JÜDISCHES LEBEN IN PRENZLAUER BERG, TEIL 5

FAMILIE HOPP

Am 27.1. jährte sich die Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee zum 77. Mal. Bevor ca. 7.000 Überlebende befreit werden konnten, waren dort in weniger als fünf Jahren zuvor über eine Million Menschen ermordet worden. In Berlin erinnert die Stille Klingeltafel Käthe-Niederkirchner-Str. 35 seit 2019 mit 83 einzelnen Namen an die ehem. jüdischen Hausbewohner - 34 von ihnen starben in Auschwitz.

Einige wenige der 83 Namen stehen aber auch für das Überleben. Und für Biografien, die an anderer Stelle fortgeschrieben werden konnten und nicht mit dieser Adresse im Bötzowviertel als vorletzter Station ihr Ende nahmen.

So trägt das Klingelschild der Familie Hopp sieben Vornamen: Jeanette∙Ruth∙Nathan∙Tana∙Siegfried∙Doris∙Manfred. Mit Familien Baruch und Klein gab es weitere Verwandte im Haus. Drei davon überlebten die NS-Gewaltherrschaft: Das Ehepaar Ruth und Nathan Hopp und ihre Tochter Tana.


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Nathan und sein Neffe Manfred Hopp mit Tochter Tana im Kinderwagen 1939 am Arnswalder Platz, Quelle: Tana Dardik

Geboren am 8.5.1939, ist Tana Hopp die jüngste Hausbewohnerin, die im Zuge der 1939 durchgeführten Volkszählung erfasst wird. Mit den „Ergänzungskarten“ wurde zudem in Vorbereitung der wenig später einsetzenden Deportationen Auskunft verlangt, ob „einer der vier Großelternteile der Rasse nach Volljude war oder ist“. Und Tana Hopp ist - heute in Lititz/Pennsylvania lebend - eine der wenigen Zeitzeugen, die einen unschätzbar wichtigen Beitrag dazu leisten konnte, auch ihre Familie in Berlin in Erinnerung zu rufen.

 

Sie schrieb dazu: „Obwohl ich erst 10 Monate alt war, als wir abreisten, wuchs ich mit all dem auf, was meiner Familie durch meine Eltern widerfahren war, und ich nehme an, dass ich immer ein gewisses Maß an "Überlebensschuld" erfahren habe. […] Als ich geboren wurde, lebten wir in Südende, wo mein Vater einige Geschäfte für Damenkleider besaß. Diese wurden in der Kristallnacht zerstört, und kurz darauf wurden wir vom Vermieter unseres Hauses vertrieben, da er keine Juden mehr in seinem Haus haben wollte. Daraufhin zogen wir in die Lippehner Str. 35 und lebten bis zu unserer Ausreise nach Brasilien bei dem Bruder meines Vaters, Siegfried, seiner Frau und Sohn.“


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Leo Leopold mit Angestelltem vor dem Geschäft in der Greifswalder Str. 192, Quelle: Tana Dardik, Rechts: Edificio Tana in São Paulo Quelle: Arquivo Arq

Ihr Vater Nathan Hopp wird 1893 in Schulitz als eines von fünf Kindern seiner Eltern Jeanette und Markus geboren. Während er - "für Tapferkeit als Frontkämpfer" mit Eisernem Kreuz ausgezeichnet - mit seiner Familie 1918 die nun polnische Heimat verlässt und nach Berlin zieht, wächst seine spätere Frau Ruth Seide, geboren 1905, mit ihren Eltern Elfriede und Richard (beide 1941 ins Ghetto Litzmannstadt/Łódź deportiert), in Berlin auf.

Mit Umzug in den Prenzlauer Berg führt Nathan in der Greifswalder Str. 192 Ecke Chodowieckistr. (die markanten Eckbauten fünf Jahre später zerstört, heute schlichte Nachkriegsmoderne) gemeinsam mit dem Mann seiner Schwester Martha, Leo Leopold, das Modegeschäft „Leopold & Hopp“. Martha und Leo emigrieren 1938 nach Brasilien.

Im Januar 1940 gibt Nathan im Jüdischen Nachrichtenblatt eine Anzeige auf:

„Suche einige große gebrauchte Koffer“.


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Anzeige im Jüdischen Nachrichtenblatt, 1940, Quelle: Deutsche Nationalbibliothek

Anfang März 1940 gelingt es der jungen Familie nach São Paulo zu ziehen, nach Hinterlegung der „Reichsfluchtsteuer“ und gerade noch rechtzeitig, bevor diese Möglichkeit auch unterbunden wird.

Nathans älterer Bruder Siegfried lebt mit seiner Frau Doris (genannt Dora) und Sohn Manfred (geb. 1927) zuletzt in der Wehlauer Str. (heute Eugen-Schönhaar-Str.) 1, Ende Oktober 1941 wird die Familie nach Łódź deportiert und am 4.5.1942 in Kulmhof (Chełmno) ermordet.

Ihre Mutter Jeanette ist zuletzt im „Siechenheim“ Auguststraße 14-16, bevor sie im Januar 1943 nach Theresienstadt geschafft wird und dort eine Woche später 83-jährig stirbt.

Wenige Tage danach wird Nathans Schwester Lucie mit ihrem Mann Max Klein und Sohn Manfred (geb. 1925) nach Auschwitz deportiert und ermordet. Nathans Nichte Edith Baruch, sie hatte sich im „Hachschara-Zentrum“ Gut Skaby bei Friedersdorf schon auf die Auswanderung vorbereitet, lebt 1943 noch ein knappes halbes Jahr in Auschwitz und stirbt dort 21-jährig.

„Es fiel meinen Eltern anfangs sehr schwer, sich in Brasilien einzuleben. Sie hatten ihre ganze Familie zurückgelassen, die wunderbare kulturelle Welt Berlins, an die sie gewöhnt waren, und es war nicht leicht, eine neue Sprache zu lernen und sich den neuen Trachten anzupassen. Zusammen mit meinem Onkel Leo haben sie sich schließlich wieder eingelebt, Portugiesisch gelernt und waren Teil einer großen und wunderbaren deutsch-jüdischen Gemeinde.“

1954 lassen Nathan und Leo in São Paulo durch den Architekten Bernardo Rzezak ein modernes 7-stöckiges Wohnhaus bauen, das “Edificio Tana“. Nach der Hochzeit ihrer Tochter mit Dr. Elliot Dardik und der Geburt der Enkel Ari und Alyssa ziehen Nathan und Ruth 1967 zu ihnen nach Philadelphia. Nathan stirbt dort 1984, Ruth 1993. Im Oktober 2019 trafen sich Tana und ihre Tochter am New Yorker Central Park mit dem Autor dieses Artikels, der Tana gewidmet ist.

Simon Lütgemeyer / M. Steinbach

Quelle: www.kaethe35.de