DIE BEZIRKSGRENZE (28)

Der Märchenbrunnen

Da es in dieser Folge unserer Serie um den Märchenbrunnen geht, hab ich mir erlaubt, für diesen Teil einmal das Format des Märchens selbst zu nehmen.

 

Es war einmal, vielleicht war es auch zweimal, vor langer, langer Zeit, als sich ein paar kluge Beamte in einem großen Kaiserreich, dass sich gar nicht so weit weg von hier befand, zusammensetzten, um einen ohnehin schon königlichen Park, den es zu diesem Zeitpunkt bereits hundert und mehr Jahre gab, noch weiter verschönern zu lassen. In ihrem kaiserlichen und königlichen Magistrat, es war um das Jahr anno 1890 herum, beratschlagten sie gemeinsam mit vielen ihrer Gelehrten und Höflinge, welcher ihrer hervorragenden Baumeister am besten dafür geeignet wäre, aus Anlass des 25. Thronjubiläums ihres Kaisers denn nun diesen wunderbaren Garten im Osten ihrer Residenzstadt weiter zu verschönern. Der eine ihrer Baumeister war bereits greis und alt und hatte bisher zwar wichtige, aber im eigentlichen Sinne oft blutige Gebäude errichtet, wie Schlacht- oder Krankenhäuser. Ein anderer ihrer Baumeister war bereits gestorben, wieder ein anderer hatte nur Burgen oder Zitadellen gebaut und ein weiterer verstand sich zwar ganz besonders auf den Bau von Anlagen für Kutschen, Häfen oder gar Untergrundbahnen, aber niemand war den weisen Beamten gut genug. So gingen die Jahre ins Land. Da entsannen sie sich eines Herren Namens Ludwig Hoffmann, der schon viele für die Menschen segensreiche Gebäude in ihrem Reich geplant und errichtet hatte, wie zum Beispiel Bildungs-, Heil- und Säuglingsanstalten, Badehäuser, Gerichte, Brücken die die Menschen miteinander verbanden und Brunnen, an denen man sich am kühlen Nass erquicken konnte.  

Märchenbrunnen Berlin Prenzlauer Berg
Die Figuren des Brunnens sind Winter eingehaust. Das Foto entstand bei strömendem Regen. Foto: rg

Ludwig Hoffmann war sehr erfreut über diesen Auftrag und begann in tagelangen Reisen die auserwählte Gegend des Parks selbst zu erkunden. Dabei stieß er auf viele spielende Kinder. Diese erzählten ihm ihre Märchen und Sagen und so beschloss der fromme Baumeister in die Welt der Kinder einzutauchen und ihnen einen Brunnen mit Märchen zu planen. Der Kaiser jedoch war mit seinen ersten Entwürfen sehr, sehr unzufrieden und lehnte diese immer und immer wieder ab. So gingen beim Streit zwischen den Änderungen Hoffmanns, den ihn unterstützenden Stadtverordneten und dem grantelnden Kaiser erneut viele Jahre ins Land und der erste Spatenstich erfolgte erst 1907. Aber wie im Märchen wurde der Brunnen, wie geplant, am 15. Juni 1913 pünktlich fertig. In einem zweiten Weltkrieg wurde der Park schwer zerstört und die Märchenfiguren wurden in einem Gemüsegarten in Sicherheit gebracht, aus dem sie 1950 wie durch ein Wunder wieder auftauchten. Nach immer wiederkehrenden Sanierungen des Brunnens wurde einhundert Jahre nach dem ersten Spatenstich, im Jahre 2007 endlich ein hoher Zaun um den Brunnen angelegt und eine nächtliche Zugangssperre verhängt, damit die Anlage nicht immer wieder aufs Neue durch marodierende Horden vom Volk der Vandalen zerstört wurde. Mit über 15.000 qm Fläche ist die Anlage mehr als zweimal so groß wie ein normales Spielfeld für den Fußball. 

Und wenn im Frühling der Spargel sprießt, erwachen auch die Märchenfiguren des Brunnens jedes Jahr zu neuem Leben. Sie sprengen ihre winterliche Umhausung und man kann die Märchen erraten. Es sind „Brüderchen & Schwesterchen“, „Aschenputtel“, „Hans im Glück“, „Der gestiefelte Kater“, „die sieben Raben“, „Schneewittchen mit dem Menzelzwerg“, „Rotkäppchen“, „Dornröschen“, „Hänsel aus Hänsel & Gretel“, „der Zwerg aus Rübezahl“ und eine Schildkröte. Es fehlen aber heute „Frau Holle“, „Menschenfresser“ und „eine Riesentochter“. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag: 8 bis 22 Uhr, Wochenende und Feiertage 9 bis 22 Uhr; die Brunnenanlage wird täglich von 9 bis 20 Uhr betrieben, außer im Winter.

Könnten Sie eines der Märchen ad hoc erzählen?

Rolf Gänsrich, Jan. 2019

www.rolfgänsrich.wordpress.com