... wie ein Schlossgarten aus einem Grimmschen Märchen

Liebe Leser, bevor ich mich heute mit dem Winsviertel beschäftige, möchte ich für die zahlreiche Resonanz und die diesbezügliche konstruktive Kritik danken. Ist es nicht schrecklich, dass wir in unserer Demokratie noch immer gezwungen sind, eine spezielle Gruppe von Menschen besonders zu schützen? 

Ich hatte zwar zu meinem Kiezspaziergang notiert, dass in der Synagoge auch heute noch eine Schule untergebracht ist, aber leider war diese Info „auf dem Weg zum Artikel“ bei mir „irgendwie verschwunden“. Danke für diesen Hinweis des Lesers! 

 

Bleiben wir beim Thema „jüdisches Leben“: im nächsten Kiez – in der Winsstraße 62 – lebte Fa­mi­lie Rosenthal. Eine Ge­denk­tafel am Haus erinnert daran. Nebenstehend sehen Sie Originaldokumente der Perver­sität des Systems in den 30er Jahren. Die ständige Bespit­zelung durch Nachbarn und Freun­de, das alltägliche Denun­ziantentum, war normal. Men­schen wurden systematisch fertig gemacht, wurden nur wegen ihrer Ahnen zu etwas Ander­sartigem, zu angeblichen Staatsfeinden erklärt. Dieser Rassen­hass wurde übertüncht von „stinknormalen“ bürokratischen Tätigkeiten mit entsprechendem Schriftverkehr.

Gruslig oder? Alle machten mit, aber keiner will hinterher etwas davon gewusst haben!

 

Weil es nach dieser Lektüre im Prenzlauer-Berg-Museum gut passte, bin ich auf Anregung eines Lesers hin auf den Friedhöfen in der Prenzlauer Allee, St. Marien & St. Nicolai und dann hinüber zum St. Georgen-Friedhof, herum gewandert.  Es soll dort ein „Park der Stille“ entstehen. Hoffentlich ist die geplante Bebauung mit Lofts wirklich endlich gestorben! Berlin will „klimafreundlich“ werden, bebaut aber alle Freiflächen, auf denen sich noch Natur behauptet.

St. Marien & St. Nicolai: man findet hier herrlich alten Baum­bestand, von dem nun leider schon einige Bäume gefällt sind. Mannshohes Gras wechselt mit Gestrüpp und alten Farnen. 

Der Eingang ist recht unscheinbar in der Prenzlauer Allee stadt­auswärts, einige Meter hinter dem EWA-Frauenzentrum; von der Straße aus sieht man nur Gestrüpp. Direkt hinter dem Eingang links ein alter Stein­metz. Man sieht viele gestürzte Grabsteine. Dazwischen uralte Familiengruften – kunstvoll geschmiedete Einfassungen, polierter Marmor, außer Form geratene Wacholderbüsche und alles überwuchert von Efeu­-ran­ken. Man kommt sich vor wie in einem verwunschenen Schlossgarten aus einem Grimm­schen Märchen. Es ist fast wie ein Stück Dschungel­paradies mitten in der Stadt, das unbedingt erhalten werden muss. Ich dachte schon, der Friedhof insgesamt sei „tot“, fand dann aber zum Georgen­friedhof hin auch einige frische, gepflegte Gräber.

Auf dem St.-Georgen-Friedhof hat mich am meisten ein Familiengrab – was sag ich: das ist weder ein Grab noch 'ne bloße Gruft, sondern eher ein Mausoleum! – beeindruckt. Säulen so hoch wie auf der Akropolis, ein riesiger Wandelgang, in der Mitte kleinere Grabsteine. Alles angelegt wie ein Tempel. Ruhestätte der Familie Patschke. Das ganze Monument hat Ausmaße wie ein ganzer Flügel des Brandenburger Tores!

Nun möchte ich mit Ihnen ans andere Ende der Wins­straße gehen. Ursprünglich wurde sie noch über die Danziger Straße fortgesetzt und verlief vermutlich einige Meter neben der heutigen Ella-Kay-Straße zu einem Nebeneingang der Gasanstalt. Die Parkanlage an der Danziger Straße entstand in den 30er Jahren. Der Baumbestand ist alt. Wie schon an der Ecke Prenz­lauer Allee/Danziger Straße wurde auch in dieser Park­anlage erst vor wenigen Wochen ein alter Baum gefällt, ohne Ersatz dafür zu pflanzen.

In dem grauen Eckhaus Diesterweg-/Danziger Straße war 1983 ein Wehrkreiskommando der Nationalen Volksarmee. Wenn man damals innerhalb der DDR umzog, musste MANN sich nicht nur bei der Polizei ummelden, sondern auch beim Wehrkreiskommando. 

Ich zog am 1. März 1983 in den Prenzlauer Berg. Aller­dings klappte die Ummeldung auf eben diesem Wehrkreiskommando nicht und ich wurde von einem Wachhabenden mit den Worten abgewimmelt: „ ... wissen Se' … heute ist doch Tag der NVA, da arbeitet doch hier keener. Komm' Se morjen wieda!“ Ich dachte indes: „Ihr hattet eure Chance!“ und hoffte darauf, dass mich die NVA vielleicht „vergisst“ und mich nicht mehr zum Grundwehrdienst einziehen würde, ich war damals schließlich schon zweiundzwanzig. Leider wurde ich aber nicht vergessen und rückte am 2. Mai 85 als „Vermesser“ bei der „Geschosswerferabteilung 1“ in Klietz ein. 

Das Gaswerk Prenzlauer Berg war von 1871 bis 1981 in Betrieb. Bis dahin lag über allen angrenzenden Straßen und auch noch hinter der S-Bahn ständig eine dicke Schicht Kohlestaub, die einen zum wöchentlichen Fen­sterputzen verurteilte. Das Planetarium an der Prenz­lauer Allee sollte ursprünglich in einem der Behälter unterkommen und die Gaso­meter erhalten bleiben, sie standen wohl auch unter Denkmalschutz. Aber nach damaligen Gerüchten wollte dessen Architekt lieber einen Neubau und so wurden buchstäblich bei Nacht und Nebel mitten im Juli 84 die Gasometer heimlich gesprengt. Ich saß in jener Nacht mit meinem Nachbarn Mario bei einem guten Trop­fen auf dessen Balkon, als es mehrfach rummste. 

Am nächsten Morgen, früh gegen halb sechs, verließ ich das Haus, um zur Arbeit zu fahren. Man sah man an allen Ecken im Prenzlauer Berg sehr aufgeregte Polizisten, die eiligst Losungen wie „Gasometer sprengt man nicht!“ an Häu­ser­wänden und Litfaßsäulen übertünchten.

Ursprünglich standen übrigens mehr als nur diese zwei gesprengten Gasbehälter auf dem Gelände. Ein weiterer soll Greifswalder/Danziger gestanden haben und ein Vierter lässt sich auf älteren Luftbildaufnahmen noch erahnen.

 

Über das Rettungsamt in der Marienburger Straße, über die Immanuelkirche und über vieles andere mehr berichte ich in der nächsten Ausgabe und im Kiezspaziergang durch den Winskiez. Treffpunkt ist am 27. August um 14 Uhr Marienburger Straße/Prenz­lauer Alle vor der Post.

 

Rolf Gänsrich (Aug 2011)