WINSKIEZ

Glaube ohne Begegnung

Wie ein Zeigefinger ragt der schlanke, backsteinrote Turm der Immanuelkirche in den Himmel über der Prenzlauer Allee. Weithin sichtbar der Bau, verlässlich hörbar der Klang seiner Glocken. Seit über 125 Jahren steht die Kirche an der Kreuzung zur gleichnamigen Straße. Drinnen und rundum derzeit: Ein Gemeindeleben im Sparmodus.

Die Ausstellungseröffnung Ende Februar war eine der letzten öffentlichen Veranstaltungen der Immanuelkirchgemeinde. Vis a vis der Kirche, im Museum an der Prenzlauer Allee, präsentierte sich unter der Frage „Wer war Immanuel Kirch?“ die Geschichte der Kirche, die auch eng mit der Historie des Museums selbst, der ehemaligen Schule, verbunden ist. Die Eröffnung war kurz nach dem Anschlag von Hanau, erinnert sich Pfarrer Mark Pockrandt. Deshalb mussten sie noch die Reden umschreiben. Ja, stimmt, Hanau gab es ja auch, den rassistischen Mord an zehn Menschen in Hessen. Das ist gerade zwei Monate her. Und lässt sich so leicht vergessen in dieser bedrückenden, rasanten Zeit der Corona-Pandemie. Wenige Tage nach der Eröffnung machte mit dem Shutdown auch die Ausstellung zur Kirchenhistorie dicht. Ruhte einige Wochen, ist nun ab 12. Mai wieder zu sehen, wenn das Museum im Sparbetrieb wieder öffnet.

 

GEMEINDELEBEN AN DREI STANDORTEN 

Mit den bundesweiten Kontaktbeschränkungen zog sich auch das Gemeindeleben in andere Formen als die direkte menschliche Begegnung zurück. Am 11. März wurde die Immanuelkirche geschlossen. Keine Gottesdienste mehr, keine Orgelkonzerte und Feiern. Die Kita neben der Kirche nur im Notbetrieb, die gemeinsamen Treffen und Aktionen von Gemeindemitgliedern und Flüchtlingen konnten ebenfalls nicht stattfinden. Zu Ostern hing am eisernen Zaun zur Prenzlauer Allee ein Ostergruß, verbunden mit der Aufforderung an die Vorübergehenden, selbst gebastelte Ostereier hinzuhängen. Nur sporadisch war die Kirche zur inneren Einkehr geöffnet. 

Die Immanuelkirche gehört zum Pfarrsprengel Am Prenzlauer Berg, seit 2014 bildet sie ihn mit den beiden evangelischen Kirchengemeinden Advent-Zachäus in der Danziger Straße und St. Bartholomäus in der Friedenstraße. Rund 3.300 Mitglieder sind es hier im Wins-Kiez, Familien vor allem – und ältere Menschen. Etwa 10.000 Menschen gehören dem gesamten Pfarrsprengel an. In der Zeit der Kontaktsperre organisierte sich das Gemeindeleben zwischen den drei Kirchen. Die Advent-Kirche ist und war geöffnet für persönliche Stille und Gebet und für die Möglichkeit, ein Kerzenlicht für jemanden zu entzünden. Jugendliche organisierten einen Einkaufsdienst für ältere Mitglieder. Der Rest: digital, per Homepage und am Telefon. Online-Gottesdienste und Internet-Angebote für Kinder und Familien.

Immanuelkirche PrenzlauerBerg
Seit 1893 gibt es die Immanuelkirche im Winskiez. Nach dem Shutdown der vergangenen Wochen kann nun ab Mai 2020 wieder behutsames öffentliches Gemeindeleben stattfinden. Foto: al

SEELSORGE PER TELEFON

Wie erlebt der Pfarrer der Gemeinde, wie erleben seine Gemeindemitglieder diese kontaktarme Zeit ohne persönliche Begegnung? Wie trägt der Gottesglaube durch diese Situation? Wie andernorts auch, gäbe es in der Gemeinde unterschiedliche Meinungen, so Mark Pockrandt. Die einen fragten, wie gerechtfertigt der Shutdown sei, das völlige Stilllegen des öffentlichen Lebens. Die anderen hielten die Kontaktsperren für gerechtfertigt. Existenzielle Sorgen trieben die Menschen um ebenso wie Frage nach der Zukunft. Die Sorge auch um die Menschen in der ganzen Welt. Die Fürbitte für sich und für andere sei in diesen Zeiten besonders wichtig. Der gemeinsame Glaube, dass Gott durch diese Krise trägt. Die Gemeinde hat enge Beziehungen zu einer Gemeinde in New York, der Stadt, in der die Corona-Pandemie unzählige Menschen sterben ließ. Pfarrer Pockrandt hielt dorthin digitalen Kontakt. Seine Arbeit für die Immanuelkirchgemeinde, seine Seelsorge, konzentrierte sich auf Telefon und auf Emails.

Ab dem 4. Mai ist nun die Zeit der strengsten Kontaktbeschränkungen auch für die Immanuelkirchgemeinde vorbei. Der erste Gottesdienst wird am 10. Mai stattfinden, mit nicht mehr als 50 Personen und Hygiene-Auflagen. „Das ist machbar“, so Pockrandt. Das sei in ungefähr die Zahl der Teilnehmenden für Gottesdienste außerhalb der großen Feiertage. Auch Andachten mit Orgelmusik werden unter Auflagen wieder möglich sein. Das weitere Gemeindeleben muss sich organisieren. Große Feiern wie Taufen indes oder Konfirmationen sind noch nicht gestattet. Sie werden verschoben. 

Behutsame Wiederbelebung von Immanuel also. Dazu gehört auch die Spendensammlung. Die stark sanierungsbedürftige Kirche braucht noch einige Millionen Euro, zusätzlich zu vorhandenen Fördergeldern, damit sie wieder instand gesetzt werden kann.

 

ÖFFENTLICHE HISTORIE

Auch die Ausstellung „Wer war Immanuel Kirch?“ wird ab 12. Mai wieder im Museum Pankow zu sehen sein. Sie entstand anlässlich des 125jährigen Jubiläums, das die Gemeinde vor zwei Jahren feierte. Sie spiegelt die Historie der Kirche in der Geschichte der dazugehörigen Stadtquartiere, im kulturellen und politischen Leben von Prenzlauer Berg. Sie zeigt Momente daraus: Den Ersten Weltkrieg etwa, in dem auch die Mitglieder der Immanuelkirche der anfänglichen Kriegseuphorie erlagen. Die Zeit des Nationalsozialismus, in der die Kirche Schauplatz der Kämpfe zwischen „Deutschen Christen“ und „Bekennender Kirche“ war. Die Zeit der DDR, in der die Immanuel-Gemeinde ein Sammelbecken für Aktivistinnen und Aktivisten der Friedensbewegung war.

-red-, Mai 2020

Immanuelkirche. Weitere Informationen, auch zu Spenden für die Sanierung: https://evkap.de/immanuel-gemeinde. Zur Ausstellung im Museum Pankow: https://www.berlin.de/museum-pankow/wir-ueber-uns/historie-ausstellungen/2020/artikel.895477.php