Menschen in Prenzlauer Berg

„Ich hab so viel Glück gehabt im Leben“

Punk, Model, Stylist, Stilikone … Frank Schäfer erzählt in seiner Autobiografie „Ich bin nicht auf der Welt, um glücklich zu sein“ über sein Leben in Prenzlauer Berg von Anfang der 70er-Jahre bis heute. Damit ist dieses Buch ein Stück Zeitgeschichte.

Sein Leben beschreibend lässt es den Leser u. a. eine Zeitreise in die Exzesse der 80er-Jahre-Partyszene in Ostberlin antreten. In all das, wovon man vielleicht mal gehört, es aber nie miterlebt hat. Wir trafen ihn in seinem Laden, wie verabredet ohne Kaffee, auf eine Zigarette.

Frank Schäfer ist Sohn des Schauspielers Gerd E. Schäfer und sollte eigentlich Schauspieler werden. Wollte aber nicht. Lebte sein Schwulsein in Ostberlin ab Mitte der 70er-Jahre offen aus. Fiel durch extravagantes Styling und Klamotten auf, wurde von vielen Seiten kritisch beäugt … besonders als Sohn eines bekannten Schauspielers …  Der Name Schäfer schwebte in den 80-Jahren scheinbar wie eine „schützende Hand“ über ihm.

#Schäfer #Ostberlin #Prenzlauerberg
Patricia Holland-Moritz hat sie geschrieben: die Autobiografie von Frank Schäfer ... Punk, Model, Stylist, Stilikone und Prenzlberger, Foto. B. Kähne

Frank: „Die Sonderstellung, die ich vielleicht durch meinen Vater hatte, war eher negativ. Das ging in der Schule los. Erst auf einer Sprachheilschule, dann Musikschule, aber ich war doch immer ein Außenseiter. Dann gab es mal einen Fasching, bei dem ich durch mein extravagantes Kostüm sehr aufgefallen bin. Da habe ich gemerkt: Ich muss optisch sein.“

PRENZLAUER BERG, 80ER-JAHRE

Dieses Optische war in jener Zeit auch eine Aussage. Eine politische Aussage. Also blieben die Konsequenzen nicht aus. Verhaftet zu werden gehörte in der Szene zum guten Renommee. Im Buch heißt es: „Die Stasi beobachtet mich schon länger. Jahre später las ich in meiner Akte, dass ich nur zum `Schlafen` in meinem `Wohngebiet` war und um meiner `Veranlagung nachzugehen`. Außerdem hatten sie festgehalten, dass ich meinen Hund ´bunt angemalt` hatte.“

PA: Würdest Du dein Leben als außergewöhnlich bezeichnen?

Frank: „Außergewöhnlich? Nein. Für mich war ja alles „normal“. Weißt Du, ich war nie neugierig auf bestimmte Sachen. Ich hatte immer das Glück, wenn man so will, dass ich Leute um mich hatte, die sagten: `Frank, mach doch mal`, und ich dachte, okay, warum nicht, dann mach ich mal …“

Trotzdem, wenn man das Buch liest, überkommt einen das Gefühl, dass hier schon ein außergewöhnliches Leben beschrieben wird. Deshalb nochmal die Nachfrage.

#Schäfer #Ostberlin #Prenzlauerberg
Dobby (erraten Sie, woher der Name stammt?) ist einer von 2 Hunden, mit dem man Frank Schäfer im Kiez trifft, Foto: M. Steinbach

PA: Gab es Zeiten, in denen dein Leben „normal“ war? Vielleicht etwas langweilig?

Frank: „Es gab immer Zeiten, wo nichts Besonderes passiert ist. Keine Fernsehauftritte, keine Modenschauen, eben nichts Spezielles. Ich fand das nie schlimm. Und bloß gut war ich nie davon abhängig. Ich habe ja von zu Hause her erlebt, was es hieß, beruflich in Abhängigkeit zu sein. Mein Vater hat als Schauspieler immer warten müssen, ob er die Rolle bekam oder nicht. Das wollte ich nicht. Also wenn keine Extras passieren gerade, dann bin ich froh, dass ich mein Friseurleben leben kann.“

PRENZLAUER BERG, 90ER-JAHRE

Nach dem Mauerfall kamen die „wilden 90er-Jahre“. Einige der Szenegrößen aus Prenzlauer Berg erreichten den Höhepunkt ihrer Möglichkeiten. So erfährt der Leser u. a. über Modenschauen im Stadtbad Oderberger Straße, welches Mitte der 90er-Jahre zu einer Top-Location für ausgefallene Ideen avancierte. 

Frank: „Die zweite Hälfte der 90er-Jahre war die hohe Zeit des Körperkults: der Piercings, der ganzjährigen künstlichen Bräune, die man durch das Solarium bekam, der Ganzkörperrasur, der Formung des Körpers zu einer Skulptur, … die Zeit von noch mehr Piercings, die man sich unter die Haut schob, bis man Hörner hatte.“

Im Nebel der Erinnerung verschwundene Zeiten tauchen wieder auf. Fast nicht mehr vorstellbar, wie es damals in Prenzlauer Berg aussah: Heruntergekommene Gründerzeitquartiere, grau in grau wurden zum größten zusammenhängenden Sanierungsgebiet Europas. Im Herbst gab es noch den beißenden Geruch, den Schornsteinfeger beim Kamin Ausbrennen erzeugen. Prenzlauer Berg: eine immer größer werdende Baustelle.

PRENZLAUER BERG, 00ER-JAHRE

Vielleicht wird man eines Tages die Nullerjahre als normalisierend bezeichnen, weil unweigerlich klar war, hier bleibt nichts wie es ist. Dies zeigt sich im Buch durch imponierende Fotos: Frank Schäfer, aufgemotzt, mit seinem Freund Julio: Sie küssen sich an einen Cadillac gelehnt vor dem Standesamt in der Fröbelstraße, auf dem sie kurz danach heiraten.

In dieser Zeit entstanden auch Dokufilme über die Modeszene der 80er-Jahre, wie sie funktionierte, was sie ausmachte („Ein Traum in Erdbeerfolie“). Ein Film, der auch ein Stück Zeitgeschichte ist.

#Schäfer #Ostberlin #Prenzlauerberg
Friseursalon mit Seltenheitswert: man bräuchte Stunden, um alles zu erkunden, Foto: M. Steinbach

SCHWULES LEBEN

Einblicke gibt er auch in die schwule Szene in Prenzlauer Berg. 

Frank: „Weißt Du, die Schwulenszene war damals anders: Die meisten gaben sich offiziell als hetero aus und haben sich heimlich getroffen. Das war alles etwas verrucht, aber sehr frei. Später, in Westberlin habe ich die Unterschiede gemerkt: sehr viel Porno, sehr viel Darkroom und trotzdem alles ein bisschen klemmig“

PA: Frank, um auf den Titel deiner Autobiografie zu kommen: Wofür bist Du auf der Welt?

Frank: „Na ja, zum Leben. Ich meine, wenn Du eine konkrete Vorstellung von Glück hast und sie nicht erreichst, wirst Du unglücklich. Wie schade, oder?“

Punk, Model, Stylist, Stilikone … ein Leben jenseits dessen, was allgemein als normal bezeichnet wird. Lesenswert als Erinnerungsergänzung und aber auch für jene, die ein Gefühl für die Geschichte in ihrem Kiez bekommen wollen. Und auch eine Klarstellung: In jedem Leben geht viel mehr, als man glaubt.                      

-MS-