HUFELANDSTRASSE

Hymne für eine große Nachbarin

Schwarz-weiß und in Farbe: Die Hufelandstraße vor 30 Jahren und heute. Die Fotos dieser Seite porträtieren eine Magistrale, die ihresgleichen in Prenzlauer Berg sucht. Weltstädtisch, unter Nachbarn. Hymne an eine Straße in Text und Bild. 

 

Eine Vielbesungene ist die Hufelandstraße im Bötzowkiez, diese Verbindungslinie zwischen Greifswalder Straße und dem Volkspark Friedrichshain. Knapp einen Kilometer lang, 49 Gründerzeithäuser auf beiden Seiten. Eine Vielzahl kleiner, edler Geschäfte, Cafes und Lokale. Um die Jahrtausendwende, als von Gentrifizierung aller Orten zu hören und zu lesen war, galt die Hufelandstraße als Beweis für den Wechsel der Generationen, Kulturen und Menschen in Prenzlauer Berg. 90 Prozent der eingesessenen Bevölkerung waren in dem Maße verschwunden, in dem das bröckelnde Grau der Fassaden dem neuen alten Stuck der Gründerzeit gewichen war. Die Gutverdiener, die tagsüber in den Cafes saßen und kreativ taten, galten als die neuen typischen Prenzlauer Berger. Ebenso wie die Kinderwagen schiebenden Mütter, die später zu Helikopter-Eltern wurden.

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Bilder aus längst vergessenen Zeiten: Die Hufelandstraße 1987.

Die schöne Fremde

Erst allmählich, auf den zweiten Blick, erhielt die Hufelandstraße ein Gesicht zurück. „Die Straße ist schöner als erwartet, aber auch fremder. Sie liegt im alten Osten – doch der ist aus ihr gewichen.“ Joachim Gauck, der ehemalige Bundespräsident, beschreibt die Magistrale heute mit ein wenig Wehmut. Die Hufelandstraße heute, das ist eine urbane, weltstädtische Nachbarin. Quirlig tagsüber, still und familiär am Abend. In den Cafes treffen sich die Nachbarn zum Plausch; in den kleinen Läden organisieren sie sich ihren Alltag. Normalität zwischen Sprachenvielfalt, Vielfalt der Lebensentwürfe und individuellen Nischen.

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Harf Zimmermann fing vor 30 Jahren die Atmosphäre der Hufelandstraße ein. Fotos (2): Harf Zimmermann

Schon einmal, vor genau 30 Jahren, erhielt die Hufelandstraße ein Gesicht. Vielmehr: viele Gesichter – der Menschen, die damals hier lebten und arbeiteten, der Zeit und der Gesellschaft dahinter. Denn das waren andere Zeiten und andere Menschen. Der Fotograf Harf Zimmermann porträtierte 1987 ein Jahr lang die Menschen, die Gebäude, die Straße. In einer Ausstellung im C/O Berlin sind 95 Bilder derzeit zu sehen. Im Jahr 2010, 23 Jahre nach seinen ersten Porträts, fotografierte Zimmermann die Straße erneut. Einige der alten Läden und Bewohner fand er noch vor, doch die meisten hatte die Gentrifizierungswelle davongeschwemmt, an die Ränder Berlins und weiter hinaus. Neue Menschen, neue Läden und neue Fassaden erzählen auf ihre Weise die einzigartige Geschichte eines neuen Straßenbildes und einer Gesellschaft, die sich verändert hatte. 

 

Die müde Stolze

Doch zurück zu den Anfängen, zum Jahr 1987 und den Bildern der Hufelandstraße als einer Straße, in der das Sterben der DDR so offensichtlich war wie der Lebenswille ihrer Bewohnern. „Es musste einst eine stolze Straße gewesen sein, die nun im Niedergang begriffen und von jener bleiernen Müdigkeit umhüllt war wie der Rest des Sozialismus in den 1980er-Jahren.“, erinnert sich der Fotograf, der 1981 in die Hufelandstraße gezogen war. „Etwas von ihrer Großartigkeit schien auf rätselhafte Weise überlebt zu haben, und auch das Gefühl der Leute, in einer besonderen Straße zu sein, war irgendwie noch intakt: Das ist der Kurfürstendamm des Ostens, raunte man. Es gab, in geheimnisvollen Gelassen, verblüffend viele privat geführte Geschäfte und kleine Handwerksbetriebe, die von den Enteignungen verschont geblieben waren. Es gab große Linden, breite Fußwege, Balkone und Stuck an den Fassaden, dahinter großzügige Hausflure und bürgerliche Wohnungen mit Parkett und Flügeltüren.“  

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Hinter dem neuen Gesicht ist das alte Bild der Straße verschwunden. Foto: al

Parade der schrägen Vögel

Zimmermann entdeckt in dieser Kulisse Schritt für Schritt auch die Bewohner. Schräge Vögel, wie den Klavierbauer und Schauspieler Franz List, der mit seinem Konzertflügel in einem ehemaligen Laden hauste, vor der Tür sein Mercedes, Baujahr 1934, in den er ab und zu eine gewaltige Autobatterie hievte und den Motor startete. Aber er fuhr nie, setzte sich nur hinein, kurbelte die Scheibe herunter und fütterte Tauben. Oder den schwule Kellner Erich, der im Kunstpelz und mit roten Pumps auf seinem Motorroller durch das Viertel fuhr und laut auf alles und jeden schimpfte, insbesondere auf den Sozialismus, und das immerhin unter den Augen ortsansässiger Parteifunktionäre. Zimmermann: „Alle schienen sich dem Ort verbunden und verantwortlich zu fühlen und in einem verborgenen Konsens zu handeln, ständig bemüht, die Artenvielfalt ihrer Insel so lange wie möglich vor dem grauen Meer zu retten.“

Als Zimmermann seine Porträtserie beginnt, im Jahr 1986, hat sich das Gesich der Straße verändert. Wegen Baufälligkeit waren die meisten Balkone der Häuser entfernt worden. Die schönen alten Linden der Straße sind gefällt, weil die Gasleitung undicht und der Boden vergiftet war. „Die Häuser standen entblößt und geschändet, der Niedergang war nun offensichtlich. Und ich fühlte mich wie der letzte Zeuge, der alles noch einmal hatte sehen dürfen, ehe es unwiderruflich verlöschen würde. Ich war mit Plattenkameras, die etwa so alt waren wie das Viertel, mit Stativ und schwarzem Tuch, über mehr als ein Jahr unterwegs: tags auf der Straße und nachts in meinem Reich, der Küchendunkelkammer.“ Was Harf Zimmermann gelingt und was diese Ausstellung so sehenswert macht: Er zeigt den Stolz der Menschen, denen das Bröckeln ringsum nichts anzuhaben scheint.

 -al-, Juni 2017

Die Ausstellung „Harf Zimmermann: Hufelandstraße“ ist noch bis zum 2. Juli im C/O Berlin zu sehen; Amerika Haus, Hardenbergstraße 22-24.

Mehr auf: http://hufelandstrasse-berlin.de