GE(H)SCHICHTEN

Mit Zeitzeugen über den Trümmerberg

Prenzlauer Berg Zeitung Magazin
Mai 1945 in Berlin: Wie Prenzlauer Berger das Kriegsende erlebten, lässt sich in Audiotouren erfahren. Foto: Iwan Schagin

Ganz Deutschland gedenkt im Mai des 70. Jahrestages des Kriegsendes. Berlin widmet dem Anlass eine Themenwoche. In Prenzlauer Berg kann man – mit Zeitzeugen im Ohr – Geschichte erlaufen oder sich zum Konzert versammeln.

Thea war elf und lebte in der Winsstraße, als der Krieg begann. „Ich freute mich darüber. Ich weiß nicht warum, aber ich freute mich“, erzählt sie Jahrzehnte später. „Am ersten Kriegstag stand ich an der Greifswalder Straße und kam nicht rüber in die Schule, weil auf der Straße Soldaten gen Osten marschierten“. Die anfängliche Freude, auch darüber, dass die Schule häufiger ausfällt, weicht dem Schrecken: Es gibt immer weniger zu essen, je länger der Krieg dauert. Nächtliche Bombenangriffe auf Berlin lassen auch die Bewohner der Winsstraße nicht mehr zur Ruhe kommen. Thea verbringt lange Nächte gemeinsam mit ihrer nahezu blinden Mutter im Luftschutz-Keller. „Endlich mal wieder auszuschlafen“, wird der größte Wunsch des jungen Mädchens. Der wird ihr erst erfüllt, als sie gemeinsam mit vielen anderen Kindern und Jugendlichen nach Pommern verschickt wird, um Panzergräben zu schippen. Wieder in Berlin, erlebt sie das Kriegsende in der Winsstraße unter großer Angst.
Ihre Erinnerungen, Erlebnisse und Sorgen hat Thea, Jahrgang 28, Jahrzehnte später der Künstlerin
Sonya Schönberger geschildert. Gemeinsam mit dem Rundfunk-Autoren Norbert Lang hat Schönberger die Zeitzeugen-Interviews in berührenden Hörspielen zusammengefasst. Auf Audio-Touren sind sie im Mai zu erleben. Die Hörspaziergänge führen in den aus Kriegstrümmern errichteten Volkspark Prenzlauer Berg, ebenso wie auch an andere Berliner Kriegsorte.
Die Touren unter dem Titel „Ge(h)schichte“ lassen vor Ort und direkt erfahren, was es bedeutete, im Krieg aufzuwachsen und der Nazi-Ideologie anheimzufallen. Fünf Jahre interviewte Sonya Schönberger dafür Menschen, die vor über 70 Jahren Kinder und Jugendliche waren.
Zum Beispiel Karl Heinz, Jahrgang 28, geboren in Prenzlauer Berg. 1944 machte Karl Heinz am Humboldthain auf einem der vier Berliner Flaktürme eine Ausbildung zum Flakhelfer. Danach wurde er als Luftwaffenhelfer eingesetzt. Karl Heinz erlebte den Einmarsch der russischen Armee und nahm als Soldat Teil an den Kämpfen, die sich die Truppen in den letzten Tagen des Krieges in den Straßen Berlins lieferten. Im Interview gibt er darüber Auskunft, wie er in den Kämpfen seine Kameraden und Vorgesetzten fallen sah. Er berichtet von den schlimmen Verletzungen und Verstümmelungen, die er an Soldaten auf beiden Seiten erlebte. „Das ist für einen jungen Menschen natürlich furchtbar…“
Die Audio-Touren durch den Volkspark Prenzlauer Berg finden in der Zeit vom 2. bis 10. Mai statt. Für Jugendgruppen und Schulklassen gibt es extra Führungen, die man unter s.roos@kulturprojekte-berlin.de buchen kann.
Die Prenzlauer Berger Audiotouren gehören zu einem umfangreichen Programm, mit dem Berlin des Kriegsendes gedenkt. Eine Open-Air-Ausstellung mit historischen Fotos, Theateraufführungen und Filmreihen sind weitere Programmpunkte, die in der ganzen Stadt an jene Zeit aus Zerstörung, Angst, Hunger und schließlich Hoffnung und Mut erinnern.
In Prenzlauer Berg gibt es noch eine weitere Veranstaltung zum 70. Jahrestag: Am 8. und 9. Mai gibt die Gethsemanekirche an der Stargarder Straße zwei Gedenkkonzerte der besonderen Art. Das Junge Ensemble Berlin führt Benjamin Brittens „War Requiem“ auf – gemeinsam mit dem Prometheus Ensemble Berlin, den Kapellknaben des Staats- und Domchores Berlin und den renommierten Solisten Maria Bengtsson, Thomas Michael Allen und Sebastian Noack.
Im Gedenken an das Kriegsende vor 70 Jahren erklingt dabei nicht nur Brittens Werk, das wie kaum ein zweites auf beide Weltkriege Bezug nimmt und mit seiner Uraufführung gleichzeitig ein musikalisches Zeichen für Frieden und Versöhnung setzte. Zu Arvo Pärts „Cantus in memory of Benjamin Britten“ präsentiert zudem eingangs eine Videocollage die Gedanken von Schülern zu Krieg damals und heute. Beginn der Konzerte ist jeweils 20 Uhr.
Weitere Informationen zu den Audiotouren, den Konzerten und allen anderen Veranstaltungen im Mai: www.berlin.de/mai45

-al- (Mai 2015)