STADTWENDE

Wie Engagierte die Gründerquartiere retteten

Die Oderberger Straße, Mitte und Ende der 80er Jahre, war eine Keimzelle der Opposition. Dass deren Anliegen nicht nur eine freie, demokratische Gesellschaft war, dass sie auch die mehr und mehr verfallenden Häuser vor dem Abriss retteten, interessiert 30 Jahre danach auch WissenschaftlerInnen.

Matthias Klipp, Ulf Heitmann und Dorothee Dubrau sind als Bürgerbewegte aus Prenzlauer Berg der 80er und 90er Jahre inzwischen sogenannte ZeitzeugInnen. Zumindest, wenn es um das Engagement von Menschen in der DDR für den Erhalt ihrer Häuser und ihrer Städte geht. „Baupolitische Opposition“ nennen WissenschaftlerInnen von Universitäten und Instituten aus Erkner, Weimar, Kassel und Kaiserslautern sie und andere Aktive, die den Abriss historischer Stadtkerne und Straßenzüge in der DDR verhinderten – und deren Pläne oft genug nach der Wende zur Grundlage der Sanierung der Städte wurden. Im Forschungsprojekt „Stadtwende“ studieren die WissenschaftlerInnen diese Bürgerbewegungen nun erstmals systematisch. 

Neben Erfurt, Greifswald, Görlitz und Schwerin war ja vor allem auch Berlin ein bedeutsamer Ort dieser sogenannten baupolitischen Opposition. Hier hatten sich in Mitte und in Prenzlauer Berg gegen Ende der 80er Jahre die Menschen zu widerständischen Gruppen formiert. Ein Zentrum dieser oppositionellen Bewegung war die gut vernetzte, aufmüpfige Bewohnerschaft der Oderberger Straße. Aus Planerkreisen hatten die Bewohner erfahren, dass ihre Häuser abgerissen und durch Plattenbauten ersetzt werden sollten. Dagegen protestierte die unter dem Dach des offiziellen Wohnbezirksausschusses agierende Gruppe bei der SED-Kreisleitung Berlin. 

Choriner Straße Berlin Prenzlauer Berg
Grau, verfallen, nicht nur auf Schwarz-Weiß-Aufnahmen. So sahen sie aus, viele einst wunderschöne Häuser in der DDR. Foto: Gerd Danigel, www.gerd-danigel.de

ERFOLGREICHER WIDERSTAND

Zeitzeuge Matthias Klipp erzählte unlängst auf einer Veranstaltung in just jener Oderberger Straße, wie das genau war, als er sich gemeinsam mit weiteren MitstreiterInnen im Mai 1989 einfach in den Wohnbezirksausschuss wählen ließ. Sie schafften dann etwas schier Unmögliches: Sie luden den Chefarchitekten von Ostberlin, Roland Korn, auf eine Veranstaltung, auf der dieser erstmals über die Abrisspläne für die Oderberger Straße sprach. Einwände und Widerstand waren so groß, dass Korn die Pläne noch auf der Veranstaltung zurücknahm.

Klipp, der heute freiberuflich als Stadtentwicklungsexperte arbeitet, war auch in den Monaten und Jahren nach dem Mauerfall ein Streiter für die Gründerzeithäuser in der Oderberger Straße wie in Prenzlauer Berg. Politisch verantwortlich für die Sanierung u.a. als Baustadtrat des damaligen Stadtbezirks.

Ebenso wie Ulf Heitmann, das heutige Vorstandsmitglied der Genossenschaft Bremer Höhe. Streitbar blieb er: Ende der 90er trotzte er dem Berliner Senat den Komplex Bremer Höhe in der Buchholzer Straße ab und sanierte die Häuserzeile gemeinsam mit den anderen Genossenschaftsmitgliedern zu einem Vorzeigeprojekt sozialkulturellem Wohnungsbaus. 1990 gehörte Heitmann zu den VertreterInnen der Bürgerinitiativen am Runden Tisch des DDR-Bauministeriums. Auch Dorothee Dubrau ist eine jener Aktiven – und als Stadträtin für Stadtentwicklung in Prenzlauer Berg in den Jahren vor der Jahrtausendwende ebenso maßgeblich an der Sanierung beteiligt.

Klipp, Heitmann und Dubrau gehören zu den rund 200 Städtebau-Initiativen, die nach Recherchen der „Stadtwende“-Forschenden in 39 Städten der DDR aktiv waren. Viele gründete sich nach dem November 1989, 40 waren bereits vor dem Mauerfall aktiv. Und wurden es danach noch stärker. Besetzten die Häuser, entwarfen an den Runden Tischen Pläne zu Wiedernutzung und –Sanierung.

WIR BLEIBEN ALLE

In der Oderberger Straße wurde aus dem Wohnbezirksausschuss im Jahr 1991 die Initiative „Wir bleiben alle“. „Zur gleichen Zeit haben wir die Wohnungsbaugesellschaft dazu gebracht, mit allen besetzten Häusern Mietverträge zu unterschreiben“, erinnert sich Klipp. Zwei Jahre, 1993, erhielt  Ostberlin insgesamt 22 Sanierungsgebiete und dafür entsprechende Förderung. Fünf davon lagen in Prenzlauer Berg, zwei in Mitte, darunter auch die Spandauer Vorstadt. Der nun folgende Prozess von Sanierung, MieterInnen-Vertreibung und –Widerstand dagegen ist längst ebenso Geschichte und unter dem Begriff „Gentrifizierung“ zusammengefasst. Auch, wenn der Sanierungsträger in Prenzlauer Berg, die S.T.E.R.N. GmbH, für eine behutsame Stadterneuerung sorgen sollte. Die einst staatlichen Gebäude gingen an die früheren EigentümerInnen oder an neue BesitzerInnen. Den Rest regelte der Markt. Klipp: „Damals hat keiner daran gedacht, dass kommunaler Besitz von Wohnungen einmal so wichtig sein würde.“

Doch zurück zur Bauopposition der DDR und zum Forschungsprojekt. Im Projekt soll analysiert werden, wie sich genau diese Bürgerinitiativen zusammensetzten, was ihre Ziele waren und was sie dazu brachte, sich in einer solchen, in der DDR eigentlich verbotenen, Bürgerinitiative zu engagieren. Damit rücken auch die Organisationsformen der Gruppen in den Fokus: Welche gesellschaftlichen Träger nutzten sie, um sich zusammenzuschließen und einer Kriminalisierung zu entgehen? Welche Netzwerke entstanden neu und welche bestehenden Netzwerke der Umwelt- und Friedensgruppen wurden für die Kommunikation genutzt?

Antworten auf diese und weiteren Fragen sollen klären, welchen Beitrag diese Bürgerinitiativen gegen den Altstadtverfall zum Erfolg der Friedlichen Revolution von 1989 lieferten und welchen zum Gelingen der ostdeutschen Stadterneuerung.

Neben den theoretischen Forschungen gehören zum Projekt „Stadtwende“ ZeitzeugInnen-Gespräche wie das aus der Oderberger Straße. Auf der Homepage www.stadtwende.de sollen die ZeitzeugInnen auch in Videos Auskunft geben.

-red-, Nov. 2019