Sommerzeit – Reisezeit. Nach diesem recht wechselhaften Frühjahr drängt es die Erholungssuchenden besonders stark in sonnige Gefilde, raus in die Natur. Doch gerade Natur gibt es, verglichen mit anderen europäischen Hauptstädten, in Berlin zuhauf. Allein 438.740 Straßenbäume verbessern das Mikroklima innerhalb der Stadt. Wohlgemerkt, Straßenbäume; all die Grünanlagen, Stadtwälder und Kleingartenanlagen führen ihr naturnahes Eigenleben. 5500 Hektar Grün-, Erholungs- und Parkanlagen, mit 38 Naturschutzgebieten, sind es insgesamt. Nicht zu vergessen die 52 Quadratkilometer Wasserfläche. Und 18 Prozent städtische Waldfläche, dass soll uns eine andere Hauptstadt erstmal nachmachen!
Das wird besonders deutlich, wenn man nach einem sonnendurchfluteten Urlaub, in eher naturkarger Gegend, in die grüne Oase Berlin zurückkehrt. Um auf diesen natürlichen Schatz aufmerksam zu machen und gleichzeitig weitere Förderer zu gewinnen, gab es bereits den 6. Langen Tag der Stadtnatur am 3. Juniwochenende. Mich interessierte „naturgemäß“ besonders der Prenzlauer Berg, quasi das grüne Leben vor meiner Haustür. Die Qual der Wahl ist berechtigt, denn an rund 150 Veranstaltungsorten in der Stadt wurden Besucher erwartet. Also, bleibe im Prenzlauer Berg, schaue dich um und wähle aus: Der Mauerpark – wild & schön, warb für heilsame & essbare Wildpflanzen, der Ernst-Thälmann-Park war Körper und Geist gewidmet und bot Anusara Yoga in der Natur, auch eine Radtour vom Mauerpark zur Stadtgrenze, immer auf dem Grünen Band zum Barnim fand ich im Angebot. Ich suchte natürlich etwas vor der Haustür und wurde auch um einige Ecken herum fündig. In der Mühlhauser Straße 8 warb die GRÜNE LIGA mit ihrem Musterhof für verschiedene Formen der Fassadenbegrünung, Bepflanzung und Pflasterung, wie sie für Berliner Hofgärten umgesetzt werden können. „Hinterhofidylle zum Selbermachen“ – lockte zahlreiche Besucher an, denen Karen Thormeyer von der Hofberatung detaillierte Auskünfte geben konnte. Etwa 100 Höfe konnten bisher auf diesem Wege in Prenzlauer Berg naturnah umgestaltet werden. Mit der zunächst großzügigen Förderung war infolge des Berliner Bankenskandals 1997 erst einmal Schluss. Doch inzwischen stünden die Chancen wieder recht gut, beispielsweise über das Quartiersmanagement, Fördergelder bis zu 1000 € zu bekommen, machte Karen Thormeyer den Interessierten Mut. Denn es gehe dabei ja auch um das nachbarschaftliche Miteinander. Die von diesem neuen Lebensraum angezogenen Vögel, Insekten oder gar Fledermäuse sind noch eine Zugabe extra.
Einen wichtigen Punkt hatte ich mir im letzten Jahr vorgemerkt: Den Weingarten am Volkspark Prenzlauer Berg, Syringenplatz, Ecke Sigridstraße. Und bei schönstem Sonntagswetter, nach kurzem Gang durch eine Kleingartenanlage, befand ich mich mit einem Freund, der schon längere Zeit von diesem Kleinod der Stadtnatur schwärmte, inmitten eines idyllischen Weingartens: Kinder drängen sich um einen Leierkastenmann, auf dem Grill brutzeln Bratwürste, die Erwachsenen sitzen an mit Weinlaub dekorierten Tischen, verkosten den Wein des letzten Jahrgangs oder laben sich an einer kalten Gurkensuppe. Doch viele Besucher streifen auch durch die Reihen der kräftig gewachsenen Rebstöcke, bewundern den Weinschaugarten mit seinen verschiedenen Rebsorten oder tanken einfach Sonne unter der neu geschaffenen Pergola auf einem kleinen Weingartenhügel. Die Stadt im Hintergrund ist in diesen Momenten … janz weit weg.
Im Jahre 1999 wurden hier auf einer 2500 Quadratmeter großen Brachfläche, die früher dem Grünflächenamt Prenzlauer Berg gehörte, 400 Rebstöcke der Sorte „Riesling“ ausgesetzt. Doch damit war es nicht getan. Weinstöcke brauchen eine umfassende Pflege, wenn später ein edler Tropfen die Arbeit krönen soll. 2004 schlossen sich zehn begeisterte „Förderer des Weinbaus“ zum Förderverein „Weingarten Berlin“ e.V. zusammen. Die Mitgliederzahl ist inzwischen auf über das Doppelte gewachsen. Dr. Frank Pietsch, Vorsitzender des Fördervereins, sieht die Aufgaben des Vereins auch darin, die für viele wenig bekannte Geschichte des Berliner Weinbaus zu vermitteln, die bis in das Jahr 1133 zurückgeht, als Albrecht der Bär den Weinbau in die Mark Brandenburg brachte. Zunächst wurde er nur von Mönchen betrieben. Bereits 1565 besaß Berlin 70 Weinberge und 26 Weingärten entlang der Barnim-Hangkante. Und noch 1580 gab es, nach einer Polizeiverordnung, Wein nur für die gehobenen Stände, also für Ratsherren, Bürgermeister, Geistlichkeit und akademische Würdenträger. Damals gehörte Berlin, allerdings noch spärlich besiedelt, zu den bedeutendsten Weinbaugebieten in Brandenburg. Die Rebsorte Riesling wuchs, befördert durch gute stadtklimatische Bedingungen, bereits 1684 in einem Weingarten am heutigen Volkspark Prenzlauer Berg.
Mit der Neuanpflanzung 1999 wurde also eine fast uralte Tradition wiederbelebt. 2003 konnte der erste „Berliner Riesling“ gekeltert werden, der heute als „hauptstädtische Rarität und ein gefragtes Berlin-Präsent nicht nur für Weinliebhaber“ gilt. Gemeint sind damit auch offizielle Gäste der Hauptstadt aus Politik und Kultur, die sicher nicht schlecht staunen, wenn sie einen Rieslings-Wein aus Berlin als Gastpräsent erhalten.
1740 vernichtete ein strenger Frost einen Großteil der Rebstöcke, von dem sich der Berliner Weinbau nie wieder erholte. Diese Zäsur kennzeichnet auch den Beginn einer Entwicklung zur „Bierstadt“ Berlin, befördert durch gute Wasserqualitäten. Über all diese interessanten Details zur Berliner Weingeschichte hat der Förderverein auf 28 Tafeln eine große Ausstellung erstellt, die derzeit eingelagert einem neuen Standort entgegendämmert. Selbst der Maler Willi Sitte ist dort mit seinen Weinetiketten in der Rubrik „Wein und Kunst“ vertreten.
Doch damit nicht genug: Mit Unterstützung der österreichischen Botschaft konnten zwei Wiener Weingüter durch Vermittlung des Vereins Rebstöcke am Südosthang des Wasserturmplatzes an der Kolmarer Straße pflanzen. Angelegt wurde dieser Weinschaugarten als ein „Gemischter Satz“, bestehend aus drei Rebsorten, den es in dieser Form nur noch in Wien am Schloss Schönbrunn gibt. Und eben im Prenzlauer Berg, am ehemaligen Wasserturm … Viel Überzeugungsarbeit war von Seiten des Vereins dafür nötig, denn die Denkmalbehörde wollte keinen Weinbau, und so musste um jeden Rebstock gerungen werden.
Der „Berliner Riesling“ wird übrigens in der Nähe von Meißen in Proschwitz, beim Prinzen zur Lippe, dem größten privaten Weingut in Sachsen gekeltert. Zur ersten Lese 2003 waren es gerade einmal 250 kg Trauben, inzwischen werden in guten Jahren etwa 1000 kg Trauben geerntet. Es ist schon ein Ritual, wenn im Oktober, dort im Süden, geerntete Berliner Trauben gegen den Wein des Vorjahres „getauscht“ werden.
Wer mehr über den Weinbau in Berlin erfahren möchte, dem seien die Führungen am Wasserturm empfohlen. Am Steigrohrturm treffen sich am 7.7., am 8.9. und am 6.10. die Weinenthusiasten.
✒ Dieter Buchelt (Juli 2012)