SCHAUBUDE

Die Ermöglicherin geht

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Nach 17 Jahren ist Ende Juni Schluss: Silvia Brendenal, künstlerische Leiterin der Schaubude. Foto: Amelie Losier.

Sie hat die Bühne und mehr noch, eine feine kleine Kunstform darauf etabliert. 17 Jahre leitete Silvia Brendenal die Schaubude, das Figurentheater am Rand von Prenzlauer Berg. Sie baute einen Abendspielplan auf und machte das Haus zum Labor nationaler und internationaler Künstler und ihrer Handschriften. Jetzt, mit auslaufender Spielzeit im Sommer, beendet sie ihre Arbeit. Eine Begegnung.

Das kleine Büro im 1. Stock der Schaubude in der Greifswalder Straße zeugt auf seine eigene Weise vom jahrelangen Wirken der Theaterfrau. Im Regal und auf Tischen stehen stumme Zeugen ihrer Arbeit. Feine, filigrane Figuren aus durchsichtiger Folie stehen dort, Figurenköpfe aus Kunststoff und Theater-Szenenbilder in Miniatur-Format. Ein freundliches Skelett hat es sich in einer alten Handtasche bequem gemacht. Und eine federleichte durchsichtige Tänzerin schwebt vor einer Bühnen-Skizze. Es sind Geschenke der Puppenspieler, die Silvia Brendenal ans Haus holte und die sich auf ihre Weise bedankten.
Silvia Brendenal spricht denn auch lieber über die Künstler, über deren Arbeiten, als über sich. Sie spricht über das Theater der Figuren und Objekte so, dass zu spüren ist: Sie, die dieses Theater an diesem Ort doch ermöglicht, unterliegt immer noch und immer wieder seiner Faszination. Gern erzählt Frau Brendenal zum Beispiel diese eine eindrückliche Geschichte von Fremdheit und Ausgrenzung. Die Puppenspielerin agiert nur mit ein paar Bonbons und einer Kopfschmerz-Tablette. Die Bonbons mögen die Tablette nicht, weil sie anders ist und anders aussieht, auch dann noch, als sie sich einen Mantel aus Bonbon-Papier anzieht. Die Tablette, isoliert von den anderen, klettert schließlich auf den Rand eines vollen Wasserglases, verharrt dort und schaut hinunter aufs Wasser. Dieser Moment, so sagt Frau Brendenal, und sie hat ihn oft genug erlebt, mitten im Publikum, in diesem Moment ist es totenstill im Saal: Wird die kleine Tablette springen?

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Der kleine Tod als freundlicher Begleiter: Ein Geschenk von Puppenspielern.

Es sind diese Momente, in denen Objekte, Dinge und Figuren einen neuen, anderen Blick auf die Welt ermöglichen. Das genaue Hinschauen fordern, vermeintlich sichere Realitäten verrücken. Es ist ein unerschöpflicher Kosmos, in dem kleine Dinge große Geschichten erzählen und tragen. In den 17 Jahren, in denen Silvia Brendenal das Haus leitet, haben sich auch immer mehr Erwachsene davon begeistern lassen.  Von 12 Prozent zu Beginn ist die Auslastung im Abendspielplan auf 80 bis 85 Prozent geklettert. Ein junges interessiertes Publikum, aus Prenzlauer Berg, aus der Szene, aus der ganzen Welt.
Die Kinder kommen ohnehin, kommen in die Vor- und Nachmittagsvorstellungen, die seit einiger Zeit schon für die Allerkleinsten angeboten werden. Sie kommen, auch wenn sich die Wahrnehmung der Kinder-Generationen verändert hat: Die Konzentration auf eine narrative Geschichte, von Anfang bis Ende, fällt den Digital Natives der zweiten Generation schwer. Der Respekt vor der Leistung derer, die da auf der Bühne stehen, will erst erlernt werden.
Es ist ja immer noch etwas Besonderes, Theater, und in Brendenals Schaubude sollte es das auch bleiben – für das Publikum und für die Figurenspieler, die hier agieren und mit ihrer ganz eigenen Phantasie und ihrer Sicht auf die Welt berühren. Möglicherweise liegt die zunehmende Faszination an der dinglichen Welt daran, dass auf der Erde die Ressourcen knapp werden und man sie anders anschaut und schätzt: „Wenn ich auf der Bühne Holz sehe, dann sehe ich auch seine Biographie“, sagt die Theater-Leiterin. Möglicherweise ist die verstärkte Sehnsucht nach Greifbarem, Sinnlichem und seinem Eigenleben auch eine Folge der virtuellen Welt, in der wir immer stärker agieren und vernetzt sind.

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So zart, so lebendig: Figur der Schaubude. Fotos (2): al

17 Jahre, in der Theaterwelt eine unglaublich lange Zeit. Frau Brendenal hat die Schaubude zu einem Laboratorium gemacht, in der das Figuren- und Objekttheater, jene zarte Kunstform, gedeihen kann. In der junge Künstler aus aller Welt sich ausprobieren, etablierte Künstler eine Heimstätte haben. Erfolge ebenso inbegriffen wie das Scheitern. Ohne dieses findet schließlich keine Veränderung statt. Doch was heißt schon Scheitern, wenn eine Gießkanne eifersüchtig sein kann wie Othello? Sind Bewertungen überhaupt angemessen im Freiraum der Phantasie?
Die Schaubude, dieses berlinweit einzigartige Theater, weiter positioniert zu haben, war und ist kein leichtes Unterfangen: Das Haus hat keinen Etat für Eigenproduktionen, ist ein reiner Gastspiel-Betrieb. Mit viel Mühe, Erfindungsreichtum und Engagement konnten technischer Betrieb und Infrastruktur über die Jahre aufrecht erhalten werden. Die Künstler erhalten ihren Anteil an den Einnahmen ihrer Vorstellungen, mehr ist nicht drin.
Wenn Silvia Brendenal geht, überlässt sie ihrem Nachfolger ein funktionierendes Theater und ein engagiertes Team. Sie überlässt ihm den Wunsch, es möge ihm gelingen, einen eigenen Etat für eigene Produktionen zu verwalten. Sie übergibt ein Haus, das sich auch durch seine ausgesuchten Festivals einen internationalen Namen gemacht hat. „Versuchungen“ etwa, eine zweijährige Reihe, die die junge Figurentheater-Szene aus der ganzen Welt an die Greifswalder Straße holt. Mit diesem Festival in sechster Auflage wird sie auch ihre Arbeit beenden: Noch einmal „Versuchungen“ im Juni, noch einmal Entdeckungen aus der einen zauberhaften anderen Welt. Dann ist, mit der Vorstellung „Cendres“ am 26. Juni, Schluss. 400 Ensembles und Puppentheater-Solisten werden dann in ihrer Zeit aufgetreten sein, 400.000 Zuschauer werden die Vorstellungen gesehen haben.
„Versuchung Nr. 6“ zeigt, noch einmal, am Ende, den Wesenszug, der die Theaterfrau ausmacht: Sie ist eine Ermöglicherin, wirkt mit großer Kenntnis im Hintergrund, mit großer Fürsorge für diese feine, filigrane Kunst und ihre Künstler, die die großen Themen der Welt so berührend schlicht und eindrücklich erzählen können.
Katharina Fial, Mai 2015
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