LEBENSMODELLE IN PRENZLAUER BERG

„Wir sind die Regenbogen-Familie“

Zeitung Prenzlauer Berg MagazinPrenzlauer Berg wird internationaler. Der Stadtteil, dessen Anteil an Nicht-Deutschen unter dem berlinweiten Durchschnitt liegt, holt auf. Es sind vor allem junge, gut ausgebildete Menschen, die ihn zu ihrem neuen dauerhafte
Familienleben via Skype: Weil Krithika gerade in Indien ist, werden die Alltagsthemen virtuell besprochen.

Prenzlauer Berg wird internationaler. Der Stadtteil, dessen Anteil an Nicht-Deutschen unter dem berlinweiten Durchschnitt liegt, holt auf. Es sind vor allem junge, gut ausgebildete Menschen, die ihn zu ihrem neuen dauerhaften oder zeitweiligen Lebensmittelpunkt machen. Eine Begegnung im Mix dreier Kontinente.

Krithika und Fabricio sind das, was man Kosmopoliten nennt. Sie, gebürtige Inderin, und er, gebürtiger Brasilianer, lernten sich irgendwo auf der Welt während eines gemeinsamen Projekts kennen und lieben. Fortan reisten sie zehn Jahre gemeinsam durch die Welt, pendelten beruflich zwischen Brasilien und Indien – Luftlinie 15.000 Kilometer - machten immer wieder Zwischenstopp in Prenzlauer Berg.
Ihre Kinder wurden auf diesen Zwischenstopps in Prenzlauer Berg geboren, reisten fortan mit ihren Eltern mit. Ein Familienleben im Transitraum - dreier Ländern, dreier Kulturen, dreier Sprachen. Ein Leben zwischen den Gegensätzen der Kulturen – Armut und Reichtum, demokratische Freiheit und Standes-Zwänge, Diskriminierung und Gleichberechtigung.
„Hier, in Prenzlauer Berg, begegnen sich die Menschen auf Augenhöhe. Bei den Eltern auf dem Spielplatz spielt es keine Rolle, wieviel Geld sie haben oder zu welcher Schicht sie gehören“, sagt Fabricio. Das mag für Prenzlauer Berger Gentrifizierungs-Geschädigte zunächst befremdlich klingen, für Fabricio ist es ein zuvor ungekannter Standard, den er genießt.

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Der Regenbogen-Vater: Fabricio ist gebürtiger Brasilianer.

Die fremde Sicht, die über vermeintlich Normales staunen kann und es wertschätzt, die verschiedenen Sprachen und Lebensweisen gehören zu jener Realität gewordenen „Vielfalt in Pankow“, die eine gleichnamige Studie des Bezirksamtes nun auch öffentlich propagieren will. Wahrnehmung und Infrastruktur hinken der tatsächlichen Internationalität hinterher. Dabei könnte, so die Studie, der gesamte Bezirk Pankow paradigmatisch für eine moderne Einwandererstadt stehen. Nun denn. Schon längst wird in Supermärkten, Restaurants und Kitas neben Deutsch auch Englisch, Spanisch, Italienisch gesprochen.
„Deutsch“ sagt die zehnjährige Raven auf die Frage, welche ihrer drei Sprachen sie am liebsten spricht. „Deutsch, weil wir hier in Deutschland sind.“ Mit Vater Fabricio spricht sie portugiesisch, mit der Mutter englisch. Mit den Freunden, in der Schule, im Alltag spricht sie deutsch. Im Schulfach  Deutsch hat sie eine Eins.
Die Internationalität und Weltoffenheit in Prenzlauer Berg sei der Grund gewesen, warum sich die Familie ausgerechnet hier niedergelassen hat, sagt ihr Vater Fabricio. Nicht in Kreuzberg, nicht in London oder Paris. „Hier ist das Leben bunt. In Kreuzberg ist es vor allem türkisch und alternativ“, sagt Fabricio. Und Krithika ergänzt: „Wir haben in der ganzen Welt gelebt. Aber immer, wenn wir nach Prenzlauer Berg gekommen sind, war das wie Nachhause-Kommen.“ Eines ihrer Kinder, so will es die Familien-Legende, kam im Mauerpark zur Welt.
Die Entscheidung, das permanente Reisen aufzugeben und sesshaft zu werden, traf die Familie, als die Kinder allmählich ins Schulalter kamen. „Wir wollten,  dass sie normal aufwachsen.“ Die größeren der fünf Kinder haben in ihrem Leben mehr Länder, Menschen und Lebensweisen gesehen als manche Erwachsene. In welchem Umfeld, in welcher Schule konnten sie weiter aufwachsen, ohne Außenseiter zu sein?
Lange suchten Krithika und Fabricio nach einem geeigneten Ort. In der Schule am Senefelder Platz wurde die Familie fündig. Die Atmosphäre ist von Internationalität geprägt und tolerant, rund ein Drittel der Eltern sind binationale Paare. Der Kiez rundum wurde ihr Heimat-Kiez. Hier betreiben sie ihren kleinen Spezialitäten-Laden, den Menschen aus ganz Berlin und der ganzen Welt besuchen.

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Uraltes Ritual für jeden Gast: Mit Besuch trinkt die Familie Mate-Tee. Fotos (3): al

Gerade kommt eine junge Frau zu Besuch, die mit Krithika und Fabricio vor vielen Jahren an einer Montessouri-Schule in Brasilien gearbeitet hat. Die Kinder erkennt sie kaum, so groß sind sie geworden. Auch die junge Frau lebt seit kurzem in Berlin. Für den Gast wird Mate-Tee gekocht und nach uraltem Indianer-Ritual getrunken. Aus einem einzigen Gefäß, das im Kreis weitergereicht wird. „Die Indianer kennen weder Eigentum noch Hierarchie“, sagt Fabricio. Entsprechend kreise der eine gemeinsame Mate-Krug reihum zwischen allen.  
Das Alltagsleben der Familie birgt viele solcher internationaler Kleinode. Ihr kosmopolitischer Lebensweg hat sie auch auf unterschiedliche Berufswege geführt. Krithika hat Journalismus studiert und in den Vereinigten Staaten gearbeitet. Ihre Großmutter war die erste Journalistin überhaupt in Indien. Fabricio arbeitete in der Marketing-Abteilung einer großen Firma. Dann machten sie gemeinsame Projekte für Frauen und für Arme auf ihren beiden Heimat-Kontinenten. Nun also betreiben sie einen kleinen Laden und einen Handel, der mehreren Bauernfamilien in Südamerika den Lebensunterhalt sichert. Mit fairen Vertragsbedingungen und dem Garant heimischer Anbau-Vielfalt.
Noch eine Besucherin kommt zur Familie in den kleinen Laden, während sich Sohn Raiz mit seiner kleinen Schwester in Indien via Skype unterhält. Sie ist mit ihrer Mutter derzeit bei den Eltern nahe Mumbay zu Besuch. Sie reisen eben immer noch, wenngleich nicht mehr so viel wie früher. Ihre Angehörigen sind über die ganze Welt verstreut, und das Geschäft verlangt nach Handelsreisen.
Der neue Gast im Laden wird auf portugiesisch begrüßt, es ist das neue Kindermädchen, mit dem die Kinder auch künftig portugiesisch sprechen werden, um diese Sprache zu trainieren. Gleich werden sie gemeinsam für alle Essen kochen, auch für den deutschen Praktikanten, einem Schulkameraden von Raven, der seit einiger Zeit im Laden aushilft.
„Irgendwie ist es hier wie ein Dorf“, sagt Fabricio und meint die Atmosphäre im Laden und im Kiez. Ein kosmopolitisches Dorf. Nachbarn und Freunde nennen die Indisch-Brasilianer „Die Regenbogen-Familie“, weil Krithika und Fabian gern bunt gestreifte Strickjacken tragen. Inzwischen ist den Kindern das kunterbunte Aussehen ihrer Eltern nicht mehr peinlich.
Katharina Fial (März 2015)