FIRMENGESCHICHTE PRENZLAUER BERG (11)

Kioske – ein Abgesang

Zeitungskioske prägten, wie auch die Straßenbahn am Zoo, in Steglitz oder Spandau, einst sehr stark das Berliner Stadtbild und gelangten, immer unfreiwillig, mit auf die Ansichtskarten aus der Hauptstadt. Mehr als fünfzig Prozent aller Zeitungen/Zeitschriften gingen über ihre Tresen. Kioske verschwinden heimlich. Adé!

Meine Vermutung, dass es da mögliche neue Hygienebestimmungen gäbe und die derzeitigen Kioske deshalb nur noch Bestandsschutz hätten und nach der Geschäftsaufgabe des jeweiligen Besitzers Kioske deshalb abgerissen werden müssen, schilderte ich in einer E-Mail dem Handelsverband Berlin-Brandenburg HBB. Nur einen Tag später bekam ich bereits einen Anruf von dessen Vorsitzendem, Herrn Nils Busch-Petersen:

"Herr Gänsrich, ihre Vermutung ist falsch. Daran liegt es nicht! Wir betrachten das Kiosksterben in Berlin mittlerweile selbst mit großer Sorge, wissen aber nicht, woran es liegt." 

Kioske gab es am Prenzlauer Berg an mehreren Stellen. "Bernies", an der Greifswalder / Naugarder schloss vor drei Jahren und wurde dann abgerissen. Der an der Ecke Greifswalder / Danziger schloss auch vor ein paar Jahren und wurde anschließend abgetragen. Den Kiosk direkt am Ausgang des U-Bf. Eberswalder Straße ereilte das gleiche Schicksal.

Zeitungskioske Berlin Prenzlauer Berg
Einer der letzten noch betriebenen Zeitungskioske in Prenzlauer Berg: TRAM-Haltestelle Bornholmer Straße, Foto: rg

So eine Art Kiosk existiert im Eingangsbereich des S-Bf. Greifswalder Straße, aber mit Selbstbedienung und zusätzlichem Fahrkartenverkauf. Ähnlich verhält es sich mit dem Point-Markt neben dem S-Bf. Prenzlauer Allee und einem "Service-Center" am Bf. Schönhauser. Einen Zeitungskiosk in einer kleinen Ladenstraße gab es dereinst bis zu seiner Umgestaltung Mitte der 80er-Jahre im Zugang zum S-Bf. Landsberger (damals Lenin-) Allee und ein echter Kiosk, ich erwähnte es im Oktober in der "Grenzen-Serie" gab es bis vor wenigen Monaten am Schönhauser Tor.

Momentan existieren noch ganze zwei von diesen Kiosken am Prenzlauer Berg. 

Gegenüber vom Frannz-Club, Schönhauser Allee / Choriner Straße hat der Zeitungskiosk sein Sortiment sichtbar um legale Drogen, Schnaps und Zigaretten, erweitert.

Auf der Straßenbahnhaltestelleninsel Bornholmer / Björnson ist nicht klar, ob der Kiosk nicht mittlerweile auf Dauer geschlossen ist.

Kioske gab es einst an fast jedem Umsteigepunkt der BVG. Wurde "früher" einfach mehr Papier gelesen?

Wenn man sich in der DDR mit dem Kioskbesitzer gut stellte, hatte der für einen eventuell unter seinem Tresen ein Exemplar des "Mosaik", des "Das Magazin" oder der "Wochenpost" vorrätig und in Berlin bekam man ganz öffentlich an diesen Kiosken internationale Presse wie zum Beispiel den "Morning Star" („Britain's only socialist daily“) oder die "Prawda" aus der Sowjetunion. Im "Eulenspiegel" machte man sich 1988 über die angebliche Pressevielfalt der DDR in Form einer Karikatur lustig. Darin war ein Kiosk zu sehen, an dem viele nationale Tageszeitungen hingen, von denen nur der Kopf der Zeitungen und die Headlines zu lesen war – "Neues Deutschland": "Großer Sieg für den Sozialismus" und "B.Z. am Abend": "der Sozialismus siegt im Großen" und "Der Morgen": "Sieg für den großen Sozialismus", über der Karikatur das Wort "Pressevielfalt" und unter der Karikatur der lakonische Satz "Viel Falter falten viel".

Es verschwinden immer wieder klammheimlich Alltagsdinge. Der "Wahrig"/"Duden", "Brockhaus", "Meyers-Lexikon" wurden vom Internet verdrängt, die Schreibmaschine vom PC, die morgendlichen Zeitungsmauern in der U-Bahn, das Groschenheft im ärztlichen oder der Schmöker im Amts-Wartezimmer wurden durch das Smartphone verdrängt.

Übrigens wäre früher kein Kraftfahrer auf die Idee gekommen, während der Fahrt, am Steuer, nebenbei, noch einen Krimi zu lesen.

Aber es gibt auch Beispiele unter dem Motto: "Totgesagte leben länger". Die Hörspiel-Audio-Kassette lebt noch immer in Kinderzimmern und die Schallplatte feiert seit Jahren ihr Comeback und hat bereits vor fünf Jahren in Stückzahlen die verkauften CD's pro Jahr wieder überholt.

Dinge, die außerdem klammheimlich verschwanden: Schienenstöße bei der S-Bahn, Badeofen, Güterverkehr mit der Straßenbahn, S-Bahn-Türen die sich während der Fahrt (und bereits während der Einfahrt in den Bahnhof) öffnen lassen, Alu-Besteck in Kantinen, Gummihopse, Röhrenbildschirme, Floppydisc, Windows 95, Schaffner, Rentier (also jemand der eine private Apanage bekommt), Playboy, Gammler, Trapo (Bahneigene "Transportpolizei"), Oberleitungen die in Hauswänden verankert sind, Modelleisenbahnen, Flomen, Motorradbeiwagen, Schmerzmittel Faustan, Karbidlampen, berliner Mundart, Auto-Antennen, ... und die Kenntnisse der vielen Kommunikationsmöglichkeiten die ein Kraftfahrer so alles zur Verfügung hat (Blinker, Lichthupe, anbremsen, Handzeichen, aussteigen und fragen) ...

Rolf Gänsrich, Jan. 2020

www.rolfgaensrich.wordpress.com