TEUTE-KIEZ

Auch Kinder zeichnen Architektur

Das Tchoban Museum am Teutoburger Platz ist eine einzigartige Institution. Es bewahrt Architekturzeichnungen und zeigt Handgezeichnetes aus aller Welt. Jetzt können dort auch Kinder ihre eigenen Bauten zeichnen.

 

Die Intention seiner Sammlung beginnt Stifter Sergej Tchoban mit einer Frage: Welcher Architekt beherrscht noch die Kunst der Handzeichnung? Kaum ein Architekt versuche im 21. Jahrhundert seinen Bauherrn mit Skizzen oder Perspektiven von seinen Entwürfen zu überzeugen. Aus Tchobans Sicht indes ist es für Architekten, für das Finden von Formen und Proportionen der zu entwerfenden Gebäude essenziell, die Gedanken über die zeichnende Hand auf dem Papier zu fixieren.

Insofern versteht sich das 2009 gegründete Architekturmuseum der Tchoban Foundation als inspirierendes, bewahrendes Museum – für die Forschung und alle an Architektur Interessierten. Dazu gibt es einen umfangreichen Bestand, eine Präsenzbibliothek und wechselnde Ausstellungen. Das Museum selbst präsentiert sich als viergeschossiger Massivbau mit einem gläsernen Staffelgeschoss auf dem Gelände der einstigen Pfefferberg-Brauerei. Massiv, doch transparent, denn die ausgeklügelte Bauform und das Glas vermitteln Leichtigkeit – wie beim Zeichnen.

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Der Bau des Tchoban-Museums fügt sich in das Areal auf dem Pfefferberg. Foto: al

Kurse in Freihandzeichnen

Seit kurzem können sich im Museum auch Kinder in der Kunst des Architektur-Zeichnens erproben. Neue Angebote richten sich an Drei- bis 18-Jährige. Auf spielerische Weise können sie die Welt der Architektur und der Architekturzeichnung entdecken. „Ich Striche, Du Kreise“ heißt etwa ein Kurs für Kita-Kinder. Mit farbenfrohen Architekturzeichnungen wird gepuzzelt, Bildergeschichten werden erzählt, und mit Bauklötzen Formen entdeckt. Ältere Kinder können die Form des Museums bunt ausmalen. An die Neun- bis 18-Jährigen wendet sich der Kurs „Zeichen und Bauen – Kinder entdecken Architektur!“ Nach einer Einführung in die Architekturgeschichte können die Teilnehmenden Freihandzeichnen und Skizzieren ausprobieren. Sie schulen so ihr architektonisches und räumliches Empfinden.

 

Revolutionäre Zeichnungen

Die neue Ausstellung des Hauses indes führt in die ehemalige Sowjetunion der 1980er Jahre. „Zentrifugale Tendenzen: Tallinn – Moskau – Nowosibirsk“ steht in einer Reihe der Expositionen, die gesellschaftskritische, revolutionäre Denkansätze in der modernen Architektur zum Gegenstand haben. Die am 6. Oktober öffnende Ausstellung zeigt Papierarchitektur. Dieser Begriff wurde in den 1980ern durch den Architekten, Kurator und  Protagonisten dieser Bewegung, Juri Awwakumow, geprägt. Er wird oft als Synonym für nicht realisierte, lediglich für die Schublade geplante, Bauvorhaben benutzt. Doch verbirgt sich hinter der Papierarchitektur vor allem eine Architekturbewegung, die als Protest gegen die Routine der staatlichen Planungsbüros entstanden ist. 

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Die Ausstellung „Zentrifugale Tendenzen“ präsentiert Papierarchitektur. Foto: Tchoban

Ende der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre herrschte in der Baukunst der Breschnew-Ära Stagnation und Planungsroutine. Bauten entstanden in jener Zeit in der Eintönigkeit von Kombinaten und Massenproduktionen. Die Papierarchitektur protestierte gegen diese korrupte und unbewegliche Staatsarchitektur und war ein Zufluchtsort für neue Ideen, Methoden und Denkansätze. Schnell breitete sie sich unter den jungen Studierenden und Absolventen aus. Es ging dabei weniger um die Realisierung des Entworfenen, es ging um den Freiraum der Kreativität – die oftmals nur auf dem Papier blieb. Papierarchitektur verbindet die Idee, aus der Routine auszubrechen, etwas Neues zu wagen, kühne Projekte zu entwickeln, die sich mit den Themen Umweltveränderung, Autorität und Technologie auseinandersetzen. In der Sowjetunion gehörte Papierarchitektur damit zur Kultur, die den Zusammenbruch des totalitären Systems einläutete und als einer der ersten Vorboten des kommenden gesellschaftlichen Wandelns diente.

Die Ausstellung präsentiert etwa fünfzig Zeichnungen, die sich in drei Gruppen untergliedern lassen: die Tallinner Schule, die Papierarchitektur aus Moskau und die aus Nowosibirsk. Zu sehen sind Werke namhafter Künstler. Die gezeigten Arbeiten präsentieren die ganze Vielfalt der Papierarchitektur: von den melancholischen philosophischen Radierungen von Alexander Brodsky, die eher an Buchillustrationen als an Architekturpräsentationen denken lassen, über fantasievolle Arbeiten von Juri Awwakumow und Ewgeni Pestow, die an das Architekturerbe der 1920er erinnern, bis zu den grafisch prägnanten Blättern von Leonhard Lapin. Die vorgestellten Arbeiten sind Fantasien und erheben keinen Anspruch, je errichtet zu werden oder ein Schlüssel zur Lösung menschlicher Probleme zu werden.

-al-, Oktober 2017

Mehr auf: www.tchoban-foundation.de