WIE WIR LEBEN WERDEN

Laboratorium in Grün und Bunt

Großstadt-Indianer und Obstbäume für alle; Spitzenmieten und interkulturelle Spitze; Kleingärtner und die meisten Eltern-Kind-Cafes Berlins – Prenzlauer Berg bleibt ein Patchwork-Quartier zwischen Provinz und Welt. Eine Wegbeschreibung für 2017.

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Obstbäume für alle: „mundraub“-Aktivisten pflanzten im Anton-Saefkow-Park zwölf Bäume. Foto: mundraub

Beginnen wir mit der Provinz, ihren guten Seiten. Mit Nachbarschaftsfesten und Grünpflege vor der eigenen Haustür – als wäre der gesamte Stadtteil eine Kleingartenanlage. In Choriner Straße und am Teutoburger Platz, in Wins-Viertel und im Bötzow-Kiez feiern Anwohner-Initiativen seit Jahren Nachbarschaftsfeste, mit Bratwurst und Espresso Macchiato, mit Kunst und einem Infostand der Sparkasse. Wenn die „Süddeutsche Zeitung“ dem Prenzlauer Berg jüngst bescheinigte, ein Zukunfts-Labor für Deutschland zu sein; ein Labor, in dem die Lebensformen von Morgen erprobt werden, gehört dieses nachbarschaftliche Beisammensein dazu. Es ist 2016 internationaler geworden und wird 2017 internationaler werden. Der Zuwachs an Menschen, der Zuzug weitet sich auf Menschen aus, die aus allen Teilen der Welt nach Berlin, nach Prenzlauer Berg kommen, sei es aus Spanien oder Syrien, Polen oder Bolivien. Sie kommen, weil sich ein paar Jahre in Berlin gut für die Karriere machen, oder sie kommen, weil der Kriegszustand ihrer eigentlichen Heimat sie fliehen lässt. Kosmopolitischer Transit trifft auf gewachsene Provinz. 

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Improvisation und Vergänglichkeit: Davon wird das Image des Stadtteils auch in 2017 zehren. Fotos (2): al

Neue Sprachgebräuche 

Es funktioniert. An den Supermarktkassen wird englisch gesprochen, manchmal spanisch. Die Welle der Hilfsbereitschaft und des Engagements für die zahlreichen Flüchtlingsunterkünfte seit Ende 2015 hat sich auf hohem Niveau eingepegelt. Sachspenden und ehrenamtliche Mitarbeit machten den Betrieb zahlreicher Notbehausungen überhaupt erst möglich. Das Netzwerk „Pankow hilft!“, in dem sich die UnterstützerInnenkreise zusammenschlossen, erhielt dafür in den letzten Tagen des Jahres 2016 den Pankower Ehrenamtspreis. Eine Auszeichnung, die zugleich ein Aushängeschild für den weltoffenen Bezirk ist. Die wenigen, schlimmen Übergriffe auf Menschen fremder Herkunft, die es auch in Prenzlauer Berg gibt, werden an dieser Weltoffenheit nichts ändern. Gleichwohl gilt es Toleranz und kosmopolitische Denke ständig zu etablieren.

 

Neue Farbenvielfalt

Eine Aufgabe auch für die neue Bezirksregierung, die im Herbst 2016 gewählt wurde. Rot-Rot-Grün als Zählgemeinschaft, fünf Parteien mit Regierungsverantwortung in Gestalt von Bürgermeister und vier Stadträten. Zum Jahresanfang 2017 sind noch zwei der Stadtratsposten unbesetzt – der langjährige Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung, Jens-Holger Kirchner, wechselte in die Berliner Landesregierung. Der Posten, der laut Wahlergebnis der AfD zusteht, ist noch unbesetzt, weil der Kandidat unbeliebt ist. 

Dass fünf Parteien einen Bezirk lenken, ist einmalig in Berlin. Schön bunt, mit deutlich sozial-ökologischer Ausrichtung gibt sich das politische Gremium. Ein verantwortungsvoller Ausbau von Wohnraum und Infrastruktur für den wachsenden Bezirk gilt den Regierungsparteien als Prämisse. Das heißt in Zahlen beispielsweise: 30 Prozent der neugebauten Wohnungen sollen soziale Miethöhen erhalten. Und für die beiden Großbaustellen in Prenzlauer Berg heißt das: Grüngürtel und nur 400 neue Wohnungen statt ursprünglich 600 am alten Güterbahnhof Greifswalder Straße; „behutsame“ Nachverdichtung des Plattenbauquartiers Michelangelostraße. Grüne Dachgärten und Fassadenbegrünung sollen dort für mehr Lebensqualität sorgen.

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Zuhause für immer mehr Menschen: Auch in 2017 wird Prenzlauer Berg weiter wachsen.

Genuss für alle

Bleiben wir bei Grün. Pankow ist 2017 offiziell ein „Essbarer Bezirk“. Alle Obstbäume  und -sträucher sind zur Ernte freigegeben. Im Anton-Saefkow-Park wachsen seit kurzem zwölf neue: Birnen, Kirschen und Äpfel alter Sorten – von Paten gespendet und öffentlich nutzbar. Dem Startschuss für den „Essbaren Bezirk“ sollen weitere Pflanzaktionen folgen – sobald weitere Flächen zur Verfügung stehen. Die Warteliste derjenigen, die Obst für sich und andere pflanzen wollen, ist lang. Und so bittet die Initiative „mundraub“ um Geduld. Die brauchen Obstbauern ja ohnehin.

Dass Gärtnern provinziell und urban zugleich sein kann, beweisen seit vier Jahren die Grün-Engagierten vom Arnswalder Platz. Den heruntergekommenen Mittelpunkt des nördlichen Bötzow-Kiezes versetzten sie mit Harke, Gartenschere und Rosensträuchern in unzähligen Stunden in einen grünen Zustand. Für ihre Patenschaft fürs Grün vor der eigenen Haustür erhielt die Initiative unlängst eine Berliner Auszeichnung. Beim quirligen Engagement der Leute vom Arnswalder Platz mag bald eine internationale Medaille folgen.

 

Vergehen und Werden

Die Kultur auf der Straße wird 2017 internationaler, die Kultur auf den Bühnen wird es auch. Die kleine, feine Schaubude an der Greifswalder Straße richtet internationale Festivals aus und lädt FigurenspielerInnen aus aller Welt in ihre Räume. Auch Flüchtlinge haben dort einen Ort zum Schau-Spielen gefunden. Das neue eröffnete Planetarium an der Prenzlauer Allee startet als modernstes Wissenschaftstheater Europas seine interkulturellen Reisen in den ganzen Weltenraum.

Kleiner, nicht weniger lebendig und interkulturell, gibt sich eine etablierte Institution in Prenzlauer Berg, das Netzwerk SpielKultur. Seit 26 Jahren schafft es sichere, kreative und wilde Orte für Kinder im Stadtteil und darüberhinaus. Auf seinem Abenteuerspielplatz auf dem Kollwitzplatz toben ganzjährig die Großstadtindianer – urbane Kinder mit multikulturellen Lebensweisen. Sie bauen dort Hütten, die sie nach einigen Monaten wieder abreißen, um Platz für neue zu schaffen. Ein Prenzlauer Berg im Kleinen, mit einer schönen Maxime: „Bauen statt Hauen.“ 

Herzlich willkommen im Jahr 2017, in dem diese Zeitung, die „Prenzlberger Ansichten“, als Spiegel des Laboratoriums Prenzlauer Berg, 25 Jahre alt wird.

-al-, Jan. 2017