WELTOFFENHEIT

Unter der Oberfläche

Als jüngst der Übergriff auf einen Menschen mit jüdischer Kippa am Helmholtz-Platz stattfand, ging ein Aufschrei durch Deutschland und die Welt. Offene Gewalt gegen Anders Aussehende – mitten im weltoffenen Prenzlauer Berg! Sind wir das - weltoffen? Eine Annäherung an das Maß von Toleranz.

 

Sind wir der tolerante, weltoffene Stadtteil, mit dem sich ganz Deutschland gern schmückt? In dem wir Bewohnenden Internationalität als Wohlfühl-Atmosphäre leben - ebenso wie Intellektualität oder grünes Bewusstsein? Der Vorfall am Helmholtzplatz, als ein junger Mann einen anderen jungen Mann wegen seiner Kippa beschimpfte und angriff, spricht eine andere Sprache. Auch, wenn beide offenbar nicht in Prenzlauer Berg leben. Offen trat ausgerechnet im Helmholtz-Kiez Antisemitismus zutage. Und, glaubt man der anschließenden Berichterstattung in den Medien und sozialen Netzwerken, dauerte es eine ganze Weile, bis die Menschen in den Cafes unweit des Übergriffs auf die gewalttätigen Männer reagierten – nur die wenigsten griffen direkt ein.

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Typisch Prenzlauer Berg? Weltoffenheit unweit der Synagoge in der Rykestraße. Der Polizeischutz, den die Einrichtung braucht, ist auf dem Bild nicht zu sehen.

„Rassistische Beleidigung im Prenzlauer Berg“ ist ein Eintrag vom 9. April im Pankower Register betitelt. Das Pankower Register ist die Chronik für rassistische, antisemitische und rechtspopulistische Vorfälle. „Im Ortsteil Prenzlauer Berg kam es gegen 17 Uhr zu einer rassistischen Beleidigung. Beim Aussteigen aus der S-Bahn am Bahnhof Storkower Straße wurde ein schwarzes Paar mit Kinderwagen von einem Mann angerempelt. Als der Angerempelte hinterherrief, was das gerade sollte, antworteten der Rempler und seine Begleitung: Geht doch nach Hause. Der Betroffene entgegnete: Wie nach Hause? Wir leben doch hier. Anschließend fuhr die Bahn weiter.“

 

Wenig Rechtspopulismus

Die Fakten: Bei den jüngsten Bundestagswahlen stimmten nur wenige Menschen in Prenzlauer Berg für rechtspopulistische Parteien – anders als in den Stadtteilen Pankow oder Weißensee. Sprachen wie englisch, französisch oder italienisch gehören längst zum Alltagsgemisch in Prenzlauer Berg dazu. Restaurants, Läden und Künstler aus aller Welt sind so selbstverständlich wie Willkommensklassen oder ehrenamtliche UnterstützerInnen von Flüchtlingsunterkünften.

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Flüchtlings-Initiativen und -Kunst, Willkommensklassen gehören im Stadtteil zum guten Ton.

Die andere Seite ist der gewalttätige Rassismus oder Antisemitismus wie der Übergriff am Helmholtzplatz. Mit solchen Übergriffen liegt Prenzlauer Berg im bundesweiten Durchschnitt. Es sind Ereignisse, die öffentlich werden und Aufmerksamkeit erregen. Was indes zunimmt, sind die eher versteckten, unbemerkten Diskriminierungen und Beleidigungen. „Verschiedene Formen von Alltagsrassismus, vor allem gegen Muslime, Sinti und Roma.“, sagt Berit Schröter von moskito, der Netzwerkstelle gegen Rechtsextremismus, für Vielfalt und Demokratie. Moskito betreibt seit zehn Jahren das Pankower Register. Inzwischen haben viele Berliner Stadtbezirke das Modell übernommen. Es verzeichnet gewalttätige Übergriffe, Beleidigungen, auch den Alltagsrassismus. Es ist nicht repräsentativ, aufgenommen wird, was Menschen melden – oder was in Zeitungen und Polizeiberichten auftaucht. Dennoch gibt das Register ein Abbild, was unter der Oberfläche lauert – und manchmal offen zutage tritt. Berit Schröter: „Für viele Migrantinnen und Migranten gehören rassistische Bemerkungen inzwischen so zum Alltag, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, sie zu melden.“

Eintrag aus dem Pankower Register vom 29. April: „Im Ortsteil Prenzlauer Berg wird am Nachmittag auf dem Spielplatz an der Ecke Rykestraße/Sredzkistraße an einer Wand eine Hakenkreuzschmiererei entdeckt.“ Auf eine Woche früher datiert der Eintrag: „Im Ortsteil Prenzlauer Berg wurde im Jahnsportpark bei einem Regionalligaspiel ein T-Shirt mit der Aufschrift „Diesmal kommen wir im Sommer“ mit einem Reichsadler sowie einem Ball und einem Ehrenkranz gesehen. Das T-Shirt bezieht sich auf eine neonazistische Kampagne und soll an den Russland-Feldzug der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg erinnern.“

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Intervenieren bei rassistischen Äußerungen, hier einfach mit einem „Nö“. Fotos (3): al

Interventionen notwendig

Rassismus unter der Oberfläche. Moskito weiß von vielen Formen. Abfällige Bemerkungen über Fremde, Flüchtlinge, Anders Aussehende auf Familien- oder Firmenfeiern beispielsweise. Dumme Sprüche von Kindern zu anderen Kindern. Was lässt sich tun? „Bitte widersprechen“, sagt Berit Schröter. „Wenn wir nicht widersprechen, können sich Rassismus und Populismus immer weiter ausbreiten.“ Moskito bietet Trainings an, wie Widerspruch und Intervention wirksam werden können. Durch deutliches Beziehen einer demokratischen Position. Berit Schröter: „ In unserer Demokratie sind alle gleichberechtigt. Das steht im Grundgesetz.“ Eine andere Möglichkeit ist das Nachfragen bei rassistischen Äußerungen: „Was meinen Sie damit?“ Oft wissen die Gesprächspartner dann nicht Konkretes mehr entgegenzusetzen. Eine dritte Möglichkeit: Klar und deutlich das Gespräch zu beenden, etwa mit Formulierungen wie: „das widerspricht meiner demokratischen Einstellung, darüber rede ich nicht weiter.“

Besonders wichtig, so Berit Schröter, sind demokratische Positionen und Intervention in der politischen Bildung für Kinder und Jugendliche. Auch dafür bietet moskito Trainings an. „Erzieher oder Sozialarbeiter haben die Pflicht zu intervenieren, wenn ein Kind oder Jugendlicher beleidigt und diskriminiert wird.“ Und als Betroffene von Diskriminierung? „Wahrnehmen, dass sie damit nicht allein sind. Verbündete suchen“, empfiehlt Berit Schröter. Zum Beispiel bei Migranten-Vereinen, in akuten Situationen bei Passanten oder Umstehenden.

Auszug aus dem Pankower Register vom 12. März: „Im Ortsteil Prenzlauer Berg kommt es gegen 12.10 Uhr zu einer rassistischen Beleidigung. In der Gleimstraße (Höhe 28) geraten ein Fahrradfahrer und ein Mann mit Hund verbal aneinander. Beide schreien irgendwann: Verpiss dich. Die verbale Auseinandersetzung setzt sich fort, bis der Mann mit Hund zum Radfahrer schreit: Verpiss dich, oder bist du ein scheiß Moslem? Beide gehen auseinander. 

-al-, Juni 2018

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