COLOSSEUM

Langer Tod eines Kinos

Der Gebäudekomplex Colosseum hat einen neuen Besitzer. Der Projektentwickler plant den Neu- bzw. Umbau zum Bürokomplex als „Kultur- und Kreativstandort“, will zumindest ein einziges Kino erhalten und mit einer „kulturellen Mischnutzung“ versehen. Was bedeutet das im Detail?

Eine nahezu 100jährige Tradition als Kino, einst das modernste Kino der DDR mit denkwürdigen Premieren, dann Multiplex mit der Filmlegende Atze Brauner als Eigentümer, ausgewähltes Berlinale-Kino – das Colosseum spiegelt Zeit- und Filmgeschichte. Nun hat ein neues Kapitel für das seit März 2020 stillgelegte Haus begonnen. Kino selbst wird darin nur noch eine Nebenrolle spielen. Der neue Eigentümer Values Real Estate spricht vielmehr vom Konzept einer „kulturellen Mischnutzung“. 

BÜROKOMPLEX MIT EIN BISSCHEN FILM

Also doch. Nun hat doch der Projektentwickler Values Real Estate aus Hamburg den Gebäudekomplex erworben. Seit 2019 bereits zeigte er Interesse an dem Areal, das sich von der Front an der Schönhauser Allee fünf Hausnummern entlang der Gleimstraße zieht. Damals stellte er eine Bauvoranfrage beim Bezirksamt für einen sogenannten Berlin Work Campus – einen sechsstöckigen Bürokomplex mit modernen Flächen an diesem historischen Standort, der seit 1924 ein Kino beherbergt. Mit dem Colosseum, seit 1997 ein Multiplex-Kino mit zehn Kinosälen, sah es damals wirtschaftlich schon nicht gut aus. Im Mai 2020 schließlich stellte der Eigentümer Sammy Brauner, Sohn des damals kurz verstorbenen Filmmoguls Atze Brauner, einen Insolvenzantrag. Den 45 Mitarbeitenden wurde gekündigt. Teilweise warten sie jetzt, im Jahr 2022, immer noch auf den ausstehenden Lohn. 

Gegen die Pläne, am tradierten Kinostandort einen Bürokomplex zu errichten, protestierte nicht nur die Belegschaft ab dem Frühjahr 2020. Schnell gründete sich der Verein „Rettet das Colosseum“, gab es kiez- und bezirksweite Unterstützung – per Online-Petition, auf Demonstrationen und mit Protestaktionen. 

#prenzlauerberg
Bleibt als einziges vom Colosseum: Der historische Kinosaal.

HISTORISCHER SAAL VERBLEIBT ALS EINZIGER

„Einen Paukenschlag“ nennt Michel Rieck den Verkauf des traditionsreichen Kinos an den Projektentwickler Values. „Klar ist, das Kino wird nicht mehr so, wie wir es kennen.“, so der Vorsitzende der Genossenschaft „UnserKino“. Diese hatte der Colosseum-Verein im September 2021 gegründet – mit dem Ziel, das Kino selbst zu betreiben. 

Das Konzept des neuen Besitzers Values konzentriert sich auf einen einzigen, den historischen großen Kinosaal. Statt der bisher zehn Kinoräume. Dieser Kinosaal, der größte, ist das denkmalgeschützte Zentrum des Gebäudes. Die noch näher zu definierende „kulturelle Mischnutzung“, die Values vorschwebt, soll „abseits der Welt der Blockbuster“ weiterentwickelt werden, so der Projektentwickler. Drumherum Büros. Für den neuen Komplex will sich der Projektentwickler, dessen Portfolio die Errichtung hochwertiger Immobilien in „spezifischen Bestlagen deutscher Großstädte“ verzeichnet, selbst langfristig als Eigentümer engagieren. Eines seiner jüngsten Berliner Projekte ist ein dreiteiliger, siebengeschossiger Bau vis a vis der Hackeschen Höfe, mit Coworking-Büros und einem Mega Apple Store.

Für das Colosseum sei Values „in sehr guten Gesprächen mit zivilgesellschaftlichen Akteuren wie etwa dem Human Rights Film Festival Berlin und dem Jüdischen Filmfestival Berlin-Brandenburg“. Ins Gespräch will nun auch die Colosseum-Genossenschaft ihr Kinokonzept bringen. Die Gruppe aus ehemaliger Belegschaft und zahlreichen Kino-Begeisterten hat in diesem Monat einen Gesprächstermin mit dem neuen Eigentümer. „Unser Ziel ist, soviel wie möglich des Hauses zu bespielen“, so Rieck. Das Ursprungskonzept der Genossenschaft sah einen Betrieb in sieben Kinosälen vor – mit dem denkmalgeschützten Kinosaal als Premierenkino, mit arthouse- und Blockbuster-Filmen, mit Originalfassungen, Festivals, Filmgesprächen. Die „Qualität statt Quantität“ der Filme soll durch andere Kunst- und kulturelle Genres ergänzt werden. Ein offenes Haus für den Kiez und ganz Berlin. Die Genossenschaft hat inzwischen rund 300 Anteile – damit könnte sie grundsätzlich einen Kinobetrieb aufnehmen.

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Plötzlich dicht, plötzlich arbeitslos: Gegen die Schließung des Colosseum protestieren die Belegschaft und ein breiter Kreis von Unterstützer:innen. Fotos (2): M. Rieck

SO VIEL KINO WIE MÖGLICH

Nun steht nur noch der historische Kinosaal zur Verfügung, dennoch geht Michel Riek „zuversichtlich“ ins Gespräch mit dem neuen Eigentümer. Auch, wenn der Wunsch der Genossenschaft, das Land Berlin möge das Gebäude erwerben und als Kinokulturstandort dauerhaft sichern, sich nicht erfüllt hat. 

Wieviel Kino ist also künftig noch drin? Und für welche Öffentlichkeit? Die nächsten Monate werden dies zeigen. Klar ist, dass dem gesamten Komplex an Schönhauser Allee und Gleimstraße zudem eine längere Umbauphase bevorsteht. Büros, kulturelle Mischnutzung, im Sprech von Values klingt das so: „Wir schaffen einen lebenswerten neuen urbanen Raum an diesem Ort, indem wir wichtige gesellschaftliche Themen mit Innovationen aus verschiedenen kreativen Bereichen zusammenbringen.“

-al-, März 2022


Zur Geschichte des Colosseum

1894 errichtet die Große Berliner Pferde-Eisenbahn AG Wagenhalle und Schmiede am Standort. 

1924, am 12. September, eröffnet das Colosseum mit einem Kinosaal mit 1200 Plätzen. Mitten im Arbeiterviertel gelegen, zeigt es eine Mischung aus Kino und Variete.

Zeitweilig Kinderheim und Lazarett, wird das Colosseum 1945 zum Theater.

1957 eröffnet das Haus als modernes Totalvisionskino wieder. Es wird ein wesentliches Berliner Premierenkino. 

1992 erwirbt der Filmproduzent Artur Brauner das Haus und lässt es 1997 zum Multiplexkino mit zehn Kinosälen umbauen.

Im Jahr 2020 Insolvenz der Erben Brauners.

2022 Der Projektentwickler Values Real Estate kauft das Areal.