Entweder so wie wir wollen oder gar nicht

Träume der Vivico Real Estate
Träume der Vivico Real Estate

Eins kann man schon sagen: Der Kampf um den Mauer­park ist schon interessant - und gehaltvoll. Den letzten Stand der Dinge könnte man in etwa so skizzieren: Mehrere Bür­gerinitiativen und der Eigentümer (Vivico Real Estate, eine ehemalige Bahn-Tochter, später verkauft an eine österreichische Immobilienfirma) haben unterschiedliche Vorschläge zur künftigen Nutzung des Geländes unterbreitet. Dementsprechend unterschiedlich sind die Interessen der beiden entscheidenden Bezirke (der Mauerpark liegt zum Teil in Prenzlauer Berg und zum Teil in Mitte). Ein Interessensausgleich zwischen den Akteuren wurde über eine so genannte „Bürgerwerkstatt“ als Bürger­be­teiligungsverfahren versucht. Diese Bürgerwerkstatt ist nun wohl gescheitert. Zum einen verließ schon gleich nach dem Start u.a. die „BI Mauerpark fertigstellen“ die Bürgerwerkstatt mit der Be­grün­dung, diese existiere lediglich zum Schein, weil über grundsätzlich Fragen weder diskutiert, noch entschieden werden könne. Dies war nicht anders zu erwarten, ist doch jene BI gegen jegliche Bebauung und für die komplette Fertig­stellung des gesamten Mauerparks als Erholungsort. Sie beruft sich auf politische Zusagen aus den 90er-Jahren. In der Tat war dies kein Thema der Bürger­werkstatt. Hier ging es lediglich um die Anordnung von Blumen auf den „Resten“ des Mauerparks. Die Ent­scheidung für die Bebauung des nördlichen Teils wurde schon vorab getroffen. Völlig unerwartet verabschiedete sich die Vivico Real Estate dann aber ebenfalls aus dem Gremium. Und der Chef des Unternehmens brachte auf den Punkt, was vorher fühlbar in der Luft lag: „Finden die Pläne noch immer keine Mehrheit, nutzen wir das Gelände weiterhin als Gewerbegebiet“. Oder anders ausgedrückt: Entweder so wie wir wollen oder gar nicht. Am 8. Juni soll nun der Hauptausschuss des Abgeordnetenhaus über die weitere Finanzierung der Bürgerwerkstatt entscheiden. Noch einmal 200.000 Euro sollen in dieses gescheiterte Verfahren fließen. Ein Hauptstadtblogger meinte dazu lakonisch: „Eine Diskussionsrunde mit Beamer, Zetteln, Stiften, 3 Kästen Mineralwasser plus Raummiete organisiere ich für 20.000 € ...” Vermutlich würde es auch locker für unter 5.000 machbar sein.Gleichzeitig gibt es in Prenzlauer Berg Zustände, die man mindestens als kritisch bezeichnen muss. So ist die erst vor 10 Jahren pompös eingeweihte Sport­halle in der Sredzkistraße seit März diesen Jahres nicht mehr nutzbar. Wegen Statikmängeln wird bis auf weiteres die obere Hälfte der Halle mit einem Gerüst gestützt.  Schüler und Vereine müssen ausweichen, einige fahren bis nach Charlottenburg in Aus­weich­hallen. Als ob dies nicht ausreicht, musste im Mai diesen Jahres auch die Sporthalle in der Bötzowstraße gesperrt werden. Der Boden hatte sich abgesenkt. Und auch hier dasselbe Spiel: Schüler müssen ausweichen oder der Sportunterricht fällt aus, Vereine müssen bis an den Berliner Rand fahren, um Handball, Volleyball oder Basketball zu trainieren. Reichlich Geld fließt allerdings in die Kastanienallee. Auch hier hatte es im Vorfeld Schwierigkeiten mit der „Bürger­beteiligung“ gegeben. Es gab mehrere öffentliche Veranstaltungen bei denen durchaus zu bemerken war, dass die Akteure mit Mühe und Konstruktivität agierten. Als aber die schon entschiedenen Fakten zur Diskussion standen, z.B. die Frage, warum jetzt so eilig und überhaupt umgebaut werden soll, wurde es schnell ruhiger. Selbst die sehr gut durchdachten alternativen Konzepte, die von Bürgerseite eingebracht wurden, konnten nicht zum Zuge kommen. Das alles verstärkt auch hier den Eindruck einer Scheinbeteiligung. Zwar gab es wohl vor Jahren ein Beteiligungsverfahren zum Umbau der Kastanienallee, aber da war der zeitliche Rahmen noch so ungewiss, dass es kaum in die Öffentlichkeit durchdrang. Wie bei Stuttgart 21 stoßen solche Vorhaben offensichtlich erst kurz vor dem Beginn der Umsetzung auf das Interesse der Beteiligten. Was überhaupt nicht zur Sprache kam war die Frage, warum gerade jetzt gebaut werden muss. Dabei liegt es auf der Hand: Die politischen Gremien müssen überall, wo es möglich ist, Gelder beantragen: im Bezirkshaushalt, im Landes­haushalt, im Bundeshaushalt ... dazu kommen diverse europäische Förder­töpfe, Aufbau Ost, Denkmalschutz, Stif­tung Klassenlotterie usw. Wird nun unter den vielen Anträgen Geld freigegeben, muss es schnell „verbraucht“ werden, sonst verfällt der Anspruch. Also muss schnell eine „Bürgerbeteiligung“ initiiert werden, aber die Fakten sind schon lange festgelegt. An all den Beispielen sieht man deutlich, wie der Zustand der „Bürger­beteiligung“ heute ist: An Entschei­dun­gen, die feststehen, werden als Maku­latur Bürger beteiligt. Und: keine wichtigen Themen bitte! Keine Betei­ligung bei Steuerfragen, keine Betei­ligung bei Personalfragen, keine Betei­ligung bei strukturellen Fragen. Dies ist wohl auch einer der Gründe, warum sich zu den kommenden Wahlen zu den Bezirks­vertretungen und dem Abgeord­netenhaus fast 40 Parteien angemeldet haben (zum Vergleich 2001: 12 Partei­en).Aber die außerparlamentarischen Akti­vitäten gehen weiter. So konnte die Initi­ative „Stoppt K 21“ schon einige tausend Unterstützungsunterschriften für eine Bürgerbefragung einsammeln. Die Initiative fordert den Stopp des Umbaus der Kastanienallee, um das Flair der Straße nicht zu zerstören. Für eine Bürgerbefragung werden etwas über 8000 Unterschriften benötigt.Im Mauerpark ist man neue Wege gegangen. Nach der Enttäuschung über die Ausrichtung der „Bürgerwerkstatt“ haben sich die Aktiven zusammengetan und eine Stiftung gegründet. Ziel ist das Einsammeln von Geldern, um das verbleibende Stück Mauerpark der Vivico abzukaufen. Benötigt werden schätzungsweise 10 Millionen Euro.Was die Bürgerbeteiligung betrifft, müssten völlig neue Wege und vielleicht sogar Gremien her. Wenn sie denn von den Parteien wirklich gewollt ist, müssten Konzepte erarbeitet werden, wie man eine tatsächliche Beteiligung erreichen kann. Einer der Schlüsselpunkte ist die Frage der Informationen. Im Mauerpark und anderswo wurde ja hinter verschlossenen Türen gedealt. Und auch die zeitliche Frage müsste geklärt werden: Gibt es Bürgerbeteiligung schon vor der Beantragung von Infrastrukturgeldern oder erst, wenn diese bewilligt sind? Könnte man eine noch bevorstehende Bürgerbeteiligung nicht in die Beantra­gung einfließen lassen? Wie kann man die Anwohner rechtzeitig erreichen, zur Teilnahme anregen und Zeit einplanen, sich mit den Themen auseinanderzusetzen? Und letztlich auch die Frage, könnte dies alles mit den derzeitigen politischen Strukturen umgesetzt werden? Dafür bedarf es wohl eines Geistes­wandels und einer Portion Mut. Denn Bürgerinteressen konsequent über Ämter- und Parteiinteressen zu stellen, das wäre mal etwas ganz neues.

Michael Steinbach (Jun 2011)
Mehr Infos über Initiativen:

www.mauerpark-fertigstellen.de

www.mauerpark.info

www.welt-buerger-park.de