MITTEN AUS DEM LEBEN

Sternchen mit Pfeil

Geschichten, die das Leben schreibt. Unserer Autorin sind schon junge Eichhörnchen in die Jacke gekrabbelt und sie hat weiße Amseln im Volkspark Prenzlauer Berg entdeckt. Diesmal wird es ernst: Wer bitte schön, markiert ihren Briefkasten? Stimmen die Geschichten über das Ausspionieren von Wohnungen also doch?

Es ist jetzt schon zwei Mal vorgekommen, dass an meinem Briefkasten mysteriöse Zeichen prangten. Beim ersten Mal halte ich es für einen schlechten Scherz oder Gekritzel. Etwa einen Monat später entdecke ich erneut ganz eindeutige Markierungen auf meinem Kasten. Sternchen mit Pfeil. Zwei Tage wälze ich das Thema in mir und beobachtete misstrauisch die Straße und andere Briefkästen, um Hinweise zu erhalten. Welche Gemeinsamkeiten gibt es zwischen dem 1. Vorfall und gestern? Liegt es an meinem Kurzurlaub? Beobachtet hier jemand Mieter, die mit dem Koffer los rattern? Schlechter Scherz? Langeweile? Psychopath?  

Gaunerzinken Berlin Prenzlauer Berg
Schon 1928 wurde ein Buch über „Die Graphischen Gaunerzinken (Kriminologische Abhandlungen, Band 5)“ publiziert. Gra- fik: einige sog. Gaunerzinken

Über weitere Abgründe meiner Fantasie schreibe ich lieber nicht. Ich befrage das WWW. Gaunerzinken !!! Banden spähen Wohngebiete aus, markieren Häuser, Straßen, Klingelschilder und Briefkästen und bereiten so die Wohnungen für die nachfolgenden Diebe vor. Mir wird schummrig. Tipps der Polizei: 1. fotografieren und 2. Bescheid geben. Na schön, habe das Zeichen schon zwei Mal weggewischt, ohne Dokumentation. Es gibt Bildtafeln im Netz. Da sieht man was die Codes bedeuten. Sternchen mit Pfeil ist nicht dabei. Ein ähnliches Zeichen bedeutet: nix zu holen. Mist, hätte ich es doch dran lassen sollen? Ich könnte noch das Zeichen für bissiger Hund daneben malen. Abends gehe ich beunruhigt zum Sport. Als ich zurückkehre entdecke ich einen Kreidestrich an der Hauswand. Ohne zu überlegen beginne ich ihn zu entfernen. Er verschwindet nicht. Eine Frau mit Hund beobachtet mein Tun. Ich gehe hinein und bin Mitternacht immer noch wach. Sollte ich in ein Zusatzschloss investieren?  Bei mir ist zwar nicht viel zu holen, aber immer noch mehr als bei 97 Prozent der Weltbevölkerung, sagen Statistiken. Ich bin wütend über den gefühlten Angriff auf meine Privatsphäre. Ist dies nicht auch eine natürliche Folge von Überfluss und Mangel, die einfach ungerecht verteilt sind? Ich merke, dass ich an der Frage nicht vorbeikomme. Am nächsten Morgen bin ich froh zu erwachen, ohne ausgeraubt worden zu sein. Mittags gehe ich zum Supermarkt. Am Nachbarhaus ist ein auffälliger Punkt mit Kreuz. Das Zeichen war gestern definitiv auf der Liste. Ich sehe um die Ecke eine Postdienstleisterin warten. Spontan befrage ich sie zu den Vorkommnissen. Der Schreck steht ihr im Gesicht. Ja, sie hat schon von Gaunerzinken gehört, aber das Sternchen mit dem Pfeil auf unsere Namen ist von ihr. "Det ist für meene Kollegen, wegen dem Nachsendeauftrag. Damit die det nich verjessen hab ick een Zeichen jemacht. Hab mich schon gewundert, wer det immer weg macht. Dachte det war die Putzfirma." Ich könnte sie küssen vor Erleichterung. Hauptsache ich fühl mich wieder sicher." Sie schaut dann doch sehr betreten. "Ach Mensch, det tut mir leid. Ick wollte ihnen doch keenen so großen Schreck einjagen." 

-Steffi Karma-, April 2018