STADT-ANSICHTEN

Die Zartheit des Verlorenen

Knut Elstermann hat ein neues Buch verfasst, ein Bilder-Buch. „Der Canaletto vom Prenzlauer Berg“ nimmt uns mit den Malereien Konrad Knebels hinein in eine menschenleere Stadt vergangener Zeiten, zeigt den Stolz und die Schönheit der Häuser, die einst für uns gebaut wurden. Über das Verlorene und das Bleibende.

Knut Elstermann kommt zur Tür herein, grüßt. Und das erste, das auffällt, ist dieser leicht schnoddrige, weiche Ost-Berliner Dialekt des Intellektuellen. Anders als seine Radio-Stimme, der ein Akzent nicht anzuhören ist. Beiden gleich, der echten wie der Radio-Stimme, ist die freundliche, nahezu kindlich-neugierige Zugewandheit den GesprächspartnerInnen gegenüber.

Es ist ein Nachmittag Mitte März, und es ist noch selbstverständlich, sich in einem Cafe, dem „Kaffe“ in der Immanuelkirchstraße, gegenüberzusitzen und zu plaudern. Kein Händedruck zur Begrüßung, das Virus ist schon in der Welt.

In der Welt ist auch Elstermanns neues Buch „Der Canaletto vom Prenzlauer Berg“. Es soll zwei Tage später Premiere haben. Die Veranstaltung findet nicht mehr statt. Der Lockdown beginnt bei Museen, Theatern, Kulturveranstaltungen. Die Leipziger Buchmesse ist schon abgesagt, wenig später folgt das Filmfestival von Cannes, schließen die Kinos. Die Welt von Knut Elstermann, der ja vor allem Filmkritiker ist, der „Kino-King“ von Radio Eins, verschwindet. Für ihn, für uns alle. Die Kunst geht der Öffentlichkeit verloren, bleibt es seit jenen März-Tagen. Und wir wissen noch längst nicht, was dieser Verlust bedeutet.

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Besuch beim „Canaletto vom Prenzlauer Berg“: Knut Elstermann (rechts) mit Konrad Knebel. Foto: KE

DIE IKONOGRAFISCHE TAUBE

Die Bücher, die Bilder gibt es noch. Vor dem „Kaffe“ sitzt an diesem März-Nachmittag Helga Paris in der frühen Frühlingswärme. Gerade hat die Akademie der Künste die Fotografin mit einer Retrospektive geehrt. Eines ihrer inzwischen ikonografischen Schwarz-Weiß-Bilder ist die „Winsstraße mit Taube“. Eine nahezu menschenleere Winsstraße in den 60er Jahren, das einzige lebendige Wesen scheint der  davonfliegende Vogel. Knut Elstermann bespricht mit der Fotografin, dass er einen Abzug kaufen kann. Das Bild, jene fast mystische Straßenansicht, ist sein Geburtstagswunsch.

Es ist ja „seine Winsstraße“, in der er in den 60er Jahren aufgewachsen ist. Ihr und mehr noch, ihren BewohnerInnen, hat er mit seinem Büchlein „Meine Winsstraße“ vor sieben Jahren ein Denkmal gesetzt. Spazierte durch die Straße und durch seine kindlichen Erinnerungen an Eckkneipen, alte Frauen in Erdgeschosswohnungen, TabakverkäuferInnen. Beschrieb die Atmosphäre aus bröckelndem Stuck, Kohlegeruch und proletarisch-intellektuellem Miteinander. Schon damals, bei den Lesungen im Kiez, kündigte er an, wieder in die Winsstraße zurückkehren zu wollen. Jetzt, seit knapp zwei Jahren, lebt er wieder hier. „Hier habe ich den Löffel in die Hand genommen, hier möchte ich ihn auch abgeben“, sagt er wie im Selbst-Zitat beim März-Gespräch im „Kaffe“. Heimatgefühl gibt es auch in der Großstadt, sieh an.

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Vergänglichkeit: Konrad Knebels „Straße mit Mauer“ von 1977.

DIE HÄUSER ALS INDIVIDUEN

Auch „Der Canaletto vom Prenzlauer Berg“ ist Elstermanns Heimat. Der Canaletto, das ist der Maler Konrad Knebel aus dem benachbarten Bötzow-Kiez. Elstermanns Geschenk mit diesem Buch ist es, den Maler, seine Bilder, mit seinem neugierig-zugewandten Blick zu beschreiben. Der Blick des Kindes, das diese Bilder Jahrzehnte später wieder sieht. 

Beim gemeinsamen Blättern im „Canaletto“, im März im „Kaffe“, weiß Knut Elstermann bei jedem Gemälde zu sagen, wann er es das erste Mal durchlaufen hat. Die Häuser, Straßenzüge der 60er, 70er, 80er Jahre. Die stolzen Bauten der Gründerzeit aus Prenzlauer Berg und Berlin. Konrad Knebel malt sie in ihrem Verfall, stolz und schön dennoch. Bedrückend auch, weil sie die Gründe ihres Verfalls mit erzählen. „Überlebende“, sagt Elstermann. „Sie überstanden den Lauf der Zeit, den Krieg, die Vernachlässigung und Verwahrlosung, die Abrisswellen, die Entkernungen, die radikalen Sanierungen.“ Und in diesem Moment wird das Buch über die persönliche Geschichte Elstermanns hinaus zur Kulturgeschichte. Knebel malte diese Häuser und Straßenzüge, entgegen der geltenden DDR-Doktrin von realistischer Kunst. Er malte Häuser als Individuen. Häuser, die aus dem Stadtbild eigentlich verschwinden sollten. Elstermann: „Der Gründerzeitarchitektur schlug allgemeine Verachtung entgegen. Sie galt ausschließlich als Relikt einer überwundenen Epoche der Ausbeutung und Unterdrückung.“

Viele von Knebels Gebäuden sind inzwischen verloren, abgerissen noch in der DDR. Andere, im neuen Jahrtausend saniert, begründen mit ihrem neuen, alten Stuck und den strahlenen Fassaden-Farben den neuen Ruf von Prenzlauer Berg. Auf Knebels Bildern bleiben sie in ihrer Verletzlichkeit erhalten.

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Häuser als Individuen: Straßburger Straße. Bilder (2): Konrad Knebel/VG Bild-Kunst

DAS GLEICHE ANDERE

Erst „Meine Winsstraße“, jetzt Konrad Knebel, der „Canaletto“. Knut Elstermann als Chronist von Prenzlauer Berg. Ja, sagt er nach kurzem Überlegen, er wolle Menschen und Momente wieder in Erinnerung bringen. Auf seine Weise, in der sich Kindheit und Gegenwart, Jahrzehnte später, miteinander verweben. „Es ist alles anders, und wieder doch nicht“. 

Das „Kaffe“ in der Immanuelkirchstraße, der Ort der März-Begegnung mit Knut Elstermann, ist derzeit wie all die anderen ein reines Take-Away-Cafe. Draußen bittet das Logo „Lieblingsort“ um Unterstützung, drinnen schaut der große Schauspieler Rolf Hoppe aus seinem Porträt auf menschenleere Sessel und Sofas.

Katharina Fial,  Mai 2020