PRENZLAUER BERG IM HERBST 1989 (2)

„Der Staat hat sich seine Feinde selbst gezüchtet“

Nachrichten Prenzlauer Berg Magazin
Damals im Untergrund, heute in der Robert-Havemann-Gesellschaft, die das Erbe der DDR-Opposition verwaltet: Frank Ebert. Foto: al

25 Jahre ist das jetzt schon her. Ein Drittel Lebenszeit. Vor 25 Jahren erhoben sich in der DDR die Menschen, standen auf, in einem Freiheitsdrang, der nicht mehr zu unterdrücken war. Immer lauter werdend im ganzen Land, weit früher schon im Stillen in Prenzlauer Berg. Wie war das eigentlich, damals, im Herbst 1989?

Wann endet Vergangenheit? In diesem Raum soll sie gar nicht enden. Dieser Raum, vollgestopft mit Tagebüchern, Tonbändern, Büsten und Emblemen, ist der geeignete Ort für die Frage: Wie war das damals, im Herbst 1989? In diesem Raum sitzt Frank Ebert, und er ist, als einer der Protagonisten der friedlichen Revolution, ein idealer Adressat dieser Frage. „Ist schon verdammt lang her“, lautet seine Antwort. Frank Ebert sitzt in einem Raum der Robert-Havemann-Gesellschaft, deren Sprecher er ist. Er hat damals das Archiv der DDR-Opposition mitgegründet. Ein Hüter der Vergangenheit, auch seiner eigenen.
Die hat weit vor diesem Herbst 89 begonnen, lange, bevor die Menschen in die Kirchen und auf die Straßen gingen. Begonnen hat sie als unruhiger Geist, der sich nicht beugen wollte – nicht dem vereinheitlichenden Zwang des Staates DDR, für den das Wort „Individuum“ ein Schimpfwort war. Nicht den zunehmenden Lügen vom Sieg des Sozialismus, der in Wahrheit vor sich hin bröckelte. Viele – die meisten von uns – haben weggesehen oder sich eingerichtet. Frank Ebert nicht.

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Mahnwache für die politisch Inhaftierten: Seit dem 2. Oktober 1989 harrten junge Menschen, darunter Frank Ebert, in der Gethsemanekirche aus. Foto: Robert-Havemann-Gesellschaft/Jürgen Gernentz

So ist die zweite Frage an ihn, wie jemand dazu kommt, hinzusehen und anzuprangern. „Das fängt ja schon früh an“, sagt Ebert, „wenn Du Dich gegen die Militarisierung in der Schule wehrst, den Phrasen im Staatsbürgerkunde-Unterricht widersetzt. Wenn Du dann einmal angeeckt bist, dann wird das nicht vergessen.“ Anecken, das ging in dieser DDR schnell: Man musste nur einmal an der falschen Stelle lachen, den falschen Haarschnitt tragen oder die falsche Jeans. Im Oscar-prämierten Film „Das Leben der anderen“, man mag von ihm halten, was man will, sucht eine Szene diese alltägliche Willkür der Machthaber zu schildern: Ein Stasi-Angestellter erzählt in der Stasi-Kantine einen Honecker-Witz. Sein Vorgesetzter ermuntert ihn, mehr zu erzählen und lacht aus vollem Hals. Dann degradiert er den Witzbold dazu, fortan im Keller Briefmarken zu kleben.
Frank Ebert sagt: „Der Staat hat sich mit dieser Willkür seine Staatsfeinde selbst gezüchtet“. Ebert geht als 18jähriger zur Umweltbibliothek, jener oppositionellen Einrichtung im Keller der Zionskirche, die verbotene Bücher und verbotene Gedanken sammelt. Hier hilft er mit am Druck und der Verbreitung der unabhängigen „Umweltzeitung“, die Tabu-Themen aufgreift und veröffentlicht. Der junge Mann wird mehrmals verhaftet.
Als im September 1989 die Verhaftung von Demonstranten in Leipzig und anderswo durchsickert, sucht Frank Ebert nach einem Ort, das Unrecht öffentlich zu machen: „Öffentlichkeit war das letzte Mittel in der DDR. Das wollten die ja nicht“. Er findet diesen Ort in der Gethsemanekirche, andere Kirchen hatten abgelehnt. Am 2. Oktober beginnt er mit anderen jungen Menschen eine Mahnwache, rund um die Uhr. Die Nachricht spricht sich herum. Hunderte,Tausende Menschen kommen allabendlich in und vor die Kirche und  protestieren mit. Das Westfernsehen sendet. Die Öffentlichkeit ist hergestellt. „Mahnwache für die zu Unrecht Inhaftierten“ kündet ein Transparent an der Kirche. Davor Polizei.

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Vor 25 Jahren ein Zentrum der friedlichen Revolution in Berlin: Die Gethsemanekirche erinnert mit zahlreichen Veranstaltungen im Oktober an den Herbst 1989. Foto: M Gugeler

Es gibt ein Bild, das ihn am Ende dieses tagelangen Ausharrens in der Kirche zeigt. Die Forderungen sind erfüllt, die Inhaftierten wieder frei. Frank Ebert sitzt auf dem Boden, vor sich eine Trommel, neben sich zwei Kinder, dann ein weiterer Mann mit Akkordeon. Ein friedlicheres Bild für diesen friedlichen Widerstand kann es nicht geben.
Doch vorher gibt es den schlimmen 7. Oktober: Polizisten und Stasi-Leute knüppeln auf die Demonstranten ein, die sich zu Tausenden an der Gethsemanekirche und auf der Schönhauser Allee versammelt haben. Dutzende werden festgenommen, die Polizei kesselt sie ein. (Prenzlberger Ansichten vom September 2014). Frank Ebert verlässt die Kirche in diesen Tagen nur in Begleitung des Pfarrers, der ihn – als Gottesmann – schützen kann. Ebert hilft mit, dass auch andere Demonstranten die Kirche unbehelligt betreten und wieder verlassen können.
Dann, endlich, die Wende. Egon Krenz, eilig zum Staats-Chef der DDR berufen, verkündet am 18. Oktober tatsächlich die „Wende“ und hebt den Schießbefehl für Demonstrationen auf, den es offiziell gar nicht gab. In den darauffolgenden Tagen und Wochen überschlagen sich die Ereignisse, bilden auch in der Erinnerung Frank Eberts 25 Jahre danach ein Knäuel atemloser Aktivitäten: Weitere Demonstrationen, Vernetzung mit anderen Oppositionsgruppen im ganzen Land. Sie rasen mit der Herausgabe der „Umweltzeitung“, jetzt unter dem Titel „telegraph“, den Neuigkeiten hinterher: Massendemonstration am 4. November auf dem Alexanderplatz, Rücktritt der kompletten Regierung, Stürmung der Stasi-Zentrale, Mauerfall. Der Staat zerbricht im Schnelldurchlauf. „Bis zum 3. Oktober 1990 war das die schönste, die freieste Zeit“.
Frank Ebert hat in diesen Tagen begonnen, Zeit-Zeugnisse zu sammeln: Die Oppositions-Zeitungen, Augenzeugen-Berichte von Inhaftierten, Stasi-Akten, Briefe der Widerständler. Sie bilden den Grundstück des Archivs der DDR-Opposition in der Robert-Havemann-Gesellschaft. „Weil ich nicht wollte, dass die Geschichte allein aus der Sicht der Diktatur geschrieben wird.“
Katharina Fial (Okt 2014)