MENSCHEN IN PRENZLAUER BERG

Die Mix-Media-Autorin

Sophie Krause lebt in Prenzlauer Berg und hat ihren ersten Roman geschrieben. „Frühwarnsystem“ ist ein Berliner Coming-of-Age-Roman und ein Projekt, das mit den Chancen von gedrucktem Buch und Social Media arbeitet. Diese zu einer neuen Erzählweise verbindet.

 

Eigenartig. Unser Gespräch beginnt mit der Wohnungssorge. Als wäre jeder Mensch, der mehr als zehn Jahre in Prenzlauer Berg lebt, irgendwann zwangsläufig mit der Frage konfrontiert, wie lange er noch in seiner Wohnung bleiben kann. Sophie Krause lebt im Kastanien-Kiez, das Haus wurde vor kurzem verkauft. Krauses Hausgemeinschaft ist nun beunruhigt, wie es weiter geht.

„Ich will in Prenzlauer Berg bleiben“, sagt die Autorin als erstes in diesem Gespräch,  „das ist schließlich mein Zuhause.“ Wie die Protagonistin ihres Romans „Frühwarnsystem“ ist Krause aus Brandenburg nach Berlin gezogen. Sie lebt seit 13 Jahren in Prenzlauer Berg, arbeitet hauptberuflich für einen Radiosender. Als sie unlängst mit ihrem Vater in der Heimat telefonierte, sprach sie von Prenzlauer Berg als ihrem Zuhause. War darüber selbst verblüfft.

#Sophie Krause #PrenzlauerBerg
Sophie Krause ist Online-Redakteurin bei einem Berliner Radiosender und hat gerade ihren ersten Roman veröffentlicht. Foto: Van Loosen

DAS URBANE DORF

Was ein Zuhause ausmacht? „Wenn Du den Menschen vom Späti kennst und einen Plausch mit ihm machst“, sprudelt sie los. „Wenn Du auf die Straße gehst und Leute triffst, die du kennst.“ Kurzum, Prenzlauer Berg, der Kastanien-Kiez, „das ist mein kleines Dorf“.

Für Krauses Protagonistin Julia ist Berlin zunächst eine Stadt, in der sie sich als Provinztusse fühlt. „Angestrengt starre ich auf meine Oberschenkel. Ob er von dort, wo er sitzt, die Haarstoppeln unter meiner schwarzen Strumpfhose sehen kann? Oder die kleine Laufmasche, die unter meinem dunkelgrauen Jeans-Minirock hervorlugt?“, fragt sich die junge Frau auf einer Zugfahrt nach Berlin. Da sitzt ihr erstmals Tom gegenüber, der später ihr Geliebter werden wird. „Bitte, lass ihn nicht meine dreckigen Boots bemerken, die ich mir vorhin erst beim Radfahren bespritzt habe. Ich muss aussehen wie die letzte Landpomeranze!“ 

#Frühwarnsystem #PrenzlauerBerg
Eine – Berliner – Ratte spielt im Seelenleben der Romanprotagonistin eine wohlmeinende Rolle. Repro: red

DER SEHNSUCHTSORT

Berlin wird Julias Sehnsuchtsort. Der Ort, an den sie zieht, weil sie alles auf einmal will: Eben diese große Liebe Tom, das pralle Leben, die tolle Karriere. Der Ort, an dem sie das alles bekommt – und sich verliert. Der Ort, an dem sie irgendwann mit Burnout zusammenbricht. Wie ihre Autorin. Vor sieben Jahren ging bei Sophie Krause gar nichts mehr.

Ausgebrannt, leer. Sie zog sich mit ihrem Hund vier Wochen an die Ostsee zurück, begann zu schreiben. Schrieb dort zunächst das Storyboard für ihren Roman „Frühwarnsystem“. Ein Befreiungsschlag, eine Wiederbelebungs-Strategie, möglicherweise. „Ja“, sagt Sophie Krause, es gäbe auch heute noch Stellen in dem Buch, die sie nicht lesen könne, ohne dass ihr die Tränen kämen. Noch zu nah dran an den Erlebnissen, an den Symptomen und den Signalen des Körpers, die sowohl Sophie damals als auch ihre Julia im Roman überhören und übersehen.

Ein Buch also, um ins Leben zurückzukehren – und zu verstehen, was mit ihr passiert ist, damals, vor sieben Jahren. Ein Buch auch, wenngleich nicht nur, für junge Frauen in ähnlichen Lebensphasen und -situationen. „Wir wollen ja alle perfekt sein, vergleichen uns ständig mit anderen. Wir machen solange weiter, bis es nicht mehr geht“, sagt Krause und zitiert eine AOK-Studie, in der über die Hälfte der Studierenden angab, sich gestresst und überfordert zu fühlen. Vor allem junge Frauen. Dann das Frühwarnsystem ernst zu nehmen, und die Überforderung zu stoppen, dazu will ihr Buch beitragen.

#Frühwarnsystem #PrenzlauerBerg
„Frühwarnsystem“ gab Sophie Krause im Eigenverlag heraus. Cover: Nick Cocozza

DIE FRÜHWARN-SYMPTOME

Wie kann sich dieses Frühwarnsystem äußern? Unterschiedlich, sagt Krause. Bei ihr waren es vor allem ständiges Kopfweh, permanente Müdigkeit, Flimmern vor den Augen. Irgendwann kam sie nicht mehr aus dem Bett. Dann kam der Ostsee-Trip, kam die Ruhe, begann das Schreiben. Nahezu sieben Jahre lang. „Ich habe schon als Kind gern geschrieben, bei meinem Vater am Rechner gesessen und mir Geschichten ausgedacht“. Krause erzählt vom Literaturwettbewerb, zu dem ihre Mutter sie brachte. Dann von ihrem Studium der Kommunikationswissenschaft, der Arbeit für verschiedene Berliner Medien. Bis zum Zusammenbruch.

Sieben Jahre hat sie an ihrem Roman gearbeitet, dazu auch an dessen Veröffentlichung. Ist immer wieder an die Ostsee gefahren, um Muße zum Schreiben zu haben. Weil sich kein Verlag fand, entschloss sie sich, „Frühwarnsystem“ selbst herauszugeben. Mitte August war es soweit. Bereits Monate vorher startete Sophie Krause das, was sie „Verlängerung auf instagram“ nennt. Auf dem dortigen „Frühwarn“-Kanal gibt es zu jedem Kapitel einen Post mit zusätzlichen Informationen, zum Beispiel zu den Songs, die im Buch erwähnt werden; Rezepte der Smoothies, die Julia und ihre FreundInnen trinken – oder einfach Fragen an die AbonenntInnen zu Julias Geschichte oder Empfindungen. Der Austausch mit LeserInnen sei ihr wichtig, sagt Sophie Krause. Eben, weil Burnout so ein wichtiges Thema ist. „Ich gehe mit meinem Burnout auch gegenüber den KollegInnen offen um.“

Nach sieben Jahren ist es geschafft. Auch, wenn die Corona-Zeit die Veröffentlichung von „Frühwarnsystem“ um einige Monate verschob. Ob Sophie Krause weiterschreiben will? „Auf jeden Fall“, sagt Krause, „ich habe richtig Blut geleckt.“ 

Bleibt noch die Sorge um die Wohnung im Kastanien-Kiez. „Wir sind so eine gute Community.“ beschreibt die Autorin ihre Hausgemeinschaft. Wäre schwer, die zu verlieren. Wie all die anderen im Kiez, wie auch die anderen HundebesitzerInnen, denen sie auf ihren Ausflügen mit ihrem Hund Dexter immer wieder begegnet.

Katharina Fial,  Sept. 2020

Mehr zum Projekt und der Autorin auf: www.sophiekrause.com