Pastor Reinhard Assmann aus der Zoar-Gemeinde beendet am 30. November seinen Dienst.
„Ich wollte nie Pastor werden. Und was bin ich geworden? Pastor.“ Sätzen wie diesen kann man einen verbitterten, zynischen oder resignierten Unterton geben. Bei Reinhard Assmann klängen sie wohl eher belustigt – vielleicht sogar stolz. Denn er ist Gemeindepastor … beziehungsweise er wird es demnächst gewesen sein, denn am 30. November wird der Hirte der baptistischen Zoar-Gemeinde in Prenzlauer Berg in den Ruhestand entlassen.
„Pastor ist eine Berufung und ich fühlte mich überhaupt nicht berufen, Pastor zu werden“, erinnert sich Assmann an die Zeit vor 1981 als er sich noch mit Händen und Füßen gegen dieses Berufsziel gesträubt hat. „Mein Vater war schon Pastor, da wusste ich ja, was das für eine harte Arbeit ist.“ Frei nach der Devise „will man dem lieben Gott zum Lachen bringen, sollte man ihm von seinen Plänen erzählen.“ wollte Assmann lieber Mathematik studieren. Leider war die eigentliche Geschichte, weswegen nichts aus diesem Studium wurde, nicht so witzig. „1972 habe ich beantragt, Bausoldat zu werden, damit ich keinen Dienst an der Waffe leisten muss. Dies bedeutete, dass meine Zulassung zum Studium an der TU Dresden umgehend zurückgezogen wurde. Ich könne mit meiner christlichen Überzeugung doch Pfarrer werden, meinte damals einer der Professoren.“ Doch anstatt den Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen, suchte sich Assmann einen Hilfsjob mit Ausbildungsplatz bei Robotron. Dabei wollte er eigentlich nie als Elektromechaniker arbeiten. Aber der Job war gerade frei und Assmann war jung und brauchte eine Ausbildung.
Doch pünktlich zum Ende der Ausbildung meldete Assmanns Vermieter Eigenbedarf an und der frischgebackene Fachmechaniker zog zurück zu seinen Eltern. „Dort, in Templin, gab es eine riesengroße Einrichtung für Menschen mit Behinderungen. Und da ich ja ohnehin etwas anderes ausprobieren wollte, begann ich dort als Hilfspfleger im Kinderhaus.“ Geendet hat er als ausgebildeter Erzieher für ‚nichtschulbildbare’ Kinder, wie es in der DDR hieß.
Und wie lief es mit dem Wehrdienst? „Ich bin nie eingezogen worden“. In Assmanns Stasi-Akte findet er dazu einen Hinweis. „In der Jugendgruppe, die ich damals leitete, haben wohl fünf Jugendliche verweigert oder auch beantragt, als Bausoldat dienen zu können. Daraus schlussfolgerte die Stasi, dass ich Wehrkraft zersetzenden Einfluss ausüben würde“, folgert Assmann wiederum. So blieb ihm also durch seine erste theologische Tätigkeit der Wehrdienst erspart – denn diese Jugendlichen gehörten der Templiner Baptistengemeinde an.
Assmanns Interesse an der Theologie war gewachsen und er beschloss, zu einem baptistischen Ausbildungsinstitut zu gehen, dem Theologischen Seminar in Buckow/Märkische Schweiz. „Na endlich!“, seufzte der liebe Gott erleichtert. „Nein, ich will dort nur Theologie studieren – nicht Pastor werden!“ – „Sondern?“, fragte das Seminar. Denn eigentlich setzte es den Wunsch voraus, nach dem Studium die Pastorenlaufbahn einzuschlagen. Aber da eh ein Platz frei war, stellten die Dozenten keine weitere Fragen und Assmann wurde nach den vier Jahren … Pastor. „Ich hatte keine andere Idee“, gibt er heuer zu. Die Gemeindevermittlung schickte ihn nach Bitterfeld. „Damals war noch nicht bekannt, dass es die wohl schmutzigste Stadt Europas war“, erläutert Assmann. „Die Luft dort war wunderbar – jedenfalls was die Luft in der Gemeinde betrifft. Die Luft zum Atmen war natürlich sehr schlecht.“ 2003 landete er schließlich in Prenzlauer Berg. Die dortige Zoar-Gemeinde hat seit 1998 ein Haus mit einer Wohnstätte für Menschen mit Behinderungen, die zum Beispiel an der Nervenkrankheit Huntington leiden.
Einige nehmen am Gemeindeleben teil, andere treffen sich mit Gemeindemitgliedern bei Begegnungsabenden oder im Café des Hauses Zoar. Hin und wieder gibt es gemeinsam gestaltete Gottesdienste. „Die Arbeit mit Behinderten kannte ich ja schon aus meiner Erzieherzeit“, sagt Assmann. „Aber es ist immer wieder eine Herausforderung, eine Form zu finden, solche Gottesdienst so zu gestalten, dass alle daran Spaß haben. Teilweise erinnern diese Gottesdienste dann an Familiengottesdienste.“
Doch nicht nur in dieser Beziehung konnte sich Assmann einbringen. Seit über einem Jahr unterstützt er die Bemühungen für die Gründung einer Gemeinde-Kita. Und seit Sommer gibt es eine Pfadfindergruppe, die allerdings noch im Aufbau ist und ausschließlich aus Wölflingen besteht, also aus Pfadfindern im Grundschulalter.
Auch die Ökumene ist ihm sehr wichtig. So engagierte er sich im Ökumenischen Arbeitskreis Prenzlauer Berg zum Beispiel für die gemeinsamen Gethsemane-Straßenfeste.
Zum traurigen Jahrestag der Novemberpogrome haben er und Mitglieder des Arbeitskreises erforscht, wo in der Schönhauser Allee Juden Geschäfte beziehungsweise Einrichtungen wie Kanzleien oder Praxen hatten. An vielen dieser über 60 (!) Stationen standen Gemeindemitglieder mit Kerzen und Blumen und zeigten ihre nachgebastelten Schilder zu der Einrichtung. Klezmer- und andere Musiker spielten an der Straße. Unter den fast 2000 Menschen, die im November 2008 die so verwandelte Schönhauser Allee entlang liefen, war auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse, der in Prenzlauer Berg wohnt.
Auch die Ausstellung zu „20 Jahre Friedliche Revolution“ in den Schönhauser-Allee-Arcaden 2009 habe er mitinitiiert und -gestaltet.
Doch die passive Phase seiner Altersteilzeit wird nicht zu passiv: Für 2013 plant Assmann mit dem Arbeitskreis ein Filmprojekt im Colosseum. „Dort sollten Filme aus der DDR gezeigt werden, die sich mit Kirche und Religion befassen. Wir wollen mit Schauspielern und Regisseuren von damals und heutigen Persönlichkeiten ins Gespräch darüber kommen, welche Wirkung diese Filme hatten und bis heute haben“, erläutert Assmann.
Wenn er sagt, dass ihm die Ökumene sehr wichtig sei, meint der freikirchliche Protestant nicht nur, dass er den Kontakt zu den Lutheranern oder auch zu den Katholiken im Kiez sucht. „Als 2006 bekannt wurde, dass die erste Moschee Ost-Berlins gebaut werden sollte, hagelte es Proteste. Die NPD und die CDU demonstrierten gegen den Bau“, erinnert sich der Pastor. „Aber ein Markenzeichen der Baptisten seit ihrer Gründung ist es, sich für Religionsfreiheit nicht nur für Christen einzusetzen. Also habe ich den Imam in der heißen Phase zu einem ökumenischen Podiumsgespräch und danach in unseren Gottesdienst eingeladen. Viele Anwohner und auch Gemeindemitglieder waren skeptisch. Die Ahmadiyya-Muslim-Gemeinschaft, die die Khadija-Moschee hier in Heinersdorf erbauen ließ, ist übrigens pazifistisch eingestellt. Und nach meinem Interview mit ihm im Gottesdienst hat die ganze Gemeinde geklatscht.“ Kein Wunder also, dass auch der Imam Abdul Basit Tariq sich zu der feierlichen Verabschiedung am 18. November angekündigt hat. Sie beginnt um 10 Uhr mit einem feierlichen Gottesdienst in der Cantianstraße 9.
✒ Alexandra Wolff (Okt 2012)