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Mehr als 100 Jahre Schule, jetzt Kultur- und Bildungszentrum – der Gebäudekomplex „Sebastian Haffner“ an der Prenzlauer Allee.

Sie schreiben Kiezgeschichte und Kiezgeschichten: Die Menschen und die Orte, an denen sie leben oder arbeiten. Diese Geschichten können so vieles sein: Absurd oder liebenswert, voll Dramatik oder ganz alltäglich. Wie das Leben eben.
Ein Ort mitten im Kollwitzkiez versammelt lokale Geschichte und Geschichten, lädt zu Kunst, Kultur und Bildung: Das Kulturzentrum „Sebastian Haffner“ auf der Prenzlauer Allee.

Ein Ort der Bildung ist das Gebäudeensemble aus gelbem Backstein von Beginn an. Generationen von Kindern gingen täglich hierher, züchtig getrennt nach Knaben und Mädchen in den Anfangsjahren, später dann vereint zur sozialistischen Einheits-Erziehung. Das Kulturzentrum Sebastian Haffner blickt auf über 100jährige Geschichte als Schulstandort zurück. 1997 fiel der Beschluss, die Schule zu schließen. Das ist jetzt auch schon wieder 17 Jahre her. Kaum vorstellbar, dass der Grund der Schulschließung die sinkenden Schülerzahlen in Prenzlauer Berg waren. Seit einigen Jahren wachsen sie ja wieder und führen in manchen Kiezen zum Engpass.
Das Ensemble an der Prenzlauer Allee wuchs indes zu einem Standort anderer Bildung: Der Bildung in Kultur, Politik und Welt-Gewandtheit. Erst zogen die Kinder- und die Erwachsenen-Bibliothek und die Volkshochschule ein, zwei Jahre später auch das Prenzlauer-Berg-Museum. Ein „lebendiges Bildungszentrum am Wasserturm“, so beschreibt das betreibende Kulturamt das Areal.
An diesem Sonntagnachmittag, beschaulichen Stunden zwischen Mai-Sonne und Frühlingsschauern, ist es hier eher still. Keine Volkshochschulkurse, die Bibliothek ist sonntags geschlossen, lediglich das Museum im 1. Obergeschoss hat geöffnet. Lebendig wird es außerhalb des Areals: Hinterm Ausgang zur Kolmarer Straße sind die Stimmen der Kinder zu hören, die sich mit Gleichaltrigen auf dem Spielplatz balgen. Die Eltern schaukeln die leeren Kinderwagen oder stehen schwatzend am Zaun. Die Kultur findet open air am Wasserturm und dazugehörigem Grüngelände statt. Das Bildungszentrum Sebastian Haffner im Zentrum von Prenzlauer Berg hat Schulpause, wie es sich für einen Sonntag gehört.
Doch die Ausstellungsräume laden ein. „Gegenentwürfe“ heißt eine der Dauerausstellungen. Fotos, Schriftstücke, Ton- und Filmaufnahmen skizzieren den „Prenzlauer Berg vor, während und nach der Wende“. Wer die zwei Räume betritt, ist mittendrin in den vergangenen 30 Jahren des Bezirks, im Alltag, in der Politik, im großen historischen Wandel und seinen vielen kleinen Facetten und Geschichten. In sieben Themenkomplexen wird dieser Wandel ganz greifbar und konkret. Wie DDR-Wirtschaft funktionierte, zeigt beispielweise ein Themenkomplex, der sich mit dem „VEB Treffmodelle“ in der Greifswalder Straße befasst – einer Textilfabrik, die unter anderem Damenbekleidung für den Export herstellte. Heute, nach Jahren der Zwischennutzung von Kulturleuten und kleinen Kreativ-Unternehmen und anschließender Sanierung, ist die „fabrik“ ein schicker Atelier- und Büro-Komplex.

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Blick in die Ausstellungs-Etage des Kulturareals mit den Dauerausstellungen „Gegenentwürfe“ und „Die jüdische Schule in der Rykestraße“ Fotos (2): al

Themenkomplex zwei beleuchtet anhand der Gethsemanekirche, wie Umwelt-, Friedens- und Menschenrechtsgruppen sich unter dem Dach der Kirche versammelten, welche Aktionen sie in der zerbröckelnden DDR planten, wie dieser „Untergrund“ gefährdet war und wie mutig die Menschen beispielsweise zum Aufdecken des Wahlbetrugs 1989 und damit zum Untergang des totalitären Staates beitrugen.
Streifzug drei zeigt anhand des Helmholtz-Kiezes die soziale und bauliche Situation der Menschen in den 80er Jahren und betrachtet den Sanierungsprozess des Quartiers mit seinen politischen und ökonomischen, sozialen und ästhetischen Folgen bis in die Gegenwart. Auch die kreative Szene am Kollwitzplatz oder die Entstehung des Thälmannparks thematisiert die Schau „Gegenentwürfe“.
Weiter zurück in die Geschichte des Prenzlauer Berges, in eines ihrer schwarzen Kapitel, geht eine weitere Dauerausstellung, die sich bereits im Flur des 1. Stockwerks eröffnet. „Die jüdische Schule Rykestraße“ porträtiert in Bildern, Fotos, handschriftlichen Erinnerungen und Zeitungsausschnitten Entstehung und Ende jener Einrichtung, die 1904 vor der Synagoge in der Rykestraße errichtet wurde und von den Nazis 1941 geschlossen wurde. Seit 2008 können Schüler und Schülerinnen wieder in diesem Schulhaus lernen, in der Lauder Beth-Zion Grundschule.
Die Ausstellung betrachtet vor allem die Zeit der Schule als III. Private Volksschule der jüdischen Gemeinde, die 1926 eröffnet wurde und bis zu 500 Schüler unterrichtete. Neben Dokumenten, die Schüler, Schulleitung und Profil der Einrichtung skizzieren, sind vor allem jene Zeitzeugnisse eindrücklich, die die allmähliche Vertreibung jüdischen Lebens und die Beschränkung ihrer Rechte im Hitler-Regime zeigen: Das Verbot für Juden, sich auf die gleichen Bänke am Helmholtzplatz zu setzen, wie „arische“ Berliner etwa, das Verbot Haustiere zu halten bis hin schließlich zum Verbot der Schulen.
Diese Ausstellung im Kopf, fallen beim Verlassen des Bildungs-Areals denn auch die vielen Stolpersteine im Umkreis auf, die auf die Deportation jüdischer Bewohner verweisen. Wo überall diese Steine in Prenzlauer Berg zu finden sind, lässt sich nachlesen auf:   www.berlin.de/ba-pankow/museumsverbund/geschichte-stadtraum/stolpersteine.html
Zurück in der Gegenwart des Jahres 2014, sei noch auf das schöne mehrsprachige Literaturprojekt verwiesen, das die Bibliothek im Kultur- und Bildungszentrum seit einigen Monaten regelmäßig durchführt. Im „Sprachenkarussell“ werden Kinder ganz spielerisch an fremdsprachige Bücher herangeführt, an englische oder russische beispielsweise.
Sebastian Haffner übrigens, der dem Kultur- und Bildungszentrum des Prenzlauer Bergs seinen Namen gab, war politischer Journalist und Sohn eines der letzten Schulrektoren.
Mehr Informationen zum Kultur- und Bildungszentrum unter: 

www.berlin.de/ba-pankow/museumsverbund/prenzlauer/index.html
al (Jun 2014)