Bötzowviertel Ein – Kiez in bester zweiter Hand

Das Gebäude in der Esmarchstraße 18 steht bis auf die Bibliothek leer. Foto: al
Das Gebäude in der Esmarchstraße 18 steht bis auf die Bibliothek leer. Foto: al

Rund um die Hufelandstraße haben die Bewohner die Initiative übernommen. Eine weitere gute Nachricht lautet: Der Erhaltungsschutz soll auch für ihr Viertel gelten.

Es ist ein Abend, der sie alle überrascht: Veranstalter und Betei­ligte. So viel Interesse am Ge­sche­hen vor der eigenen Haustür, so viel Engagement müssen einfach verblüffen. Dieser Abend, eine Anwohner­versamm­lung im Bötzowkiez, bringt Neues voneinander und  Nachbarn einander näher. Es sind aktive Menschen, die Verant­wortung übernehmen wollen oder übernommen haben. Alteingesessene und Gentrifizierer.
Die Stühle reichen nicht und auch nicht der Raum in der Aula der Homer-Grund­schule. Bis vor die Tür stehen sie.
Es ist ein Abend, der die drängenden Fra­gen an die Bezirkspolitik klärt und zudem klärt, wer sich wofür engagiert. Initiiert hat diesen Abend der Bürger­verein „Pro Kiez“.
„Das ist teilweise schon Missbrauch von Ehrenamt“. „Pro Kiez“-Chef Klaus Lemm­nitz nennt zwei Beispiele, die –  obwohl Aufgabe der Kommune – inzwischen in die Hand von Bürgern übergegangen sind. In zweite Hand gewissermaßen: Als für die Tucholsky-Bücherei kein öffentliches Geld mehr da war, übernahm sie „Pro Kiez“. Als der Arnswalder Platz mangels Mittel verödete, griffen die Anwohner zu Harke und Heckenschere.
Damit gibt Lemmnitz dem Abend sein eigent­liches Thema: Die Bereiche von politischer und von bürgerschaftlicher Verantwortung. Im Bötzowkiez wachsen beide zu einem neuartigen Modell zusammen. Die Bewohner engagieren sich und nehmen so die Politik in die Pflicht.
Sie haben drängende Fragen, nach Mieterschutz und attraktivem Lebens­raum. Das einstige Sanierungs- und Milieuschutzgebiet, so stellt Stadtbaurat Jens-Holger Kirchner (Grüne) in Aus­sicht, soll unter den Erhaltungsschutz fallen. Ebenso wie die anderen vier Sanierungsgebiete im Prenzlauer Berg. Das heißt: Verbot von Luxussanierung und Fremdnutzung von Ferien­woh­nun­gen; Verbot der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen; Vorkaufsrecht für die öffentliche Hand, wenn bei Bauvorhaben das soziale Milieu in Ge­fahr ist. Instrumentarien, mit denen der Bezirk „dämpfend“ auf den Wohnungs­markt einwirken will. Geht es nach dem Zeitplan Kirchners und spielt der Senat mit, sollen sie spätestens zum Jahres­ende wirksam werden.

Der denkmalgeschützte Stierbrunnen ist das Markenzeichen des Arnswalder Platzes. Foto: al
Der denkmalgeschützte Stierbrunnen ist das Markenzeichen des Arnswalder Platzes. Foto: al

Für das Bekenntnis, zu retten, was noch zu retten ist, erhält Kirchner Bürger-Applaus. Weniger begeistert reagieren die Bötzow-Bewohner auf die Verklei­ne­rung ihres einzigen Supermarktes. An­stel­le des REWE-Marktes entsteht ein Wohnhaus, in dessen Erdgeschoss der Markt integriert wird. Mit verkleinerter Fläche wie im Gesetz vorgeschrieben. Während der Bauzeit zieht der Markt pro­vi­sorisch auf die Werneuchener Wiese. Zum Ausgleich für diese Nutzung gibt es Geld für die Spielplätze des Kiezes. Immerhin.
Sie mischen sich ein und wollen sich einmischen. In die Gestaltung des Kinderfreizeit-Treffs, der deutlich kleiner ausfällt als geplant, weil das Geld fehlt. Eingeschossig entsteht er im Jahr 2014 in der Pasteurstraße, reicht damit nur für die 6- bis 14jährigen und nicht, wie vorgesehen, auch für Jugendliche. De­nen fehlt ein Ort im Kiez. Und vehement fordern die Bewohner ihn bei Bezirks­stadträtin Christine Keil (Linke) ein.
Einen Bürgergarten wollen einige anlegen, ein Sommerfest am Arnswalder Platz andere organisieren (siehe Beitrag unten). Regelmäßige Lesungen und Ausstellungen in der Bibliothek gibt es schon.
So viel Engagement braucht Raum. „Pro Kiez“ will das Haus in der Esmarchstraße 18 als Zentrum nutzen – in guter Nach­barschaft mit der Homer-Grundschule, deren Platz zu eng wird. Nebenan steht das Gebäude bis auf die Bibliotheks-Räume leer. Ein Bürgertreff, eine Mie­terberatung und Zusatzangebote für die Schule sollen entstehen. Das hat der Verein konzipiert – im Schulterschluss mit dem Bezirk, der jetzt die baurechlichen Schritte prüft.
Ganz spät an diesem bewegten Abend wird noch einer aktiv, zwei Stunden hat er geduldig ausgeharrt: Ein kleiner Junge fragt nach dem geplanten Spiel­platz in der Bonhoefferstraße und erinnert an ein lange gegebenes Ver­sprechen. Der Nach­wuchs nimmt an die­sem Abend als Letz­ter die Politik in die Pflicht.
✒ Katharina Fial (Mai 2013)
Mehr Infos auf: prokiez.wordpress.com

 

Arnswalder Platz – Die frische Graswurzelrevolution

Um den Arnswalder Platz kümmern sich seit einigen Monaten eine Anwohnerinitiative. Am 31. August lädt sie alle Nachbarn zum Sommerfest. Foto: al
Um den Arnswalder Platz kümmern sich seit einigen Monaten eine Anwohnerinitiative. Am 31. August lädt sie alle Nachbarn zum Sommerfest. Foto: al

Putzen im Frühjahr, Feiern im Sommer: Das vernachlässigte Areal soll zu einem echten Treffpunkt erblühen.

Begonnen hat alles mit Unmut: Der Arnswalder Platz, erst 2010 für 1,2 Millionen Euro saniert und begrünt, verfiel. Weil dem Bezirk die Gelder zur regelmäßigen Pflege fehlen. Also packten die Anwohner selbst zu. Sie beschnitten, säuberten, jäteten und räumten auf. Ambitionierte Hobby-Klein­gärtner machten den großstädtischen Platz zu ihrem eigenen. Indem sie sich um ihn sorgten. Einmal, noch einmal und wieder. Erst jüngst mit einer gemeinsamen Aktion im April, bei der 60 Menschen den Platz fit für die Saison machten.
Jetzt folgt der zweite Schritt der Platz-Eroberung: Ein Sommerfest für und vom Kiez – mit Künstlern, Händlern, Ini­tia­tiven. Mit allen, die sich beteiligen wollen – auf einer Bühne, an Info- und Gastronomieständen. Am 31. August soll es auf und um den Platz starten.
„Ich möchte meine Nachbarn besser ken­nenlernen“, beschreibt Stefan Gehr­ke, einer der Initiatoren, seine ganz persönliche Motivation. Was also liegt näher, als sie alle zum gemeinsamen Feiern einzuladen: Die Nachbarn aus dem Bötzowkiez ebenso wie die Bewoh­ner nördlich der Danziger Straße. Denn sie alle nutzen den Platz, zumeist jeder in seiner Nische. Nun soll das Areal mit seinen schönen alten Bäumen, den Spiel- und Rasenflächen und dem gigantischen Stierbrunnen im Zentrum ein Treffpunkt für alle werden. Eine gemeinsame Oase.
Das Engagement der Anwohner für ihren Platz gleicht einer zeitgemäßen Gras­wur­zelrevolution. Indem sie selbst zugriffen, trotzten sie dem Bezirk Zu­geständnisse ab. Damit der kaputte Brun­nen wieder sprudeln kann, gibt es jetzt öffentliche Gelder. Bei den Aufräumaktionen stellen die Ämter inzwischen Knowhow und Equipement. Über kooperative Patenschaften für einzelne Bereiche wird verhandelt. Auch für das Sommerfest signalisiert Bezirks­stadt­rat Jens-Holger Kirchner Unter­stützung: „Wir wären ja dumm, wenn wir so viel Engagement nicht fördern würden“.
 ✒ -al- (Mai 2013)
Für das Sommerfest am 31. August sucht die Anwohnerinitiative weitere Mitwirkende und Sponsoren. Infos auf www.arnswalderplatz.de