GENERATION 60PLUS IN PRENZLAUER BERG
Der Bezirk wächst, mit ihm wächst die Zahl der Älteren. Doch die wollen nicht mehr in Nischen abgeschoben werden. Die Generation 60plus ist aktiver denn je. Ein bezirkliches Gutachten zeigt:
Generationsübergreifende Lebenskultur heißt das Gebot der Stunde. Die Frage ist, zu welchem Preis.
Doris Fiebig, die Vorsitzende der Seniorenvertretung, hatte mit einer saloppen Bemerkung die Zuhörer auf ihrer Seite: „Wir alle werden alt. Und es geht schneller als Sie denken.“ Und traf
zugleich den zentralen Punkt: Auch der Bezirk Pankow und mit ihm Prenzlauer Berg altern, wer heute in jüngeren Jahren eine Eigentumswohnung kauft, gehört in 20 Jahren zu den Alten und macht den
Bezirk zum Bezirk der Generation 60plus.
Was aber bedeutet Altsein jetzt und künftig? In Schlaglichtern beleuchtete das die jüngste Senioren-Bezirksverordnetenversammlung, jährlich gibt es eine davon. Ausführlich beschreibt dies ein
Gutachten im Auftrag des Bezirksamtes, das die Abgeordneten noch geraume Zeit beschäftigen wird.
Zunächst zur Bezirksverordnetenversammlung, altersgemischt: Vorn auf den Abgeordnetenplätzen sitzen vor allem jüngere und mittelalte Politiker, hinten, auf den Besucherplätzen, die Älteren.
Zahlreich erschienen, hören sie zu, schreiben mit, mischen sich ein. Diese Generation, das wird schnell deutlich, will weder bevormundet noch in den Ruhestand versetzt werden. Nicht abgeschoben
in die eigenen vier Wände oder zum Kaffeekränzchen in der Begegnungsstätte. Sie sind aktiv, wollen mitgestalten und mitentscheiden. „Es gibt zwar Kindermitbestimmung, aber dass die ältere
Generation mitbestimmen darf, ist noch nicht festgeschrieben.“, so Doris Fiebig.
Die Älteren haben Fragen und Forderungen, die bei Weitem nicht nur ihre Generation betreffen. Die Sorge um steigende Mieten und Vertreibung aus dem angestammten Milieu; die Frage nach
generationsübergreifenden Treffpunkten gehören dazu. Dass sich die Tramtüren zu schnell schließen, dass Bibliotheken erhalten bleiben müssen und der Arnimplatz von Unrat und Ratten wimmelt –
auch das sind keine altersspezifischen Probleme.
Doch wo im jungen Prenzlauer Berg leben heute eigentlich noch ältere Menschen und welche Infrastruktur gibt es für sie? Ein Blick in benanntes Gutachten gibt Antwort. Knapp 19 000 Menschen
über 60 Jahre sind es, weniger als in Pankow und Weißensee. Sie leben vor allem im Osten und im Norden – in den Wohnsiedlungen rund um die Greifswalder Straße und Landsberger Allee, im
Thälmannpark und in der Gegend rund um die Bornholmer Straße. In den innerstädtischen Kiezen hingegen hat ihr Anteil stark abgenommen, so sind am Helmholtzplatz gerade mal 5,4 Prozent der
Bevölkerung älter als 60 Jahre. Nicht mitgerechnet sind in diesen Zahlen diejenigen Älteren, die in Pflegeeinrichtungen leben.
Generationsübergreifende Sozialstruktur heißt auch aus politischer Sicht das Schlagwort der Stunde. Das meint: Der Fokus liegt auf Nachbarschaftszentren, auf Begegnungsräumen für Jung und Alt,
die nicht nach Lebensalter trennen, aber „die Befindlichkeiten der unterschiedlichen Nutzer berücksichtigen müssen“ (Fiebig).
„In jedem Kiez ein Nachbarschaftshaus“, formuliert etwa Grünen-Fraktionschef Cornelius Bechtler das Leitbild für den Gesamtbezirk. Und davon ist auch der Prenzlauer Berg noch weit entfernt, das
ergibt die Analyse des 300-seitigen Gutachtens.
Lediglich die Gegend um den Teutoburger Platz mit dem dortigen Stadtteilzentrum sieht das Papier im Sinne des Leitbildes als gut ausgestattet an. Nachbarschaftshaus, Dialog-Projekte und
Vereinsarbeit sind hier unter einem Dach versammelt.
Ein generationsübergreifendes Angebot der besonderen Art ist der Seniorentreff „Herbstlaube“ am Helmholtzplatz mit angeschlossenem Gründerzeitmuseum. Schulklassen aus der ganzen Stadt kommen in
die berlinweit einzigartige Ausstellung. Erst kürzlich entschloss sich der Bezirk, Mittel zum Erhalt der Einrichtung beizusteuern, zunächst bis zum Jahresende.
Vier kommunale Senioren-Begegnungsstätten gibt es in Prenzlauer Berg. Die stehen nicht zur Disposition. Sie auch für Jüngere zu öffnen und kiezübergreifend zu vernetzen, empfiehlt zudem das
Gutachten. Das versucht ohnehin den Spagat: Lücken zu schließen ohne finanzielle Mehrausgaben. Auch Wohnungsgenossenschaften könnten Räume zur Verfügung stellen. Eine Öffnung der
Jugendeinrichtungen für Ältere wird ebenso als möglich erachtet wie eine Öffnung von Pflegeeinrichtungen und Senioren-Stiften für Jüngere.
Ehrenamtliches Engagement in und für die eigenen Zentren, dieses Wort macht oft die Runde. Ehrenamt erscheint als Patentrezept. Die Älteren werden ins gesellschaftliche Leben einbezogen und
genießen das Gefühl der Teilhabe. Der Bezirk kann sparen und Gelder aufwenden für strukturell benachteiligte Regionen wie Weißensee oder Niederschönhausen.
Zunehmendes ehrenamtliches Engagement empfiehlt auch das Gutachten für die kommunalen Einrichtungen. Es empfiehlt zudem, die Einrichtungen in Selbstverwaltung zu übergeben – diese Idee wird
politisch zu diskutieren sein. Dass sich eine Kommune komplett aus der professionellen Verantwortung stiehlt, hält nicht nur Sozialausschuss-Vorsitzender Dr. Axel Bielefeldt (Linke) für abwegig.
„Wir werden das in einer Arbeitsgruppe des Ausschusses besprechen“. Das wird, so schätzt er, ein längerfristiger Prozess.
Kurzfristigen Handlungsbedarf sieht er aufgrund der Wachstumsprognosen bei denjenigen über 75-Jährigen, die das Haus kaum noch verlassen können. Hier müssten mehr Möglichkeiten von aufsuchender
Hilfe geschaffen werden. Dass bei den anstehenden Diskussionen die Älteren weiter und stärker mitreden, daran erinnert die CDU-Abgeordnete Claudia Steinke: „Treten Sie uns immer wieder auf die
Füße“, empfiehlt sie der Generation 60plus.
✒ Katharina Fial (Juli 2013)
Infos zur Seniorenvertretung: http://www.berlin.de/ba-pankow/verwaltung/soziales/seniorenvertretung