Feines aus Papier und Stoff

Magazin Prenzlauer Berg Zeitung
Ringe aus Büchern

Was kann der Mensch mit seinen Händen alles machen? Schöne oder nützliche Dinge herstellen, oder schöne und nützliche Dinge oder einfach nur schöne Dinge. Hand-Werker gibt es unzählige in Prenzlauer Berg – vom Bäcker bis zur Schmuckgestalterin, von der Papierkünstlerin bis zum Geigenbauer. Begegnungen mit den Handarbeitern des Bezirks.

Hendrik Materne hatte irgendwann eine Idee. Die Idee kam ihm, als er sich Stapeln alter Zeitungen gegenübersah und auf seinen Streifzügen durch den Prenzlauer Berg Unmengen alter, ausgelesener Bücher fand. Hendrik Materne fing an zu tüfteln und zu experimentieren. „Anfangs handelte es sich um eine bloße Bastelei, doch inzwischen habe ich mir eine beachtliche Fangemeinde aufgebaut“, sagt der 21jährige, der seit einem Jahr aus dem alten Papier Schmuck herstellt.
Ja, Schmuck. Aus Altpapier. Kunstvoll geschliffene, federleichte Ringe in leuchtenden Farben und anschmiegsamen Formen, glatt poliert. Feine Anhänger mit filigranen Mustern, tropfenförmig oder als ovale Scheiben. Keine Spur deutet mehr daraufhin, dass die feinen Schmuckstücke einst die „Prenzlberger Ansichten“ waren oder Hegels Philosophische Schriften.
Es ist ein ausgefeiltes Verfahren, in welchen aus dem alten Papier Schmuck entsteht. Fingerspitzengefühl braucht es dafür, viel Geduld und den Esprit des Kreativen. Das, was Handwerks-Kunst eben ausmacht.
Hendrik Materne schichtet das Papier und verklebt es mit einem speziellen Kleber. Aus den fest gewordenen Blöcken fräst er dann die Schmuckstücke heraus und färbt sie ein. Jedes in Handarbeit, jedes ein Unikat. Die „beachtliche Fangemeinde“ folgt dem Selfmade-Mann inzwischen via social medias, wo die Schmuckstücke bestellt und erworben können. Schmuck, handmade in Prenzlauer Berg.
Ob via Online-Shop oder im realen Werkstattladen im Erdgeschoss oder Hinterhof – die uralte Handwerkskunst erlebt derzeit eine neue Blüte. Die Grenzen zwischen professionellen Manufakturen, Hobby-Handwerkern und Kunstgewerblern verschwimmen. Neue Materialien werden gefunden, neue Techniken entstehen. Es scheint, als würde das digitale Zeitalter auch eine Sehnsucht nach seinem Gegenmodell hervorrufen: Selbst machen statt medial konsumieren, Unikat statt globales Einheitsprodukt. Dahinter steckt, neben der Sehnsucht nach Individualität, auch eine Wertschätzung derjenigen, die Schmuck oder Instrumente, Kerzen oder Holzstühle in langwieriger Handarbeit herstellen.
Man lässt wieder einzeln anfertigen oder fertigt selbst an.

Magazin Prenzlauer Berg Zeitung
Kreative Tische in der Schmuckbar

Selbst machen. Karola Liebig wusste von Anfang an, dass sie als Handwerkerin arbeiten wollte. Sie begann eine Lehre als Buchdruckerin, in jenen Zeiten, als die Buchstaben noch einzeln in Blei gegossen und per Hand, Buchstabe für Buchstabe, Wort für Wort, Zeile für Zeile, zu einer Seite zusammen gesetzt wurden. Diese, in Schwärze getaucht, bedruckte die Papierseiten. Detailarbeit, für die es einen feinen Blick, ruhige Hände und unglaublich viel Geduld brauchte. Die Zeiten sind längst vorbei, heute steuern Computer den Buchdruck.
Karola Liebig sattelte um, machte aus ihrem handwerklichen Vermögen ein neues, gründete ein eigenes Geschäft. Blieb nicht den Buchstaben treu, aber dem Papier. In ihrer kleinen, gemütlichen Papierwerkstatt liegen und hängen unzählige Papierbögen. Mit feinen Mustern bedruckt, Blüten und Ornamenten, Pünktchen oder Streifen. Daneben und dazwischen stehen Pappen in unterschiedlichen Größen. In gewisser Weise fertigt Karola Liebig daraus auch Schmuckstücke. Sie macht Briefpapier daraus und kleine und große Geschenk-Kartons, Windspiele aus Papierfiguren, Püppchen und kleine Möbelstücke. Schneidet und klebt, formt und faltet mit ihren beiden Händen. Entdeckt dabei auch immer wieder neue Möglichkeiten, macht z. B. kleine Wandregale oder gemusterte Bilderrahmen.
„Ich mag den Geruch von Papier und die vielen Möglichkeiten, die dieses Material bietet“, sagt Karola Liebig und schneidet währenddessen mit kleinen Schablonen Kreise und Dreiecke aus einem Papierbogen, der mit Teddys gemustert ist. Gleich kommt eine Gruppe Kinder, mit der sie Schatzkisten aus Papier und Pappe basteln möchte. Das Mit-Gestalten in ihrer Papierwerkstatt ist eine beliebte Beschäftigung nicht nur von Kindern aus der Nachbarschaft. Auch Erwachsene kommen und üben sich in Handarbeit, nehmen selbst gestaltete Briefbögen oder Lampenschirme mit nach Hause. Besonders in der Vorweihnachtszeit, wenn viele auf der Suche nach schönen, individuellen Geschenken sind, sind die Kurse von Karola Liebig ausgebucht.
Über mangelnde Aufträge kann sich auch Franka Storli nicht beklagen. Sie näht und schneidert Kleidung – mit ihren Händen. Blusen, Röcke, Kleider für die Damen; Sakkos, Anzüge, Shirts für die Herren. „Die Leute wollen wieder Individuelles, nicht nur zu besonderen Anlässen“, sagt die 47jährige, die seit über 25 Jahren als Schneiderin arbeitet.  „Vor einigen Jahren, da dachte ich, ich müsste mein Atelier schließen“, erinnert sie sich. Die Kunden blieben weg, zu teuer war ihnen die Handarbeit, zu mühsam das Vermessen und Probieren der maßgeschneiderten Kleidung. Inzwischen kommen sie wieder, alte und auch neue Kunden, zu ihrer Schneiderin. Sie verlassen sich auf das Können von Franka Storli, das nicht nur Schneidern und Nähen umfasst, auch die individuelle Beratung, welcher Stoff, welcher Schnitt denn am besten passen zu Frau oder Mann.
Zwei, drei Tage und ein, zwei Anproben braucht es, bis etwa ein Kleid fertig zum Anziehen ist. Handarbeit, die Wert hat und auch einen guten Preis. Inzwischen schneidert Franka Storli auch für Film und Theater, gibt kleine Nähkurse. Sie bügelt und ändert Kleidung, flickt und bessert Textilien für ihre Kunden aus. Kein Job, der in einer 40-Stunden-Woche zu erledigen ist. „Ich mag es so“, sagt die Schneiderin. „Ich mag es, wenn ein Kleidungsstück fertig ist, der Kunde zufrieden und meine Arbeit einfach schön aussieht“.
-al- (Jul 2014)