FILMFESTIVAL

Vor und hinter der Mauer

Sie stand 28 Jahre und prägt die Geschichtsschreibung Deutschlands wohl auf Ewigkeiten. Nun hat der Historiker Stephan Müller der Berliner Mauer ein ganzes Filmfestival gewidmet. Zum 60. Jahrestag des Mauerbaus gibt es 75 Filme umsonst und draußen, am historischen Ort.

 

Es geschieht am 13. August 1961, in den frühen Morgenstunden. Sprichwörtlich über Nacht, in einer Nacht- und Nebelaktion, lässt der DDR-Staatschef Walter Ulbricht die Sektorengrenze nach West-Berlin mit Stacheldraht absperren. Mehr als 10.000 Volks- und Grenzpolizisten, unterstützt von einigen tausend Kampfgruppen-Mitgliedern, reißen mitten in Berlin das Straßenpflaster auf, errichten aus Asphaltstücken und Pflastersteinen Barrikaden, rammen Betonpfähle ein und ziehen Stacheldrahtverhaue. Mit Ausnahme von 13 Kontrollpunkten riegeln sie alle Sektorenübergänge ab. Der Durchgangsverkehr der S- und U-Bahnlinien wird dauerhaft unterbrochen, der Intersektorenverkehr auf je einen S- und U-Bahnsteig im Bahnhof Friedrichstraße reduziert. 13 U- und S-Bahnhöfe werden für Ost-Berliner:innen geschlossen. Ost-Berlin ist dicht, bald darauf die gesamte DDR.

Das DDR-Fernsehen berichtet propagandistisch über den Mauerbau: „die kommunistischen Arbeiter:innen schützen sich mit der Mauerkelle gegen die Imperialist:innen aus dem Westen.“ Die Wochenschauen im Westen reagieren geschockt und besorgt über das Einmauern. Dies sind nur zwei von 75 Dokumentarfilmen, Filmschnipseln und Fernsehberichten, die das Festival „Mauerfilme“ vom 13. bis  15. August zeigt. Am historischen Ort, Open Air: Im Amphitheater im Mauerpark. Da, wo einst die Mauer stand. Eröffnet wird das dreitägige Fest am Freitag von Zeitzeug:innen wie dem Fluchthelfer Dr. Burkhardt Veigel, dem Regisseur Hans-Dieter Grabe, dem Berliner Beauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Tom Sello und anderen. Zeitzeug:innen, Filmemacher:innen und Historiker:innen werden an allen drei Filmtagen zu Gast sein und dem Filmmaterial ihre persönlichen Erinnerungen und Stimmen beifügen

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Die Mauer von West-Berlin aus. Foto: Paul Kremer

ALLTAG, FLUCHTEN, TOD

28 Jahre stand die Mauer, trennte Deutschland, trennte die Welt in Ost und West. Unüberwindbar. Vor 32 Jahren verschwand sie, eingerissen vom Freiheitswillen der Menschen in der DDR. Sie ist länger weg als sie da war – doch die Erinnerung an dieses menschenverachtende Bollwerk sollte nicht verschwinden.

Und so hat Stephan Müller, der seit vielen Jahren auch das Filmfest Prenzlauerberginale veranstaltet, gemeinsam mit weiteren Kurator:innen in Archiven gestöbert. Sie waren, so Müller, „beim Sichten der Filme manchmal selbst überrascht, wie schnell und umfassend sich im Rückblick Perspektiven von Menschen durch einschneidende Ereignisse wandeln können.“

Das Programm umrundet mit einem breiten Themenkreis die Zeit von kurz vor dem Mauerbau bis tief hinein in die 28 Jahre des deutsch-deutschen Lebens und Leidens mit dem Betonwall und dann, nach 1989, dem Leben nach dem Mauerfall, dem Zusammenbruch des Staates DDR. Thematisch sind die Live-Gespräche und Filmbeiträge geordnet nach „Abriegelung 1961“, „Abhauen in den Westen“, „Maueralltag“, „Flucht & Schießbefehl“, „Horch, Guck & Greif“, „Deutsch-Deutsche Grenze“ und „Mauerfall, und dann?“. Vereint sind in diesen Themenblöcken jeweils Filme aus Ost und West, Berichte, Fiktionen. Sie zeigen neben den historischen Ereignissen damit auch immer die politischen Sichtweisen beider Staaten auf die Zeit seit der Teilung bis hin zur Wiedervereinigung. Kurzspielfilme zeigen Fluchtversuche, Kriminalistische Fälle, Alltagsleben. Darunter ist auch der Film „Die Mauer“, der es auf die Longlist der Oscars schaffte. 

Weitere Fundstücke sind Propaganda-Filme, die aus dem Westen in die DDR Geflüchtete porträtieren oder die Grenzsoldaten zu Helden stilisieren. Insgesamt 25 Stunden Film sind an den drei Festival-Tagen zu sehen.

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Abgeriegelt: Die Mauer in Ost-Berlin. Foto: Heinz Jura.

MAUER FÜR JUNGE MENSCHEN

Am Samstagnachmittag präsentiert das Festival einen Filmblock für junge Menschen ab acht Jahren. „Mauerfilme mit Kind & Kegel“ versammelt Animations- und Kurzfilme, die aus der Perspektive von Kindern und Jugendlichen auf das Leben hinter der Mauer blicken. Eine detailgenaue Computeranimation zeigt, wie es an der innerdeutschen Grenze tatsächlich aussah. Dazu berichten Zeitzeug:innen live von ihrer Kindheit in der DDR.

Humor und Berliner Mauer – das sind zwei Themen, die auf den ersten Blick nicht so recht zueinander passen wollen. Doch auch für dieses Thema gibt es filmisches Material. Am frühen Sonntagabend liefert der Filmblock „Mauer, Karneval & Kabarett“ Satirisches aus der Zeit zwischen 1961 und 1994. Im Anschluss kommt der Berliner Stand-up-Comedian Stefan Danziger live im Amphitheater vorbei und erzählt „Die wahre Geschichte über den Mauerfall“.   

28 Jahre zuvor, im Morgengrauen des 13. August 1961, steht hinter denen, die mit Stacheldraht Ost-Berlin abriegeln, die Nationale Volksarmee mit mehr als 7.000 Soldaten und mehreren hundert Panzern bereit, um Durchbrüche zu den Sektorengrenzen zu verhindern. Sowjetische Truppen bilden rund um Berlin eine dritte Sicherungsstaffel. 

Fassungslos stehen sich die West-Berliner:innen auf der einen, die Ost-Berliner:innen und Bewohner:innen des Umlandes auf der anderen Seite am Stacheldraht gegenüber. Auf der Ostseite halten Kampfgruppen und Volkspolizei die Umstehenden mit Maschinengewehren in Schach; wer protestiert, wird festgenommen. Auf der Westseite schirmt West-Berliner Polizei die Grenzanlagen vor den erregten Bürgern ab. Am 14. August 1961 wird das Brandenburger Tor als Sektorenübergang für West-Berliner geschlossen: wegen anhaltender Proteste größerer Menschenansammlungen, und: „vorübergehend", wie es heißt.

-al-, Auguts 2021

Festival „Mauerfilme“ vom 13. bis 15. August im Amphitheater, Mauerpark.

Mehr Informationen, das Programm von „Mauerfilme“ auf: www.mauerbau.berlin