KINDERTRAUERGRUPPEN

Das eigene Abschiednehmen

In Kindertrauergruppen haben Kinder einen eigenen Ort, den Tod geliebter Menschen zu akzeptieren und loszulassen. Sie sind mit ihrem Verlust von Mutter, Vater oder Geschwistern unter Gleichen. Welchen Raum braucht Trauer, welchen Raum der Tod?

 

Es beginnt und es endet mit einem Ritual. Das erste Ritual ist eine Frage zu sich selbst zunächst: Wie geht es Dir heute? Am Ende eine Frage zu dem Menschen, der verstorben ist: Welche Erinnerungen gibt es an diesen Menschen? Eines der Kinder stellt die Frage, reihum antworten alle. Das eigene Befinden wird zum Thema, wird aufgehoben in der Gemeinschaft. „Für Kinder ist der Tod eines Familienmitglieds oft geheimnisvoll, unverständlich“, sagt Pfarrerin Jasmin El-Manhy. 

Trauer Berlin Prenzlauer Berg
Wenn ein Mensch stirbt, brauchen auch seine Kinder eigenen Raum für ihre Trauer.

Vater oder Mutter sind weg. Das gebliebene Elternteil ist plötzlich anders, emotionaler, unberechenbarer. Und kann oft, ausgefüllt mit der eigenen Notsituation, auf die Kinder und auf deren Trauer nicht ausreichend eingehen. In den Kindertrauergruppen, die Jasmin El-Manhy gemeinsam mit dem Bestattungsunternehmer Eric Wrede und Katharina Kreuschner vom Stephanus-Kinderhospizdienst gründete, bekommt ihr Schmerz seinen eigenen Raum. Zwei Stunden wöchentlich gemeinsam mit anderen, beginnend und endend mit einem Ritual.

Der unerwartet häufige Tod von noch jungen Müttern oder Vätern oder gar Kindern im Familienbezirk Prenzlauer Berg war es, der Jasmin El-Manhy vor die Fragen stellte: Wie können wir diese Familien begleiten? Was können wir für die Kinder tun? Nicht nur für die Gemeindemitglieder der Evangelischen Kirchengemeinde Prenzlauer Berg Nord rund um die Gethsemanekirche. Für alle trauernden Familien, unabhängig von ihrer Konfession. In Eric Wrede und Katharina Kreuschner fand El-Manhy Profis für ihr Ansinnen. Nun sind es bereits zwei Kindertrauergruppen, eine dritte ist im Entstehen und kann Kinder aufnehmen. In wenigen Monaten, nach den Sommerferien 2020, wird es eine Gruppe für Jugendliche geben.

 

BIS TRAUER KEIN THEMA MEHR IST

Das Eigene spüren. Sich in seinen Bedürfnissen, seiner Traurigkeit wahrzunehmen und diese zu äußern, das ist ein wesentliches Thema der Kindertrauergruppen. Was brauche ich jetzt? Bei der Antwort auf diese Frage helfen den Kindern ehrenamtliche BetreuerInnen. Sie spiegeln den Kindern ihr gegenwärtiges Sein. In Gruppen von acht bis zehn Kindern arbeiten fünf erwachsene BetreuerInnen und eine professionelle Leiterin. Das schafft Nähe, Vertrautheit. Lässt den eigenen Weg des Abschieds finden. Oder einfach Lust auf Spielen haben, auf Bücher. Auch dafür haben die Kindertrauergruppen Raum.

„Pfützentrauer“ nennt Jasmin El-Manhy das spezifische Verhalten von Kindern nach dem Tod geliebter Menschen. Die Trauer kommt unwillkürlich, Kinder springen in sie hinein wie in eine Pfütze, kurz darauf springen sie in das Wasser ganz anderer Gefühle. Dennoch: Jedes Kind braucht, wie jeder andere Mensch, seine eigene Zeit, seine eigene Art und Weise des Abschiednehmens. Die Kindertrauergruppe begleitet die Kinder so lange, bis der Tod kein Thema mehr für sie ist. Das kann zwei Jahre dauern oder auch länger. Wann es so weit ist, bestimmen Kind und Familie gemeinsam. 

Trauer Berlin Prenzlauer Berg
In den Kindertrauergruppen der Kirchengemeinde Nord nehmen Kinder gemeinsam Abschied. Fotos (2): pixabay

Erinnerungen. Großen Raum in der Kindertrauergruppe nehmen Erinnerungen an den oder die Verstorbene ein. Wenn jemand stirbt, bleibt ganz viel Liebe zu diesem Menschen, er bleibt Teil des Lebens. Das Bedürfnis an diesen Menschen zu denken und über ihn zu sprechen, bleibt. El-Manhy: „Wir vergessen seine Spuren in unserem Leben nicht.“ Auch das gibt Trost, ist ein Ur-Bedürfnis. In der Gruppe können die Kinder Erinnerungskerzen entzünden, Erinnerungskisten bauen – oder im gemeinsamen Schlussritual einen Charakterzug des verstorbenen Familienmitglieds benennen. Die jüngsten Kinder der Gruppen sind vier Jahre alt. Manchmal schreiben die Eltern auch gemeinsame Erinnerungen auf.

 

WIDER DIE ERWARTUNGEN

Der Zeitpunkt des Eintritts in die Kindertrauergruppe sollte erst drei Monate nach der Beerdigung sein. So viel Zeit, so El-Manhy, braucht die Familie, um ein wenig zur Ruhe zu kommen, mit der akuten Stresssituation umzugehen, all dies neu ordnen zu können, was nach dem Tod anders ist. Auch die verbliebenen Eltern der Kinder haben ihre Trauergruppe. Im gemeinsamen Schlussritual begegnen sie sich.

Trauer Berlin Prenzlauer Berg
Wie können wir Familien im Todesfall begleiten? Pfarrerin Jasmin El-Manhy. Foto: EKG

Das Gemeinsame. Die Kinder erleben in der Gruppe, dass sie mit ihrer Situation nicht allein sind. Es gibt auch andere, denen ein geliebter Mensch gestorben ist. Die Schmerz empfinden, Wut, Ohnmacht. Das ist für Kinder und Erwachsene ebenso wichtig. Die verbliebenen Elternteile sind nun alleinerziehend, stehen plötzlich mit allem allein da – mit der Sorge um die Familie, mit dem eigenen Schmerz. Ihr familiäres oder persönliches Umfeld reagiert zunächst mitfühlend und liebevoll. „Doch oft wird nach einem Jahr oder eineinhalb Jahren erwartet, dass alle wieder funktionieren“, sagt El-Manhy. Dann gibt es häufig Unverständnis, weil es eben noch nicht funktioniert. Trauernde Familien geraten in Gefahr, isoliert zu werden, sagt El-Manhy und berichtet von Menschen, die die Straßenseite wechseln, weil sie nicht wissen, wie sie den trauernden Angehörigen begegnen sollen. 

Welchen Raum braucht der Tod? Mehr, als er im Moment im Alltag hat, davon ist El-Manhy überzeugt. Der Tod verweist uns auf die Endlichkeit des Lebens, darauf, im Hier und Jetzt Sinn zu finden. Je bewusster das ist, umso weniger hilflos oder ohnmächtig fühlen wir uns möglicherweise, wenn er uns begegnet.

-al-,  Febr. 2020

Informationen/Anmeldungen auf: kindertrauer-berlin.de