Nach der Wagenburg kam die Seniorenresidenz

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin Bötzowkiez
Grab der Familie Bötzow auf dem Friedhof Heinrich-Roller-Str.

Sie hieß Birgit, wohnte in der Bötzowstraße und war das ganze Gegenteil von DEM Frauentyp, auf den ich normalerweise stehe (blond, blaue Augen, klein, pummelig, …). Ich wohnte erst einige Jahre im Prenzlauer Berg und hatte noch gar kein richtiges Verhältnis zu diesem Bezirk, denn Kumpels, Familie und Arbeitskollegen lebten alle noch in Hohenschönhausen oder Lichtenberg. Birgit war Kunde in dem Laden, in dem ich in Lichtenberg arbeitete und „gabelte“ mich da auf, nahm mich mit zu sich nach Hause und vertrieb sich mit mir ihre Langeweile. So lernte ich 1988 das Bötzowviertel kennen – und lieben. Vor ihrem Schlafzimmerfenster fuhr laut scheppernd der 9er Bus vorbei.

 

Zu jener Zeit gab es im Prenzlauer Berg ein größeres Bus­linienangebot als heute. In einem Fahrplanheft, das ich in meinen Unterlagen entdeckte, kann man das nachlesen. „Städtischer Nahverkehr – Öffentlicher Personen­nahverkehr in der Hauptstadt der DDR – Berlin – 1.4.1990 – 31.3.1991 – 0,65 Mark“. Also schon auf der ersten Seite war das Ding also falsch.

Die heutige Buslinie 156 ist fast mit der einstigen Linie 56 identisch, allerdings fuhr man vom S-Bhf. Storkower Str. zunächst über Joseph-Orlopp- und Vulkanstraße, bevor man kurz vorm S-Bahnhof von der Leninallee in die Storkower Richtung Gehringstraße einbog.

Die Streckenführung der Buslinie 57 war von der Michelangelostraße über Am Friedrichshain bis Unter den Linden/Friedrichstraße identisch mit der heutigen Linie 200, nahm dann aber die Strecke der U 6, die nur von Westberlinern benutzt werden konnte und führte über Bhf. Friedrichstraße, Oranienburger Tor und Invaliden- bis zur Scharnhorststraße.

Allerdings fuhr noch bis Kriegsende eine Straßen­bahn, vom Königstor kommend, die Straße Am Frie­drichshain entlang und endete in der Kniprode­straße, wo noch heute das Materiallager der Straßenbahn ist. Übrigens gab es ein ähnliches Lager noch bis 1991 auf dem letzten Zipfel des Schlachthofes, dort wo die Ringbahn die dort beginnende Scheffelstraße unterquert. 

Ich rechne es der BVG heute hoch an, dass es an der Linie 200 (einer DER City-Buslinien!) eine Endhalte­stelle mit dem entsprechenden Richtungsschild „Prenzlauer Berg“ gibt.

Bereits in den 70er-Jahren gab es die Buslinien 30 und 40, beide führten vom Robert-Koch-Platz zum Ostbahnhof: die Linie 40 auf 5,9 km, die Linie 30 auf 20,9 km! Wie kam das?

Die Linie 40 fuhr direkt dort hin - mit der Linie 30 machte man dagegen eine Weltreise: Vom Robert-Koch-Platz aus ging es für beide Linien am Rosa-Luxemburg-Platz vorbei. Während aber der 30er dann in die Mollstraße einbog, fuhr der 40er dort geradeaus und dann weiter über Friedenstraße und Franz-Mehring-Platz. Nicht so die Linie des 30er, die führte über die Greifswalder, bog in die John-Scheer-Straße ein und weiter über Conrad-Blenkle-, Eberty- und Scheffelstraße. Dann ging es über Möllendorf- und Herzbergstraße, dem BVG-Betriebshof Lichtenberg, der Alfredstraße, Bhf. Lichtenberg, Weitlingstr., Nöldner Platz, Boxhagener und Grünberger Str. bis sie am Ostbahnhof endete. Fahrtzeit eine gute Stunde.

Außerdem fuhr noch 1972 entlang Greifswalder, John-Scheer- und Conrad-Blenkle-Straße ein O-Bus in Richtung Marzahn. 

Im Bötzowviertel fuhren die Busse der Linie 9 teilweise im 3-4-min-Takt. Diese begann Bötzow-/John-Scheer-Straße, führte u. a. am Alex vorbei, durch die Französische Straße und endete vor dem Pariser Platz bzw. vor der russischen Botschaft.

Ein Leser, der wohl schon lange nicht mehr in der Gegend war, staunte über die vielen, gut ummauerten Wohnviertel.

Ich verstehe bis heute nicht, warum Seniorenheime immer „mitten im Grünen“ liegen oder direkt an Parkanlagen gesetzt werden. Damit sich „die Alten“ schon mal an den Geruch frischer Erde gewöhnen können?! Sinnvoller wäre es doch, wenn junge Familien mit ihren Kindern dort wohnen und dafür die Senioren mitten in der City! Da haben sie es näher zum Klatsch ins nächste Café oder zum Supermarkt und die Angehörigen haben verkehrsgünstigere Bedingungen.

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Das letzte unsanierte Haus 2011

Fakt ist, dass entlang der Straße am Friedrichshain in den letzten Jahren sehr viele Eigentumswohnungen und Seniorenheime entstanden sind. Wir erinnern uns aber noch an die Wagenburg „Laster & Hänger“, die auf den Brachen dort vor zehn Jahren kampierten, als sie aus der Innenstadt – vom Engelbecken und aus dem einstigen Mauerstreifen – vertrieben wurden. Mit ihnen war wieder ein Stück Flair von (Überlebens-)Künstlern gegangen, als sie auch aus dem Prenzlauer Berg vertrieben wurden.

Heute gibt’s da eine Seniorenresidenz und nebenan die „Schweizer Gärten“. Das ist ein beachtliches Wohnviertel, umgeben von einem gewaltigen geschmiedeten Eisenzaun und mit tonnenschweren Schiebetoren, wie man sie sonst nur von der Einfahrt neben dem Kanzleramt kennt. Direkt Am Friedrichs­hain steht ein einzelnes großes Haus und es gibt eine Privatstraße, die vermutlich durch das Schiebetor abends abgeriegelt wird; an ihrer Einfahrt steht ein Postenhäuschen. Daneben eine hohe, schwere Gitter­tür und an die dreihundert Klingelknöpfe für die einzelnen Wohnungen des gesamten, abgeschirmten Areals. Riesige hohe Mauern zu den angrenzenden Grundstücken hin gaukeln absolute Sicherheit vor. 

Diese Privatstraße endet an den Überresten der einstmals dort beheimateten „Schneider-Brauerei“, um 1900 herum eine von zwölf Brauereien im Prenzlauer Berg. Die UFO-Tonstudios bauen die Ruine gerade ins „Brauereistudio“ um.

Das Viertel zwischen Arnswalder Platz und Am Frie­drichshain soll eines der ersten gewesen sein, das nach dem Krieg neu gebaut wurde. Die Pläne für diese Bebauung stammten zum Teil noch von vor dem Krieg. Wobei die ersten wirklichen Nachkriegs­neubauten angeblich schon ab Oktober 1945 in der Hohenschönhauser Goeckestraße entstanden. 

Trotz des damals knappen Materials und viel zu wenigen Arbeitskräften sind die Nachkriegsneubauten im Bötzowviertel solide gearbeitet. Leider werden nur wenige der damals in den Untergeschossen mit eingerichteten Gewerbeeinheiten heute noch von Firmen genutzt.

Rolf Gänsrich (Dez 2011)