PRENZLAUER BERG IM WINTER 2014 (1)

Auf der Sternen-Baustelle

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Außen schön, innen Baustelle für die großen Fragen: Bis zum Frühjahr 2016 wird das Zeiss-Großplanetarium saniert.

Wir stehen an der Schwelle zu einem neuen Jahr. Es ist das Jahr 16 in diesem 3. Jahrtausend. Schwellen sind gute Orte für Grundsatz-Fragen. Wo steht Prenzlauer Berg, dieser unaufhörlich beliebte Stadtteil? Wohin verändert er sich – wenn er sich denn noch verändert? Eine Standortbestimmung mit den Visionären von Prenzlauer Berg.

Wie er wohl klingt, der Sternenhimmel? Schon antike Philosophen schwärmten von den harmonischen Klängen kosmischer Musik, postpostmoderne Forscher fingen beinahe die Geräusche des Urknalls auf. Dass es möglich ist, Gravitationswellen in akustische Wellen zu verwandeln und damit hörbar zu machen. Dass es irgendwann möglich sein wird, die Geburt des Universums auch 14 Milliarden Jahre danach zu hören als geschähe die Schöpfung gerade jetzt, das gehört zu den Wundern, mit der Wissenschaft manchmal, nun ja, verzaubern kann.
Es ist die Zeit der Wissenschaft, die Zeit der Astronomie, so scheint es. Der deutsche Astronaut Alexander Gerst führte während seinen Aufenthaltes im All minutiös twitter-Tagebuch, und wir hier unten waren mit ihm da oben und sahen hinunter auf unseren schönen, zerbrechlichen Planeten. Die Raumsonde Rosetta dockte erstmals an einen Kometen an und lieferte Bilder von dem Himmelskörper, dessen Geschwister möglicherweise das Leben auf der Erde mit erschaffen haben. Und weltweit bewerben sich Menschen, um in ein paar Jahren Bewohner der ersten Mars-Kolonie zu sein.

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Ein neues Foyer empfängt künftig die Besucher, bevor sie in den Himmelskosmos der Kuppel schreiten.

„Es ist das Wesen der Menschen, dass wir wissen wollen: Woher wir kommen, wo wir stehen, wohin die Reise geht und ob wir sie allein machen“, sagt Tim Florian Horn. Wenn alles nach Plan geht, dann wird das Zeiss-Großplanetarium ab Frühjahr 2016 der Ort, an dem diese Fragen gestellt und in Ansätzen beantwortet werden.
Im Augenblick ist das Planetarium ein großes leeres Nichts, eine Sternen-Baustelle. Entblößt bis auf die Grundstruktur, offenbart der riesige Rundling seine wahre Dimension.  „Ein Industriedenkmal“, sagt Horn und die Sanierung, die er als Leiter des Rundlings verantwortet, findet mit aller Behutsamkeit und allem Respekt vor dem Haus, Entstehungszeit 1987, statt. „Ich habe die alten Baupläne gefunden, und wir können jetzt teilweise realisieren, was damals technisch nicht möglich war“, sagt Horn. Dieser Satz erzählt, wie der studierte Multi-Media-Producer und Astronom so tickt. Er bewahrt das Vorgefundene in seiner Kostbarkeit und macht es für eine neue Zeit nutzbar.
Ein Sternen-, nein, ein Wissenschaftstheater wird das Planetarium werden, das modernste Europas. Das ist eine schöne Vision: Die Astronomie und ihr verwandte Wissenschaften treffen aufeinander, auf Kunst und Menschen. Der Begriff Theater impliziert zudem, dass wir es nicht nur mit den fernen, nahen Sternen zu tun haben, auch mit Menschen, die sie uns zeigen. Die neuen Kosmos-Shows werden live moderiert, die Moderatoren sind mit den aktuellsten kosmischen Erkenntnissen gebrieft. Wer will, kann sie nach den Sternen fragen.
Wie er wohl klingen wird, der neue Sternenhimmel? Im Augenblick, da nichts den Schall im leeren Rund der Planetariumskuppel bremst, klingen Stimmen übermächtig. Die nackten Beton- und Backsteinmauern werfen den Menschen auf sich selbst zurück. Wohin geht seine Reise, wo kommt er her? Wenn diese Kuppel wieder kosmos-schwarz sein wird, dann werden wir nebeneinander auf neuen dunklen Sesseln sitzen und hinaufschauen in die Unendlichkeit. Wir werden die Sterne zu uns reisen lassen und nach Antworten spähen, einige von ihnen hören. Der neue Sternenhimmel kommt in 3-D. Ein neuer Projektor wird den Kosmos ins 23-Meter-Rund der Planetariumskuppel zeichnen.

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Tim Florian Horn, der Leiter des Planetariums. Fotos: Promo Planetarium

Sie dauert etwas länger als vorgesehen, die Erneuerung von Ausstattung und Technik. Dafür wird auch das Dach des Planetariums saniert. Und es ist Gelegenheit, die neuen Sternen-Programme vorzubereiten und die Visionen vom Wissenschaftstheater zu vergrößern und zu konkretisieren.
Das neue Profil des Planetariums beschränkt sich nicht nur auf Programme, Technik und Projektionen in der Kuppel oben. Es beginnt bereits unten, am Eingang. Ein neuer Empfang steht dann am neuen Ort im Foyer, es wird ein neues Cafe und ein kleines Museum im Eingangsrund geben. Ein Kino, das auch für die Kleinkunst genutzt werden kann, mit den alten roten Kinosesseln und neuer Filmtechnik. Auch der alte Cosmorama-Projektor des Planetariums, der in mehr als 25 Jahren für mehr als 2,5 Millionen Besucher die Sterne in die Himmelskuppel warf, wird einen Ehrenplatz im Erdgeschoss erhalten.
Wie er sich wohl anfühlt, der neue Sternenhimmel? Draußen, im Park, werden Sonne und Mond, Merkur, Jupiter und Co. erlebbar sein. Ein Planetenlehrpfad soll die Entfernungen und Größenverhältnisse des Sonnensystems erkundbar machen. Ein Spielplatz wird zum Mars-Spielplatz.
Hier, am Spielplatz angekommen, erhalten die großen Fragen nach dem Woher und Wohin von uns Menschen eine andere Dimension. Hier trifft die Vision des neuen Planetariums auf die Realität des Ortes, an dem es steht: Prenzlauer Berg. Und hier wird dessen Wesen auf besondere Weise charakterisiert, sagt Tim Florian Horn. Das Stimmengewirr ist international, die Herkunft der Kinder und Eltern global, die Möglichkeiten, sich auszuprobieren, unbegrenzt.
Das wäre dann eine sehr brauchbare Standortbestimmung für das 3. Jahrtausend: Draußen auf dem Spielplatz die freie Wahl irdischer Grenzenlosigkeit, drinnen in der Kuppel die Reise in den Kosmos, vielleicht zu den Anfängen. Dann die Rückkehr nach Hause, auf unsere schöne, zerbrechliche Erde. Womöglich mit gleicher Erkenntnis, wie sie der Astronaut Alexander Gerst formulierte: „Die Erde ist unser Raumschiff, und wenn das Raumschiff kaputt ist, ist es mit uns vorbei“.
Das erste Programm des neuen Wissenschaftstheaters heißt: „Sterne über Berlin.“
Katharina Fial (Dez 2014)
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