauer Berg bestimmen. Ein rückblickender Ausblick.

 

Das neue Programm des Zeiss-Planetariums beginnt mit einem Abflug. Ein animiertes Flugzeug rollt über eine nächtlich erleuchtete Startbahn, wird schneller und schneller und startet dann in den großstädtischen Himmel. Es taucht wieder herab und durchrast Straßen, Plätze und Dächer von Berlin, begleitet von immer schneller werdenden synthetischen Klängen. Die Grenzen verschwimmen: irgendwann scheint die Stadt selbst zu rasen. Ein Zeitraffer macht Straßenbahnen und Menschen, Lichter und Gebäude immer schneller und schneller. Dann hebt das Fluggerät ab in den Himmel, in die Sterne, in den Kosmos. Das Tempo der Großstadt verliert sich in den Weiten des Alls.

Nachtflug SFB Berlin Prenzlauer Berg
Nachts wirkt alles leichter: Das neue Programm „Nachtflug“ im Planetarium lädt zum Abheben. Foto: SPB

Das Zeiss-Planetarium hat sich seit seiner Wiedereröffnung im August 2016 zu einem Ort verdichtet, der Raum gibt für neues Wissen, für Kunst und Gesellschafts-Debatten. Digitale Technik, Bilder und Klänge verweben sich zur Erkenntnis-Atmosphäre. So intensiv, so dicht, so schnell, dass sie manchmal schwindelig machen kann. Ein Wirbel der Utopien.

Rundum, in den Stadtteil-Grenzen zwischen Bornholmer Straße und Prenzlauer Berg, zwischen Schönhauser und Greifswalder, bestimmten im zurückliegenden Jahr 2018 alltägliche Debatten und Diskussionen die Atmosphäre – die alltäglichen Sorgen von Mietern, die nach dem Verkauf ihrer Häuser um ihre Existenz bangen; die Ängste von Radfahrern vor dem nächsten Verkehrstoten; die Fürsorge von Anwohnern um durstende Vögel und vertrocknende Pflanzen im nicht enden wollenden Hitzesommer. Die Spannbreite zwischen internationaler Strahlkraft und fürsorglicher Provinz, zwischen Aufbruch und heimatlicher Identität, die inzwischen so typisch ist für den Prenzlauer Berg. Und es, nach allem, was wir wissen, auch im neuen Jahr 2019 bleiben wird. Dem Jahr immerhin, da sich zum 30. Mal ein weltveränderndes Schauspiel jährt: Die Öffnung der Grenze zwischen Ost und West; just hier: auf der Bornholmer Brücke. 

 

WÜNSCHE FÜRS WACHSTUM

 „Wir bauen einem Trend hinterher, den wir nicht entspannt kriegen“, sagt Bezirksbürgermeister  Sören Benn. Pankow ist immer noch der größte und am stärksten wachsende Bezirk Berlins. Wie und wo wohnen, unter welchen Bedingungen und zu welchen Preisen – diese Frage wird auch 2019 zu einer der meistdiskutiertesten gehören. Um Ausmaß und Profil des neuen Wohnquartiers an der Michelangelostraße etwa ringen Bezirksamt und der Verein für Lebensqualität erneut am Runden Tisch – 1.500 neue Wohnungen oder 650, wie sie der Verein fordert? Wie soll Verdichtung gelingen und trotzdem Freiraum für alte und neue Bewohnerinnen und Bewohner bleiben? Und wie gelingt es, auch die anderen Kieze vor weiterer Verdrängung angestammter Mieter und Gewerbe zu bewahren? Abwendungsvereinbarung für Abwendungsvereinbarung ringt der Bezirk den Käufern von Immobilien im Bötzow- oder Kollwitz-Kiez, in der Gleimstraße oder Christinenstraße einen Bestandsschutz zumindest für einige Jahre ab. Vorkaufsrecht um Vorkaufsrecht stemmt er sich gegen den wirtschaftlichen Trend, der aus Immobilien immer größeres Wertkapital macht – und dabei die Menschen vergisst. Es ist ein zähes Ringen, Rückschläge einbegriffen.

Kinder Freiräume, Berlin Prenzlauer Berg
Kinder brauchen Freiräume, und nicht nur die: es wird enger in Prenzlauer Berg.

SCHNELLERER TAKT IM GEDRÄNGEL

Dem Stadtteil wächst mit dem Wachstum auch die Verkehrsfrage weiter über den Kopf. Kurz vor Jahresende startete die Bezirkspolitik Vorschläge, wie der Nahverkehr verbessert werden kann – passend zum berlinweiten Konzept des Senats, das den Zeitraum 2019 bis 2023 im Blick hat. Kürzere Taktzeiten auf den U- und S-Bahnlinien und längere Züge sollen vor allem in der Rushhour Entspannung bringen. Und natürlich der weitere Ausbau sicherer Radwege, ins Rollen gebracht durch die Initiativen für eine fahrradfreundliche Stadt.

Dem irdischen Gedrängel auf den Straßen und in den Zügen folgt das Gedrängel in den Online-Warteschlangen für Behörden-Termine. Die Verwaltungsarbeit sucht der Bezirk mit immer weniger Personal zu bewältigen, weil er seine offenen Stellen nicht besetzt bekommt. 

Daneben steht ein schöner, zumindest gedanklicher Höhenflug. Die Bibliothek am Wasserturm, ein ähnliches kulturelles Kleinod wie das Planetarium, hat vor kurzem eine Reihe zu Utopien gestartet: In den Gesprächsrunden „Zur Zukunft unserer Welt, wie sei sein könnte und sein sollte“ werden die großen Fragen diskutiert. Nach Energiewende und Finanzsystemen geht es in diesem Jahr um Digitalisierung, Bevölkerungspolitik und soziale Gerechtigkeit.

Grellstraße, Berlin Prenzlauer Berg
Eine der Dauerbaustellen in Prenzlauer Berg: In der Wohnanlage Grellstraße machen MieterInnen für bezahlbares Wohnen mobil. Fotos (2): al

SELBST GESCHAFFENE FREIRÄUME

Wie die Welt – konkret in Pankow und Prenzlauer Berg künftig sein könnte – nimmt eine der zahlreichen jungen neuen Bürgerinitiativen in die Hand. Der Verein „Kiezinseln“ sorgt sich um den Zustand der Spiel- und Freiflächen in ganz Pankow, arbeitet an einem Konzept für Spielräume im Bezirk und hat eine erste Wunschliste an das Bezirksamt übergeben. Allein zehn Spielplätze in Prenzlauer Berg sind in einem so desaströsen Zustand, dass sie gesperrt werden müssen. Weil Geld und Personal fehlen, wollen die engagierten Eltern nun selbst mit anfassen. Ganz oben auf der Wunschliste steht eine schöne greifbare Utopie: „Kinder brauchen keine teuren Spielgeräte, sondern vor allem Freiräume“.

-al-,  Jan. 2019