TEUTE-KIEZ

Medienwandel im Fabrik-Block

Die Schwedter Straße schlängelt sich einmal quer durch den Kiez rund um den Teutoburger Platz. Mittendrin, nahe der Kastanienallee, macht sie einen fast rechtwinkligen Knick. Und kurz vor der Schönhauser Allee ballt sich in der alten Gutenberg-Druckerei der Medienwandel. Ein Spaziergang Richtung Digitalisierung. 

 

Genau genommen verläuft die Schwedter Straße sogar noch weiter durch Prenzlauer Berg – bis zum Schwedter Steig hinter dem Mauerpark, teilweise als Grenze zum Bezirk Mitte – und vor nahezu 30 Jahren als Grenzstraße zwischen West- und Ost-Berlin. Sie ist eine Wohnstraße mit Gründerzeit-Häusern und Neubauten um die 2000er-Wende, mit kleinen Cafes, Bio-Läden, mit Jugendklubs und kleinen Gewerbe-Läden in den Souterrains der Vorderhäuser. 

Je näher die knapp zwei Kilometer lange Straße vom Nordwesten gen Südosten der Schönhauser Allee kommt, spätestens ab der Kastanienallee, wird die Schwedter Straße zur urbanen Meile. Die Dichte an Hotels, Hostels und Restaurants, an Büros und Läden nimmt zu. Daran ändert auch die schöne alte Tankstelle an der Kreuzung Templiner Straße nichts, die als „freie internationale tankstelle“ mal ein Zentrum freien kulturellen Lebens und Gestaltens war. Handgemachte Kunst und Kunstgewerbe gab es hier beispielsweise viele Jahre auf dem regelmäßigen Makers Markt.

Gutenberg-Höfe, Berlin Prenzlauer Berg
Medien-Zentrum mit historischen Wurzeln: Die Gutenberg-Höfe in der Schwedter Straße.

Kurz vor dem urbanen Knotenpunkt

Kurz vor ihrem Ende also, da, wo die Schwedter Straße auf den Senefelder Platz trifft, ist schon die Turbulenz der Schönhauser Allee zu hören – und der Blick reicht weiter über die Prenzlauer Berger Magistrale hinaus auf die Metzer Straße, gewissermaßen die verlängerte Schwedter Richtung Prenzlauer Allee. Bevor der urbane Strudel auf die Schönhauser Allee zieht, verheißt ein alter Fabrikbau einen Stopp. „Gutenberg Druckerei“ steht in goldenen Lettern auf dem typischen roten Backsteinziegel-Bau. „Gutenberg-Höfe“ steht auf dem Firmen-Wegweiser am Eingang. Der Halbrund-Bogen gibt den Weg frei in den schönen Hof, wo hinter den Backstein-Fassaden Fabrik-Lofts liegen. Und obendrüber und noch weiter dahinter liegen Wohnungen zum Teutoburger Platz, mit Blick hinunter auf den Alexanderplatz.

Die Druckerei Gutenberg war einst ein Medienhaus des 19. und 20. Jahrhunderts. 1898 fertiggestellt, liefen hier lautstark die Druckmaschinen, bannten die in bleierne Lettern gegossenen Texte auf Papier. Der angeschlossene Verlag gab unter anderem Bücher zur deutschen und Berliner Zeitgeschichte heraus. Diese mediale Tradition führen viele der heutigen Insassen fort. In den Lounges und Lofts des Hofes firmieren digitale Unternehmen. Sie bieten Streaming-Filme für Fernsehen und Smartphone Apps. Sie entwickeln Software und digitale Plattformen für Start-Ups. Oder handeln online mit Schmuck und urbanen Mobilitäts-Lösungen.

Schwedter Strasse, Berlin Prenzlauer Berg
Falscher Mensch, echte Fotos, auch analog: Auf der Schwedter Straße, unweit der Kastanienallee. Fotos (2): al

Mediale Massenwaren

So erzählt sich in den Gutenberg-Höfen der gesellschaftliche Medienwandel in komprimierter Form.  Was einst mit der Erfindung des Buchdrucks durch Johann Gutenberg begann, findet seine Fortsetzung. Ende des 15. Jahrhunderts sorgte der Buchdruck dafür, dass Medien – und damit Informationen – erstmals vielen Menschen zur Verfügung stand. Die Bibel, bis dahin handschriftlich verfasst von Mönchen und in deren Alleinbesitz – wurde durch die Druckkunst zur Massenware. Nicht umsonst führte die Druckerei Gutenberg auf der Schwedter Straße den stolzen Namen ihres Erfinders. Der Philosoph und Medientheoretiker Marshall Mc Luhan beschrieb diesen medialen Wandel in seinem berühmten Buch „Das Medium ist die Message“, das nun auch wiederum schon ein Klassiker ist. 

Gut 500 Jahre später erfinden die IT-Spezialisten und Techs der Gutenberg-Höfe Apps und Plattformen, die uns Massen nicht nur Informationen in all ihren notwendigen und unnötigen Spielarten liefern. Sie ermöglichen auch Konsum und Unternehmertum. Die Welt der Kommunikation macht es möglich, die digitalen Medien tragen dazu bei. Die Verankerung in der realen Welt hingegen bleibt. Das ist nicht nur an der Historie des denkmalgeschützten Baus deutlich. Auch auf der Schwedter Straße selbst. Einige hundert Meter vor den Gutenberg-Höfen hängt ein Schild in einem Foto-Geschäft, das auch digitale Pass-Fotos anbietet: „Analog lebt“ steht dort vor einer kleinen Sammlung alter Kameras. 

-al-, Nov. 2018