MOMENTAUFNAHMEN AUS PRENZLAUER BERG

Ein Theater macht in Hotel

Ein Theater als Schlafstätte – zu seinem 10. Geburtstag gönnt sich das Ballhaus Ost einen Blick auf Prenzlauer Berg als Ferienwohnungsidyll. Der laut Eigenwerbung „letzte authentische Spielort der freien Theaterszene“ lädt Gäste zum Schlafen auf die Bühne – eine Gentrifizierungskritik im Haus der Kunst.

Ballhaus Ost Prenzlauer Berg
Lädt schon mal zum Probeliegen: Bett im Ballhaus Ost, das sich im September in ein Hotel verwandelt.

Schlafen, wo Künstler arbeiten. Mitten auf der Bühne, auf einer der Probebühnen, in kleinen geschichtsträchtigen Kammern. Dabei Theaterleute und Bewohner treffen und sich auf Entdeckungstour durch das Haus und seine Geschichte, durch Prenzlauer Berg und seine Gegenwart führen lassen. Was sich als hippe Idee ummantelt, ist, wie sollte es bei freier Kunst anders sein, ein kritischer Blick – hier auf die Gentrifizierung in Prenzlauer Berg. „Bevor der überhitzte Immobilienmarkt letzte Aushängeschilder des alten Berlin im Kiez verdrängt, versucht das Ballhaus Ost sein kulturelles Kapital monetär zu vermarkten.“, titel das Ballhaus Ost dazu. 

Dies geschieht mit der Produktion „Hotel Berlin“ zur Spielzeiteröffnung Anfang September. Das Haus öffnet sich, mitten im Touristen-Stadtbezirk, zur Kunst und zum Schlafen. Sein eigenes theatrales Alltagsgeschäft lagert es in Teilen in die Randbezirke aus. Wie es die Anbieter bei Schlafplatz-Portalen wie „airbnb“ machen, das in die Schlagzeilen geraten ist, weil es auch legale und illegale Ferienwohnungen anbot.

 

Schlafen in Geschichte 

„Wir erleben ja nun schon die zweite Gentrifizierungswelle in Prenzlauer Berg“, sagt Regisseur Stefan Nolte, der das Spektakel „Hotel Berlin“ verantwortet. Und eben auch die Ferienwohnungen, nach Schätzungen sind es 2000, tragen dazu bei. „Menschen, die Ferienwohnungen anbieten, werden ja in gewisser Weise selbst zu Gentrifizierern“. Wohnraum geht verloren, Identität verändert sich. Jetzt spielt dies das Ballhaus Ost im Kunstprojekt „Hotel Berlin“ durch und wirft seine zehnjährige Geschichte in die Waagschale. Einst von Künstlern um die damalige Schaubühnen-Schauspielerin Anne Tismer in Besitz genommen, wurde es ein Ort des theatralen Aufbruchs, der Experimentierfreude, des freien Geistes. ProtagonistInnen der freien Szene aus Theater, Figurentheater, Tanz und Performance, wie Das Helmi oder Nya Rampen, Cora Frost, Lubricat und Christian Weise arbeiteten und arbeiten hier. 

Das Haus selbst, jetzt immer noch im morbiden Charme des unsanierten Hinterhof-Komplexes, ist ein Prenzlauer Berger Urgestein, eines mit diesen typischen unterschiedlichen Nutzungen und Menschen. 1907 erbaut, beherbergte es religiöse Versammlungssäle, Veteranen des Ersten Weltkrieges und Ballräume, Casinos und jede Menge Menschen. Jetzt wohnt dort u.a. ein älterer Herr, der aus seiner Wohnung vertrieben wurde; ebenso zwei Künstler als „artists in residence“ und andere. 

Ballhaus Ost Prenzlauer Berg
Guter Schlaf inmitten von Theaterpapieren – im Hotel Berlin. Fotos (2): Hendrik Scheel

Boxspring-Bett auf der Bühne

All diesen Facetten kann man im „Hotel Berlin“ begegnen und anschließend schlafen gehen.

Im Boxspring-Bett mitten auf der Bühne in Theaterkulisse, in Doppelstockbetten in Bürokammern oder im kollektiven Lager auf den Probebühnen. Theaterchefin Tina Pfurr empfängt als Hotelleiterin und lädt zum Check-In. Theaterchef Daniel Schrader arbeitet und probt derweil im Ausweichtheater der eigenen Wohnung und schaltet sich per Skype zu.

Zum Programm des Abends gehört auch ein „ReThinkGentrification Modul“. In dem wird im „Hotel Berlin“ anhand der Pappelallee durchgespielt, wie sich Gentrifizierung auf die BewohnerInnenstruktur des Kiezes auswirkt, wie Verdrängung beginnt und vollzogen wird. Dabei kommen ExpertInnen und Betroffene zu Wort. Außerdem gibt es in kleinen Arbeitsgruppen die Möglichkeit, sich selbst zu überprüfen: Wo verdränge ich? Und was kann ich dagegen tun?

Die theatralen Touren führen u.a. als „History Tour“ durch die Vergangenheit des Hauses und des Nachbarortes, zum Friedhofspark-Gelände, auf dem die Gefallenen der Märzrevolution liegen. Oder als „Yesterday and Now Tour“ in die Gründungsphase des Ballhaus Ost und seine heutige Übersetzung – in illegale Partyorgien mit Wodka-Rutschen, Jungbrunnen und Kommunalka-Saunen. Die Tour des Kiezspazierganges nimmt sich der Orte rund um das Ballhaus an und schildert auch eigenwillige Ereignisse. Zwischendrin und später gibt es für alle gemeinsam Sekt und Speisen.

Dann ist es Nacht und dann warten die Hotelbetten.

-al-, Juli 2016

„Hotel Berlin“ ab 7. September im Ballhaus Ost.

Mehr auf: www.ballhausost.de