KIEZ KASTANIENALLEE

Wir bleiben alle

Gelingt den Mieterinnen und Mietern der Kastanienallee 12 der Erwerb ihres Hauskomplexes und damit der Erhalt einer kleinen kulturgeschichtlichen Ikone? Seit Monaten werben die rund 100 Menschen der K 12 um die Unterstützung des Senats.

Es ist doch erstaunlich, wie lange so ein poetischer Widerstandsruf Bestand hat, wie er immer wieder Aktualität gewinnt. „Das ist unser Haus“ protestierte einst Rio Reisers Band „Ton, Steine, Scherben“ für ein besetztes Haus in Kreuzberg. Der Song wurde damals auch zu einem Protestsong eines Landes, das sich mehr Selbstbestimmtheit, Würde und Wertschätzung wünschte. Der Rauchhaus-Song ist 50 Jahre alt. 

Seine Titelzeile gibt im Herbst 2022 den Titel einer Ausstellung und einer öffentlichen Demonstration. Steht in Prenzlauer Berg für den Willen von Mieter:innen, ernstgenommen zu werden. Es sind die Menschen der Kastanienallee 12. Teilweise wohnen sie schon seit mehr als drei Jahrzehnten in ihrem Haus. Sie wollen bleiben in diesem einzigartigen Ensemble, wollen es gar selbst erwerben. Dafür streiten sie seit als mehr als zwei Jahren. Dafür benötigen sie die Unterstützung des Berliner Senats.

DER ALTE HIRSCHHOF

Sie schrieben Geschichte und sind dabei, es wieder zu tun. „Wir wohnen in einem Haus, das auf eine bewegte Vergangenheit zurückblicken kann.“, so beschreiben es die Mieter:innen, die sich vor wenigen Monaten zum gemeinnützigen Verein K 12 zusammengeschlossen haben. Ihr Heimatgebäude, ein Komplex mit vier Hinterhöfen, liegt am Hirschhof zur Oderberger Straße. Mit dem Hirschhof verbinden sich Erinnerungen an einen ehemals öffentlichen Garten, einen Ort für Künstlerinnen und Künstler, Dissidenten und ein  alternatives Leben in der DDR. Erinnerungen, die, festgehalten auf den Fotos von Harald Hauswald, inzwischen weltweit durch Galerien und Museen reisen. Ein alternatives, selbstbestimmtes Leben war auch in der DDR möglich, so lebten es die Menschen auf diesen Fotografien vor.


Kiezzeitung Prenzlberger Ansichten
Protestieren für den Erwerb und Verbleib in der Kastanienallee 12: Die Mieter:innen, hier mit einem Ausschnitt aus einem Film. Credit: ms

In den maroden Wohnhäusern rund um den Hirschhof wurde Ende der 80er Jahre die erste Mieterbewegung der DDR gegründet. Sie trug als lakonische Anspielung auf eine offizielle DDR-Abkürzung  den Namen „WBA – Wir bleiben alle!”. Die engagierten Menschen schafften es damals, den staatlich geplanten Abriss der gründerzeitlichen Bebauung zu verhindern. Sie stoppten Pläne, nach denen die Oderberger Straße mit Plattenbauen versetzt werden sollte.

DIE HISTORISCHE ARCHITEKTUR

Überzogen mit Graffiti, durchzogen von kleinen Installationen, versteckten Kunstobjekten und liebevoll improvisierten Sitzecken in Höfen und Garten, verkörpert die K 12 heute den brüchigen Charme der Wendezeit mit ihren inzwischen fast vergessenen Freiräumen. Und sie fällt auch durch ihre Baugeschichte auf, erinnert sie doch an eine Architektur, die den Prenzlauer Berg einst als Arbeiterviertel kennzeichnete und die inzwischen fast vollständig aus dem Stadtraum verschwunden ist. Hinterhof reiht sich an Hinterhof, in den Gebäuden dominierten die typischen Berliner Zwei-Raumwohnungen mit Außenklo und in der Küche installierten Bädern. 

„Das ist unser Haus“. Den widerspenstigen, zugleich kooperativen Geist der 80er Jahre der DDR, des alten Rauchhaus-Songs, nutzen die Menschen der Kastanienallee 12 nun wieder. Im Oktober mobilisierten die K-12-Leute mit einem Hoffest und einer Ausstellung für den Verbleib in ihren Wohnungen. 

Die Fotografin Iris Janke gab mit ihrer systematischen Fotoarbeit Einblick in Wohnräume und Wohnraumgestaltung der historischen Quergebäude. Sie zeigte gleiche Grundrisse, dazu vielfältige Lebensformen und Wohnraumentwürfe – von der Badewanne mitten im Raum, die so zum Möbel wird, bis hin zu wunderschönen geschwungenen Fenstern. Ein Mosaik eines improvisiert erscheinenden, individuellen Lebens.

DAS ZEITGEMÄSSE WOHNEN

Das eigenwillige gemeinsame Zusammenleben und -arbeiten in rund 60 Wohnungen, Ateliers und dem Hof gilt gewissermaßen als Trutzburg im schicken Kiez um Kastanienallee und Oderberger Straße. „Letzte Oase in der Kapitalistenallee“ nannte die linke Tageszeitung taz die K 12 unlängst. Hier schien und scheint der geldbewegte Mainstream lediglich drum herumzutoben. 

Doch als vor zwei Jahren die Eigentümerin des Gebäudes starb, trat dieser Mainstream über die Schwelle. Weil sich die Erben nicht einigen konnten, droht der K 12 die Teilversteigerung, ein Besitztums-Wechsel und ihren Bewohner:innen womöglich der Rauswurf. Sie liefen Sturm, gründeten den Verein, nahmen Kontakt zu zwei Genossenschaften auf. Ihr Ziel: Das Haus als Mitglied der Genossenschaft selbst zu erwerben. Dafür benötigen sie auch Fördergelder des Senats. Doch die lassen auf sich warten. 

Dabei drängt die Zeit. Schon einmal konnten die K 12-ler:innen den Versteigerungstermin verschieben, sie sind sich zumindest mir einem Teil der Erben einig, das Gebäude erwerben zu können. Und auch die beiden Genossenschaften bleiben im Boot. Was fehlt, ist eine Unterstützung des Senats. „Lieber Senat,

wir haben Dir wirklich alles vorgelegt: von endlosen Verhandlungen, dem Austarieren von zig verschiedenen Möglichkeiten bis jetzt, endlich, den Kaufvertrag für unsere geliebte K 12 als gemeinwohlorientiertes Träumchen auf der Kastanienallee, Bestandserhalt garantiert, Milieuschutz inklusive“. So und so ähnlich machen die Menschen der K 12 ihre Not öffentlich – in den sozialen Medien, auf ihrem Hoffest, mit einem Film. „ Wir servieren Dir Deine politischen Ziele auf dem Silbertablett! Take your chance!“

red, Nov. 2022

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