Von der kühlen Gediegenheit der Global Player

Der prachtvollste Kiez in Prenzlauer Berg: Fassade in der Bötzowstraße.
Der prachtvollste Kiez in Prenzlauer Berg: Fassade in der Bötzowstraße.

Erlesene, teure Läden, wunderschöne Hausfassaden, feine Restaurants – das Bötzowviertel ist der prachtvollste Kiez in Prenzlauer Berg. Neben Eltern mit ihren Kindern, Schauspielern und anderen Prominenten leben hier auch Menschen, die auf der Durchreise sind. Ein Besuch.

Eintritt durch die Seitentür. Es führt ein schmaler Gang hinauf, auf Höhe der Greifswalder Straße 25, hinauf und hinüber ins Bötzow-Viertel. Verwitternde Backsteinmauern säumen den Gang, graffiti-beschmiert, der Bitumenbelag ist holprig, der Drahtzaun auf der anderen Seite rostig. Dieser marode Gang, passt er in den schmucken Bötzow-Kiez?
Ja, unbedingt. Das ist ja das Besondere an Prenzlauer Berg, dass es immer noch solche Wege und Nischen gibt, die nicht hierher zu passen scheinen. Kleine Puzzlesteine aus einer anderen Zeit, in der sich Kreativität eingenistet hat.
Rechts des Weges, vor der leuchtend weißen Wohnan­lage des Schweizer Gartens, steht ein weiteres dieser Puzzlesteine, die alte Back­stein-Ruine der Schneider Brauerei. Hier nistet ein Tonstudio, das das Areal zu einer Musikbrauerei ausbauen will. „Mein Kiez stinkt mir“, hat einer an die Mau­ern geschrieben. Drunter nistet ein weitverzweigtes Bunkersystem aus der Nazi-Zeit. Auf seiner Homepage http://www.ufo-studios.de/ pages/historie schildert das Tonstudio historische Anek­doten: Von der Brauerei und ihrem Biergarten; davon, wie Goebbels hier agierte und die Staatssicherheit.
In der Gegenwart, erhellt von den letzten Herbst-Sonnen­strahlen, führt der Weg weiter durch das Ensemble der flachen Plattenbauten „Am Friedrichshain“ mit seinen hohen Bordsteinkanten. Hi­nein in den erdigen Gang zum Filmtheater am Frie­drichshain. Wo der Sommer­garten unter den Kastanien auch im November seine Gäste begrüßt, zumindest auf dem Schild. Die urigen Biertische und Lichterketten sind längst weggepackt. Schade, der Sommer ist hier immer sehr idyllisch. Im Kino läuft der Kinderfilm am Nach­mittag. Soweit der Seiteneingang zum Böt­zowviertel. Nach Abbiegen auf die Bötzowstraße dann kommt der Vordereingang. Da liegt das Viertel: In seiner kühl strahlenden Pracht.

Der Seitenaufgang zum Bötzow-Viertel: Der Weg zwischen Greifwalder Straße, Schweizer Garten und Am Friedrichshain. Fotos (2): al
Der Seitenaufgang zum Bötzow-Viertel: Der Weg zwischen Greifwalder Straße, Schweizer Garten und Am Friedrichshain. Fotos (2): al

Man kann in diesem Viertel wahnsinnig viel Geld ausgeben in den hübschen kleinen, ausgefallenen Läden mit den teuren Kleinigkeiten und Kostbarkeiten. Man kann die schönsten, urwüchsigsten, kunstvollsten Blumensträuße kaufen, so schön, dass sie gern das Titelblatt von „Landlust“ zieren würden. Man kann neben prominenten Schauspielern im Cafe sitzen und intellektuell plaudern oder die „Süddeutsche“ lesen. Man kann portugiesisch, italienisch, französisch, österreichisch und asiatisch essen gehen, skandinavische Mode kaufen und handgemachtes Bioeis.
Man kann die wunderschönen Fassaden in Hufeland-, Hans-Otto- und Bötzowstraße bewundern, die Figuren und Ornamente an Balkonen und Fenstern, die in Schneeweiß oder Safrangelb leuchten. Das sind die Oberflächen, die Flüchtigkeiten. 
Drunter liegt das Leben derer, die hier wohnen.
Das Magazin „GEO“ hat vor einiger Zeit, zum 20. Jahrestag des Mauerfalls, ausgerechnet im Bötzow-Viertel untersucht, wie sich das Leben in Deutschland verändert hat. Da standen Schwarz-Weiß-Bilder der DDR-vernachlässigten Häuser neben Bildern der schöngemachten Fassaden der Gegenwart. Da standen auch noch einige Menschen vor den Häusern, die schon 20 Jahre zuvor dort posierten, weil sie dort wohnten. Die meisten der einst Porträtierten trafen die Autoren nicht mehr an, weil sie weggezogen waren. So wurde der Bötzow-Kiez zum Symbol von Fluktuation und Veränderung, im Osten Berlins und im Osten Deutschlands.
In Erinnerung dieses Berichts bleibt das Grau und der abblätternde Putz der Häuser und das Staunen darüber, dass Ost-Berlin wirklich so aussah. Man vergisst so schnell, selbst solch einschneidende Lebens­rea­litäten. In Erinnerung bleibt der Ausspruch einer frisch hinzugezogenen Mutter, die ihr Kleinkind mitten in einen Laden pullern ließ und der sprachlosen Verkäuferin sagte: „Mit Tempo-Taschentüchern kriegen sie das gut weg“. Erfunden oder passiert, wer weiß das schon. Auch „GEO“-Autoren lieben gelegentlich Vereinfachungen.
Man kann in diesem Kiez eine exquisite Wohnung mieten von einer jungen Frau, die beruflich nach Stuttgart muss und ihr kleines Eigentum nicht verkaufen möchte. 80 Quadratmeter Maisonette, bei der Besichtigung mit Makler liegen die Pullover der Eigentümerin auf dem Sofa. 30 potenzielle Mieter trauen sich kaum, sich in dieser Privatheit umzusehen. Wer von den 30 Bewerbern die Wohnung am Ende bekommen wird und wie lange er oder sie darin wohnt, bleibt ein Geheimnis.
Und man kann, auch in kälteren Nächten, auf einen Balkon in der Esmarchstraße stehen und hinunter auf das auch im November irgendwie mediterrane Flair schauen. Vor einigen Jahren gab es mal eine Party im 4. Stock und lange Gespräche auf so einem Balkon mit einem, der gerade aus Blankenfelde hierher gezogen war, weil er sich von seiner Frau getrennt hatte. Er wohnte vorübergehend hier in der Wohnung einer Freundin, die gerade für ein paar Monate in Australien war. Eine Global Playerin mit Basis-Station Bötzow-Viertel. Der frisch Getrennte war selbst so ein Global Player. Ein freiberuflicher Journalist, ständig im Lande unterwegs auf der Suche nach Geschichten, die er gern und unterhaltsam erzählte. Und plötzlich, von diesem 4. Stock herunter, wirkte der Kiez wie ein Stück Hamburg. Das lag am Akzent des Gastgebers und an seiner Weltläufigkeit und am Nebelgrau des aufziehenden Abends, das sich kühl und gediegen über die Straßen legte.                  

✒ Katharina Fial (Dez 2014)