Senat und Bezirk pokern um neue Wohnungsstandorte für den erwarteten Zuwachs an Einwohnern. Der jeweilige Einsatz: Kleingärten und Naturgebiete im Norden gegen Brachflächen im Südosten. Um den
gegenwärtigen Wohnbestand sozial zu sichern, stehen neue Instrumentarien an.
Nie war die Wohnungslage angespannter: Keine Anwohnerversammlung verläuft ohne die Frage nach Mieterschutz. Keine Wohnungssuche im Kiez, ohne ein Casting mit Dutzenden von Mitbewerbern zu
durchlaufen. Und sich schon über Kalt-Quadratmeterpreise von unter zehn Euro zu freuen. „Wir haben derzeit das Phänomen, dass sich selbst zwei gut verdienende Mittelständler kaum noch eine
Wohnung leisten können“, sagte Bezirksstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne) kürzlich auf einer Anwohnerversammlung. „Die Preise sind innerhalb weniger Monate so gestiegen, dass uns allen die
Ohren schlackern.“
Und es werden immer noch mehr, die sich im Prenzlauer Berg und angrenzenden Kiezen niederlassen wollen. Um 16 Prozent steigt die Bevölkerung laut jüngsten Prognosen bis 2030 im Großbezirk
Pankow, rund 220.000 Neu-Berliner sollen es dann in der gesamten Stadt sein.
Der Senat reagiert mit umfangreichen Neubauplänen. Neuer Wohnraum muss her, vor allem im beliebtesten Bezirk. Berlin sucht nach freien Flächen, überarbeitet derzeit seinen
Stadtentwicklungsplan.
„Nicht jede Lücke und jedes Grün muss zugebaut werden“, gibt Jens-Holger Kirchner die Pankower Politik vor. Eine Aussage, an der er sich messen lassen muss. Denn weiterer Zuzug bedeutet
auch weiterer Druck auf die Infrastruktur: Auf Verkehr, Schulen, Kitas. Die sind bereits jetzt am Limit.
Ohne Ausbau der Infrastruktur sind neue Wohnbauten nicht zu denken. Unter dieser Prämisse hat das Pankower Parlament unlängst mögliche Standorte für Bauvorhaben mit mehr als 100 Wohnungen
avisiert. Sie stehen teils konträr zu den Plänen des Senats und müssen nun verhandelt werden. Es sind auch Flächen in Prenzlauer Berg darunter, vorgeschlagen, um Kleingärten und
Landschaftsräume in Pankow, Buch und Karow vor der Bebauung zu retten. Der Bezirk beruft sich dabei auf die Landesprä- misse: „Innenentwicklung vor Außenentwicklung“. Also:
zentrumsnahe Bauten statt Wohnungen auf der grünen Wiese.
Gegenüber den „Prenzlberger Ansichten“ führt Kirchner die Bezirkspläne konkreter aus. Fünf Standorte haben demnach das Potenzial für großflächigeren Wohnungsbau. Dazu kommen zahlreiche kleinere
Bauvorhaben in den noch verbliebenen Lücken und Nischen des Häuserbestands, sogenannte Nachverdich- tungsbauten.
Der alte Güterbahnhof am S-Bahnhof Greifswalder Straße bietet Raum für Größeres, für etwa 350 Wohnungen. Seit längerer Zeit zeigt ein Investor dafür Interesse, doch „die Ideen müssen noch
reifen“, so Kirchner. In der südlichen Michelangelostraße könnten etwa 400 Wohnungen entstehen. Großes Potenzial sehen die Planer auch im Thälmannpark einschließlich der Bauten von Bezirksamt
und ehemaligen Krankenhaus. Dieses auszuloten, läuft derzeit eine städtebauliche Voruntersuchung (PA Nr. 252 vom April 2013), die bis Oktober Strategien dafür entwickeln soll.
Kleinere Flächen für Wohnungsbau zeigt der Bezirk auf dem Isländischen Grund unweit des S-Bahnhofs Bornholmer Straße (150 Wohnungen) und in der Conrad-Blenkle-Straße (150 Wohnungen) auf.
In etwa fünf bis zehn Jahren könnten die Flächen bebaut sein, schätzt Kirchner. Wer zu welchen Preisen baut, ist noch Zukunftsmusik. Immerhin: Auf den Flächen, die dem Bezirk gehören, stehen die
Chancen für öffentlichen, sprich: bezahlbaren Wohnungsbau gut.
Die Vorschläge des Bezirks gilt es nun mit dem Senat zu verhandeln. Bis September müsste sich die Standortfrage klären. Dann soll der Gesamtberliner Stadtentwicklungsplan, der die Weichen bis
zum Jahr 2030 stellt, zur Abstimmung ins Abgeordnetenhaus.
Es könnte ein heißer Sommer werden. Denn nicht nur die Bezirkspolitik hat Veränderungsvorschläge. Auch der Mieterverein protestiert, gemäß seinem Anspruch plädiert er für
Sozialverträglichkeit. Er verlangt eindeutige Bekenntnisse zu öffentlich gefördertem und sozialem Wohnungsbau und verweist auf das geringe durchschnittliche Haushaltseinkommen.
Geht die Verdrängung von Geringverdienern weiter oder nicht – auch diese Frage muss also der Stadtentwicklungsplan beantworten. In der Gegenwart sucht der Bezirk indes nach Instrumentarien,
um diese zu regulieren und die „soziale Mischung“ der Bevölkerung zu erhalten. So sie noch vorhanden ist.
„Luxussanierung“ ist bereits seit Anfang des Jahres in den Milieuschutzgebieten verboten. Dieses Verbot soll auf insgesamt 70.000 Wohnungen ausgeweitet werden, bis Jahresende auch auf die
ehemaligen fünf Sanierungsgebiete Kollwitzplatz, Winskiez, Helmholtzkiez, Teutoburger Platz und Bötzowviertel. Damit sind dann auch dort unangemessene Sanierungen und Mietpreissteigerungen
untersagt, etwa der Einbau eines zweiten Bades oder eines zweiten Balkons. Verboten ist zudem, was Wohnraum mindert: Die Zusammenlegung von Wohnungen, die Umwandlung von Miet- in
Ferienwohnungen und von Miet- in Gewerberäume.
Allein 1400 illegale Ferienwohnungen soll es im Prenzlauer Berg geben. Das sind 1400 potenzielle zusätzliche Mietwohnungen.
Erfolg verspricht sich Bezirksstadtrat Kirchner auch vom sogenannten „Hamburger Modell“, das der Bezirk als erster in Berlin einführen will. Es gibt der öffentlichen Hand ein Vorkaufsrecht,
wenn Investoren bei Bau oder Sanierung soziale Belange nicht berücksichtigen.
Derzeit verhandelt der Bezirk zudem mit den Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften über ein Pankower Bündnis für Mieterschutz und Wohnungsneubau. Bis September soll es stehen. Es
enthält Nettokaltmieten, die sich auch Geringverdiener leisten können und bietet Schutz bei Modernisierungen. Auf den Weg gebracht hat das Parlament zudem neue Regelungen für den Wohnungstausch
in städtischen Wohnungen. Fortan soll Mietern, die in kleinere Wohnungen ziehen wollen oder müssen, entsprechender Raum zu adäquaten Nettokaltmieten zur Verfügung gestellt werden.
Es sind dies allesamt gesetzliche Instrumentarien, die retten wollen, was noch zu retten ist. Was sie signalisieren: Der Wohnungsmarkt im Bezirk ist gegenwärtig und bleibt künftig die größte
politische Baustelle.
✒ Katharina Fial (Juli 2013)