NORDÖSTLICH DER BERLINALE

Die Landschaft der Filmemacher

Prenzlauer Berg als Filmlandschaft: Er ist beliebter Drehort für großes Kino und beliebter Standort für Kreative und Firmen, die Filme produzieren, ausstatten und vermarkten. Eine Recherche, pünktlich zur diesjährigen Berlinale, nordöstlich des Roten Teppichs vom Potsdamer Platz.
Wollte man einen Film über Prenzlauer Berg als Filmland-schaft drehen – und die Filmbranche neigt ja zum Narzissmus – dann könnte dieser Film mit einem Google-Maps-Ausschnitt beginnen: Lauter kleine Punkte in den Straßenzügen zwischen Bornholmer und Am Friedrichs-hain. Einige Pünktchen-Ballungen im Wins-Viertel, auf der Schönhauser Allee, auf der Saarbrücker Straße. Ein etwas di--daktischer Filmbeginn, zugegeben, doch wohl eindrücklich. Um den Film noch eindrücklicher zu beginnen, könnte die Kamera über das Google-Maps-Bild fahren: Weiter nach Westen, zu großen Punkten in Potsdam-Babelsberg und Char-lottenburg, und dort verharren. Dazu eine Stimme aus dem Off: „In Babelsberg gibt es die Infrastruktur und die Filmförderanstalten. In Charlottenburg sind die Alteingesessenen, die vor allem Filme für ein bürgerliches Publikum machen“. Dann wieder Kamerafahrt nach Osten: „In Prenzlauer Berg, in Mitte und Friedrichshain, da sitzen die jungen Kreativen, die zumeist Filme für arte und die dritten Programme der ARD produzieren.“
Dann könnte der Film den Off-Sprecher im Bild zeigen und ihn als Experten und Akteur der Filmbranche interviewen. Jens Becker, Professor an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam, Filmfestival-erfahrener Drehbuchautor und Regisseur aus Pankow. Becker, auf dem Sprung zum Überarbeiten eines Drehbuchs, könnte davon berichten, dass dieses Drehbuch vier Jahre darauf wartete, verfilmt zu werden. „So ist das beim Film. Erst passiert jahrelang gar nichts, dann muss alles ganz schnell gehen“. Ein Wochenende hat er Zeit, es wird ein Kinderfilm, den er mit „Indi Film“ aus Prenzlauer Berg für den SWR realisiert. Schnell könnte Becker noch von seinen parallelen Vorhaben berichten: Ein Doku-Drama über Erich Mielke und eine Dokumentation über das Einheitsdenkmal vor dem Berliner Stadtschloss. Das letzte ist ihm besondere Herzensangelegenheit, weil es die deutsche Einheit auf den aktuellen Stand bringt – anhand der Baugeschichte des Denkmals, Geschichten seiner Erbauer und der Lebensgeschichten der Filmemacher selbst. Mal schauen ...

Prenzlauer Berg und seine Filmgeschichte: Filmprojektor aus den 50er Jahren. Foto: al
Prenzlauer Berg und seine Filmgeschichte: Filmprojektor aus den 50er Jahren. Foto: al

Ein nächster Schauplatz des Films über die Filmlandschaft Prenzlauer Berg könnte das Büro der Produktionsfirma „Indi Film“ sein, jener Firma, mit der Jens Becker den Kinderfilm macht und die er als typisch für die hiesige Filmbranche beschreibt: Klein, mit flachen Hierarchien und großen Ambitionen. Die Firma sitzt in einem Hinterhof auf der Heinrich-Roller-Straße, mit ihr im Gebäude eine zweite Produktionsfirma, die Gebrüder Beetz-Film-Produktion.
Die Fakten, die der Film entsprechend ansprechend aufbereiten müsste: Die Geburt von „Indi Film“ ist eng mit der Berlinale verknüpft. 2001 lief im Berlinale-Programm ihr erster Film „Eislimonade für Hong Li“, eine Dokumentation über einen Kriegsberichterstatter, der nach drei Jahrzehnten nach Vietnam zurückkehrt, um seine einstigen Gesprächspartner wieder zu treffen. Seither produziert die Firma Dokumentar- und Spielfilme. Eine ihrer jüngsten Produktionen, die Dokumentation „Land in Sicht“ über die Lebenswege von Asylsuchenden in Deutschland, ist gerade in den Kinos gestartet.
Der Film über die hiesige Branche könnte nun all die anderen kleinen Markierungen auf der Google-Maps-Karte aufsuchen und porträtieren, wer sich dahinter verbirgt. Doch wo weitermachen und wo aufhören? Beim „Schmidtzkatze Filmkollektiv“, das mit seinem Holocaust-Drama „In Darkness“ 2011 als bester fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert war? Bei „25p cine support“, dem technischen Dienstleister, der sich nicht nur ums eigene Geschäft, sondern auch um den Nachwuchs sorgt und ein Stipendium für junge Filmemacher ins Leben gerufen hat? Oder bei „Neue Visionen“, dem Filmverleih, der Filmkunst von Ken Loach und Jean-Luc Godard, Filmklassiker wie „Casablanca“ oder unentdeckte Filme aus Osteuropa in die Kinos bringt?
Nachdem der Film eine entsprechende Auswahl getroffen hätte, könnte er auch andere Filmleute über den Prenzlauer Berg zu Wort kommen lassen: Ehsan Haghighat vom SAE Institute in Berlin-Tegel beispielsweise. „Unkompliziert“ sagt der Fachbereichsleiter Film der weltweit agierenden Schule, die vor allem im Film- und Audiobereich ausbildet und Wert auf handwerkliches-technisches KnowHow legt. Unkompliziert sei der Prenzlauer Berg und deswegen von seiner Schule sehr geschätzt: Unkompliziert bekäme man hier Drehgenehmigungen und technische Ausstattung, kollegional sei der Ton, zudem stimme das Preis-Leistung-Verhältnis.
Nach diesem O-Ton eines Experten müsste der Film sie dann wahrscheinlich nen-nen, die  großen Filme mit Berliner Lebens-Geschichten und Lebensgefühlen der vergangenen Jahre, die im Prenzlauer Berg gedreht wurden: „Oh Boy“, „Sommer vorm Balkon“, „Die fetten Jahre sind vorbei“. Und dann käme der Film über die Filmlandschaft Prenzlauer Berg wohl auch nicht auch aus ohne den ganz großen, den historischen Blick zurück. So müsste seine letzte Szene die Ecke Schönhauser/Kastanienallee zeigen und dann einblenden, was hier vor knapp 120 Jahren produziert wurde: Ein Känguruh mit Boxhandschuhen, das auf einen Mann eintrommelt  – stumm und in verblichenen Schwarz-Weiß-Bildern, einer der ersten Filme der Welt überhaupt, Ge-dreht von den Brüdern Skladanowsky.
Dann Cut und Abspann: „Der Film basiert sämtlichst auf realen Geschehnissen. Das mitwirkende Känguruh ist echt und kam nicht zu Schaden.“ Möglicherweise gäbe es für diesen Film zur nächsten Berlinale dann einen Bären. Den silbernen.                     
Katharina Fial (März 2014)
Zeichnung: martcreazion@yahoo.com