Tote Alliierte eiligst im Löschteich vergraben

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin Helmholtzkiez
Auf dem Helmholtzplatz

Noch vor wenigen Jahren war es für typisch für Prenz­lauer Berg, dass es eine Menge Freiräume gab, Flächen, auf denen mal Häuser standen, die aber nach dem letzten Weltkrieg nicht mehr neu bebaut wurden. Einige dieser Flächen hat man für die Öffentlichkeit erhalten und darauf z.B. Spielplätze und Grünflächen gebaut. Doch viele Baulücken wurden in den letzten Jahren mit Neubauten geschlossen, was eine zunehmende Ver­dichtung zur Folge hat. Der Mangel an Freiräumen wird spürbar, auch im Helmholtzkiez.

 

In Berlin wurden vom ersten Kriegs­­tag an Bordsteinkanten mit Leuchtfarbe gestrichen, denn eine Straßenbeleuchtung gab es im Krieg nicht mehr. Auch wurde nachts Ver­dunk­lung angeordnet. Die Menschen mussten die Fensterläden schließen und Rollos herunter lassen. PKWs, Straßen- und S-Bahnen fuhren mit Tarn­scheinwerfern, die nur noch einen kleinen Lichtschlitz nach vorn warfen.

Selbst in den Bussen und Bahnen war „Verdunklung“ angesagt, die Fahr­gastkabinen hatten an den Scheiben Rollos und wurden innen nur schummerig beleuchtet. Die S-Bahnen zum Beispiel hörte man in die unbeleuchteten Bahnhöfe einfahren, bevor man sie sah. Da in dieser permanenten Dunkelheit und bei Gedränge auch oft die Zugtüren kaum von Wagenzwischenräumen zu unterscheiden waren, schweißte man bald Metallbügel in Brusthöhe an die Waggonenden; auch wegen einiger Unfälle, bei denen Men­schen von Bahnsteigkanten auf Gleise und Strom­schienen gefallen waren.

Das Leben unter den permanenten Luftangriffen muss zermürbend für die Zivilbevölkerung gewesen sein. Ständig auf gepackten Koffern oder im Luftschutz­raum stunden-, ja, tagelang herumsitzen, warten und hoffen, dass man auch den nächsten Luftangriff wieder übersteht.

Berlin wurde von 1940 bis 1945 bombardiert, aber da hieß der Chef der Deutschen Luftwaffe, Hermann Gö­ring, schon lange in der Berliner Bevölkerung nur noch „Meier“! Hatte doch der „Goldfasan“ oder „Lametta-Heini“, wie er auch hieß, bei Kriegsbeginn voll­mundig erklärt, er wolle Meier heißen, sollte jemals ein alliiertes Flugzeug Berlin erreichen. 

Mein Vater, in der Pappelallee 62 aufgewachsen und bei Kriegsende gerade erst vier Jahre alt, erzählte mir oft, wie schlimm gerade die letzten Kriegstage waren. Ständig raus aus dem warmen Bett, rein in den kalten, muffigen Keller des Hauses - warten. Mal war auch plötzlich seine Mutter weg, weil sie von irgendwoher was zu essen organisierte und die dann wohl bei einem dieser „Ausflüge“ nur um Haares­breite einem Scharf­schüt­zen entging …

Dann die letzten Tage, an denen sie gar nicht mehr aus den Kellern heraus kamen, das war schon jene Zeit, zu der viele Leute die Fenster in ihren Woh­nungen mit Holz und Pappe vernagelt hatten. Durch die Druck­wellen bei den Luftangriffen waren die meisten Fensterscheiben in der Stadt zersprungen. Glas war Mangelware und viele, die neue Glasscheiben hätten bekommen können, vernagelten trotzdem lieber ihre Fenster, denn beim nächsten Luftangriff splitterten die Scheiben ohnehin wieder. Hinzu kam die dann noch erhöhte Ver­letzungsgefahr durch eben jene Glassplitter.

In den letzten Kriegstagen gab es schließlich in der Stadt keinen eindeutigen Frontverlauf mehr. Saßen um zwölf Uhr im Keller des Vorderhauses die Russen und im Dachgeschoss des Seitenflügels noch die Wehr­macht, konnte das eine Stunde später bereits wieder umgekehrt sein.

Hinzu kam, dass die meisten Keller eines Häuser­blocks untereinander verbunden waren. Die trennenden Wände waren überall bereits zu Kriegsbeginn nur lose zugemauert und sollten als Fluchtweg für die in diesem Schutzraum Sitzenden dienen, sollte deren Haus von Bomben getroffen werden. Zum Kriegsende hin waren die meisten dieser Mauerdurchbrüche von der Bevölkerung längst begehbar gemacht.

Mein Vater erzählte mir noch so einiges von diesen letzten Kampfhandlungen, die er als Kind mitbekam und wie ständig Soldaten in anderen Uniformen durch die Keller flitzten.

Kurz vor der eigentlichen Kapitulation Berlins am 2. Mai 1945 brach noch eine Gruppe von SS- und Wehrmachtssoldaten aus dem Berliner Kessel in Richtung Norden aus, genau durch diese Keller in der Pappelallee.

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Noch bis 2010 gab es zugewachsene Fassaden im Helmholtzkiez

Von den Kampfhandlungen in Berlin zeugen die bis heute sichtbaren Einschusslöcher in den Fassaden einiger noch nicht sanierter Häuser, davon auch in der Pappelallee und vom dortigen Friedhofspark aus erkennbar.

Auf Humann- und Helmholtzplatz waren im Krieg Löschteiche angelegt worden. In diesen verscharrte man nach den Kämpfen eiligst Soldaten beider Armeen. Ich konnte nicht in Erfahrung bringen, ob diese jemals wirklich exhumiert wurden, aber anzunehmen ist es.

Ich erinnere mich noch an ein kleines, vergilbtes Foto, das mir mein Vater in meinen Kindertagen einmal zeigte. Zu sehen ist der Helmholtzplatz, vermutlich im Frühjahr 1946, ir konnten es leider nicht direkt datieren. Die gröbsten Kriegsschäden scheinen bereits beseitigt, jedoch sieht man überall noch mit Holz und Pappe vernagelten Fenster. Der Platz ist weitestgehend abgeholzt.

Nach der Katastrophe „Krieg“ kam es 1945/46 zum „Hungerwinter“. Die Männer waren meist noch in Gefangenschaft, die Äcker waren im Frühjahr 1945 aus verständlichen Gründen nicht oder kaum bestellt worden, Brennmaterial – vor allem Kohle - gab es wegen der fehlenden BergMÄNNER auch kaum. Dazu kam die fast komplette Zerstörung der Infrastruktur und der Verkehrswege in Deutschland, Gerangel der Alliierten um Kompetenzen untereinander, zugige, weil meist kaputte Wohnungen und eine besonders harte Kältewelle. Viele, die den Krieg überlebt hatten, erfroren in diesem Winter.

Der Berliner Magistrat gab deshalb in seiner Not, den Menschen irgendwie helfen zu wollen, die Fällung von Straßenbäumen frei und verteilte das Holz, auch von Parks und Plätzen, an die Hausgemeinschaften. Sie wies diesen dann bestimmte Bäume zur Fällung zu. 

Die Bäume im Tiergarten zum Beispiel, die den Endkampf um Berlin überlebt hatten, wurde in jenem Winter abgeholzt.

Deshalb ist der Helmholtzplatz auf dem Foto meines Vaters auch so kahl. 

Als nächster Schritt des Berliner Magistrats, dem Hunger Herr zu werden, durften alle Plätze beackert werden. Und so sehen wir auf diesem Bild hier im Frühjahr 1946 offenbar ganze Hausgemeinschaften auf dem Helmholtzplatz bei der Gartenarbeit. Es ging dabei vor allem um den Anbau von Kartoffeln und um Kohl- oder Steckrüben. 

Dann sind mir auch noch die Geschichten meines Vaters und der verstorbenen Großmutter mütterlicherseits in Erinnerung, die mir davon berichteten, wie man nach dem Krieg überall, wo man konnte, Nahrung herstellte. Kaninchen und vor allem Hühner wurden (nicht artgerecht!) in kleinen Verschlägen auf Balkonen oder sogar in Küchen gehalten. Und in Blumenkästen und als Zimmerpflanzen gediehen vor allem Tabak und Rüben.

Rolf Gänsrich (Nov 2011)