FIRMENGESCHICHTE PRENZLAUER BERG (10)

Das Bäckereihandwerk

Früher gab es in jeder Straße mindestens eine Bäckerei und eine Fleischerei und auf jeder Hauptstraße einen Fischladen. Reine Fischläden gibt´s in Prenzlauer Berg gar nicht mehr, Fleischereien noch insgesamt drei, echte Bäckereien, in denen das Brot selbst gewalkt und nicht nur Rohlinge aufgetaut werden, gibt´s dagegen noch relativ viele, wenngleich auch jene weniger geworden sind.

 

Ein von Hand gewalktes Brot erkennt man an einer Narbe in der Kruste auf der Brotunterseite. 

Der Pfannkuchen – der außerhalb Berlins "Berliner" heißt, dafür ist das, was außerhalb Berlins "Pfannkuchen" heißt, in Berlin der "Eierkuchen" – wird in einem Tiegel, also einer sehr tiefen Pfanne (daher der Name), in Öl ausgebacken. Dabei schwimmt der Teigrohling, der im übrigen nicht größer ist, als der einer echten Schrippe, auf dem Öl und dreht sich selbst, wenn die untere Hälfte im Öl ausgebacken ist. 

Die "Schrippe" besteht aus Weizen-, der "Schusterjunge" überwiegend aus Roggenmehl, beim "Knüppel" ist Milch im Teig. Das Wort "Semmel" gibt´s in Berlin so nicht. Die Verwendung von Roggen ist für die Berliner Region typisch. Im Gegensatz zum Weizen, der bereits seit etwa 7800 v. Chr. kultiviert wird, ist der Roggen relativ jung. Gezielt angebaut wird er erst seit etwa 2500 Jahren, also einem Viertel der Zeit des Weizens.

Backhandwerk Berlin Prenzlauer Berg
Der Autor des Textes im Jahr 1991 in der zu diesem Zeitpunkt seit drei Jahren still liegenden Familienbäckerei. Es roch da noch immer nach Sauerteig, Mehlstaub und Schmalz, Foto: rg

Nichts schmeckt besser, als noch warmer Hefeteigkuchen vom Blech mit Zucker, Rhabarber, Äpfeln oder Pflaumen. Die Ränder des Blechkuchens wurden einst abgeschnitten und billiger verkauft. Nicht verkaufte Schrippen wurden zu Semmelmehl (da ist der Zusatz "Semmel" in Berlin richtig!) oder zu Zwieback (Norddeutsch: "Tweiback" = zweimal backen) verarbeitet.

In einer echten Bäckerei riecht man nicht nur frisches Brot, sondern vor allem Mehlstaub und Sauerteig. Echter Sauerteig entstand mal durch Pilzsporen aus der Luft. Der Bäcker hält täglich einen gewissen Prozentsatz seines Natursauerteigs zurück und setzt damit immer sofort den Teig für den nächsten Tag an. Dieser Ansatz muss dann wiederum einen halben Tag lang "gehen", bevor er mehrere Stunden vor dem nächsten Backen mit Hefe und Mehl wieder aufgefüllt wird. So kommt es, dass nach mehreren Jahren jede Bäckerei ihren eigenen Sauerteigstamm hat, der von Bäckerei zu Bäckerei etwas unterschiedlich im Geschmack ist. Dieser berühmt-berüchtigte "Hermann-Kuchen", den man jeden Tag "füttern" muss, funktioniert so ähnlich. Mehr braucht es für Brot nicht. 

Einem von Hand gewalkten Brot oder einer Schrippe aus Natursauerteig merkt man seine Qualität durch den Geschmack an.

Die Arbeitszeiten der Bäcker sind allerdings nicht so, wie man sie sich als normaler Arbeitnehmer wünscht, denn sie beginnen meist kurz vor Mitternacht und gehen bis in den Vormittag hinein, bevor sie ab Mittag schlafen. Die Hitze am Arbeitsplatz in so einem Backhaus kann über 50 °C betragen. Der normale Geräuschpegel einer Bäckerei stört wegen der Nachtarbeit heute oft die Anwohner. Mittlerweile beschweren sich Anwohner aber auch zunehmend über die Gerüche (nach frischem Brot).

Backhandwerk Prenzlauer Berg
Immerhin gibt es noch 12 Bäckereien in Prenzlauer Berg. Foto: rg

"Brot backen ist ein hartes Brot!", stellte mein Großonkel, Inhaber und Meister einer Bäckerei in Krakow am See in Mecklenburg, wo ich als Kind immer die Sommerferien verbringen und im Backhaus helfen durfte, regelmäßig fest. In meinem Buch "Sommer zwischen Backhaus und See - Kindheitserinnerungen", das vermutlich Ende Juni bei "Books on Demand" erscheinen wird, ist das mit der Familienbäckerei nochmals genauer beschrieben und dieser Text hier hinten angestellt. 

Das Bäckerhandwerk ist personalintensiv und körperlich harte Arbeit zu "unmöglichen" Arbeitszeiten.

Meine Hochachtung an alle, die das machen und können!

Diese Bäckereien in Prenzlauer Berg backen noch Brot, Schrippen und Kuchen selbst: Bäcker Lau, Pasteurstraße; Bäcker Zessin, Bötzow-, Choriner- und Zionskirchstr., gebacken wird in der Zionskirchstr., Bäcker Blank Meyerheim/Kuglerstraße; Bäcker Kroll, Varnhagen/Kuglerstraße, Bäcker Hacker, Stargarder Straße; Bäcker Krautzig, Schönhauser Allee; Bäckerei Siebert, Schönfließer Straße; Bäckerei Kädtler, Danziger Straße, die auch koschere Backwaren herstellen; Bäckerei Loell, Greifswalder Straße – dass war bis 2017 Bäckerei Werner, und das „Sowohl als auch“ auf der Ecke Kollwitz/Sredzkistraße backt gleichfalls selbst sein Brot.

Der Konditor oder Zuckerbäcker ist ein vollkommen anderes Berufsbild, deshalb hab ich Konditoreien hier nicht berücksichtigt. 

Dass man in einer Bäckerei einen Imbiss einnehmen und Kaffee trinken kann, kenne ich aus meiner Jugend nicht. Dafür aber die fünfzig Meter lange Schlange der Wartenden morgens vor der Ladentür.

Rolf Gänsrich, Mai 2019

www.rolfgaensrich.wordpress.com


Liebe Leser, 

in der letzten Ausgabe sind mir im Bäckereiartikel ein 2 Fehler unterlaufen, obwohl ich jeden Monat die Zeitungen in die Cafés, Bäckereien, Supermärkte und Kioske  liefere. 

Die erwähnte Bäckerei Lau in der Pasteurstraße ist schon seit langer Zeit von Herrn Biesewski übernommen. 

Die Bäckerei Ralf Rajemann in der Pappelallee 85 habe ich schlicht vergessen. Entschuldigung! Auch diese Bäckerei ist schon „seit Ewigkeiten“ in Prenzlauer Berg ansässig. 

Rolf Gänsrich, Juni 2019