AUF DEN GRENZEN DES STADTBEZIRKS (TEIL 46)

an der Bernauer Straße Teil 2 von 3

Bleiben wir auch in dieser Folge der Reihe an der Bernauer Straße. Wurden die Besatzungszonen ganz Deutschland betreffend erst im August 1945 auf der Konferenz in Potsdam beschlossen, so wurde die Aufteilung Berlins in unterschiedliche Besatzungssektoren bereits ein halbes Jahr zuvor auf der Konferenz in Jalta im Februar ´45 festgelegt.

Dabei ging man streng nach den Stadtbezirksgrenzen. An den sowjetisch besetzten Prenzlauer Berg grenzte der französisch Wedding. Die Grenzziehung entlang der Stadtbezirksgrenzen hatte teils merkwürdige Auswirkungen. Oft verlief die Zonengrenze straßenmittig. In der Bernauer z. B. entlang der Häuserfront der südlichen Straßenseite. Die Häuser standen im Ostsektor, der Fußweg im Westsektor, die Balkone ragten in den Westsektor hinein. 

Mit dem Bau der Berliner Mauer hätte ja nun direkt an diese Hausmauern DIE Mauer gebaut werden können, es wurde aber großzügig ein Platz für einen Gehweg gelassen, sodass an dieser Stelle die Westberliner bei mehr oder weniger illegalem passieren des Ostsektors in ihre Häuser gelangten, sie aber damit rechnen mussten, auf diesem Gehweg auch Grenzsoldaten der DDR zu begegnen.

#Bernauer #PrenzlauerBerg
Grundmauern eines der Bernauer Straße, die man im Rahmen der Mauergedenkstätte an dieser Stelle freigelegt hat. Entgegen den Gerüchten ist es nicht das ehemalige Wohnhaus von Regine Hildebrandt. Foto: rg

Der Mauerbau begann mit der Trennung des S-Bahnnetzes kurz vor deren Betriebsende. Dann erst wurden die Straßen besetzt. Die Schwester meiner Urgroßmutter, Tante Friedchen, lebte Wolliner Ecke Bernauer und wurde, wie sie mir vor ihrem Tod Ende der 70er-Jahre erzählte, „um zwanzig nach vier morgens durchs Militär aus der Wohnung geklingelt.“ Sie musste ihre Wohnung sofort über die Wolliner verlassen, weil der Ausgang zur Bernauer bereits verschlossen war, denn dessen Außenstufen lagen bereits in Westberlin, Grenztruppen luden ihr Hab und Gut auf einen LKW und sie bekam sofort eine Wohnung in der Pflugstraße.

Im Verlauf der nächsten Wochen wurden die Wohungen in der Bernauer nach und nach beräumt. Vielen gelang noch die Flucht, indem sie in letzter Sekunde aus ihren Fenstern sprangen. Das erste Maueropfer war Ida Siekmann, die am 22. August ´61 mit 59 Jahren aus dem dritten Stock der Bernauer Str. 48 sprang, als das Sprungtuch der westberliner Feuerwehr noch nicht aufgespannt war. Am 15. August ´61 flüchtete der Grenzsoldat Conrad Schuman mit einem beherzten Sprung über den Stacheldraht von der Ruppiner Straße in die Bernauer Straße.

Nachdem im Herbst ´61 die Ost-Häuser in der Bernauer Straße ohne Bewohner waren, wurden deren Fenster und Türen vermauert. In den 60er-Jahren wurden zunächst die Seitenmauern der Häuser abgerissen und schließlich die vordere Hauswand auf ca. 4,50 m gekürzt. Anschließend wurde dahinter eine weitere Mauer mit Stacheldraht gemauert und dann die restlichen Hausmauern vorn abgerissen. Erst hinter dieser neu gemauerten Mauer wurde ab etwa Mitte / Ende der 70er-Jahre diese 3,60 m hohe Betonmauer aus Fertigteilen errichtet. Der Verlauf dieser Fertigbetonteilmauer wird in der Bernauer Straße durch Stelen angezeigt. Die eigentliche Grenze ist jedoch dort, wo der Rasenstreifen in den befestigten Fußweg übergeht. 

Über Tunnelbauten und Straßenbahnteilung lesen Sie in der nächsten Folge.

Rolf Gänsrich, Oktober 2020