PLÄTZE DER ERINNERUNG (VIII)

Ehemaliges Stinkgebiet ist begehrter Wohnpark mit Kulturzentrum

„Orte der Erinnerung“ hieß in dieser Zeitung, Mitte der 90er-Jahre, eine Artikelserie über historische Friedhöfe in Prenzlauer Berg. Der Autor Thomas Kuhr knüpft daran an: „Plätze der Erinnerung“ beschreibt Orte, die sich im Laufe der Zeit von ihrer ursprünglichen Planung entfernt haben und neu gedacht wurden. 

Eigentlich sollte, im Planquadrat Abt. XII der Blockstruktur vom Hobrecht-Bebauungs- und Stadtplätzeplan von 1862, auf der Feldflur/des ehemaligen Ackers von der Witwe Bötzow (geb. Damm), zwischen der Danziger Straße und Trasse der Ringbahn, und von der Prenzlauer Allee bis zur Greifswalder Straße, kein großer Stadtplatz, Park oder eine Industrieanlage entstehen. Sondern dichte Wohnhäuser-/Mietskasernenbebauung. Doch kurze Zeit später, ab 1872/74, mit der Zunahme des Gasbedarfs in Wohn- und Gewerbeeinheiten, wurde auf dem 22-26 Hektar großen Gelände die IV. Berliner Städtische Gasanstalt errichtet. 1873 zuerst mit drei Gasometern. An der Prenzlauer Allee und Fröbelstraße 1886 das „Städtische Hospital“ und „Städtische Obdach“ als Obdachlosenasyl („Siechenhaus“, seit 1934 mit Teilen vom Bezirksamt Prenzlauer Berg). 1909 gab es sechs Gasometer-Rundbauten mit vier bis fünf Geschossen (ca. 30 Meter hoch). In gelber Klinkerverblendung nebst roten Klinkern für Gesimse und Bänder. Im Gaswerk wurden auch Koks, Benzol, chemische Gase und Schlackensteine hergestellt. Die Nebenprodukte, wie Ammoniak, Cyanide, Naphthalin, Phenole, Teer und Schwefelwasserstoffe, stellten stets ein erhebliches Umweltproblem für die Anwohner dar. Abgelagerte Stoffe im Grund wurden bei Abrissen des Gaswerkes nicht fachgerecht entsorgt. Erst 2004 erfolgten Bodensanierungen und eine biologische Reinigungsanlage wurde in Betrieb gesetzt. 1936 wurde der erste Gasometer an der Danziger Straße abgerissen. Bereits damals gab es Pläne für eine Umgestaltung des Areals zu einem Volkspark und für eine Nutzung der alten Gasometer als technische Denkmäler, Kultureinrichtungen oder Loftwohnbauten. Als 1981 die gesamte Gasanstalt stillgelegt wurde, waren von Anwohnern in den Gasometern u.a. ein riesiges Gewächshaus, ein Freiluftkino und große Ausstellungsflächen angedacht. Im July 1984 wurde, nach erheblichen Protesten von Kulturbeschäftigten, der letzte Gasometer gesprengt. Lediglich die Gebäude der Verwaltung blieben erhalten. Für die 750-Jahr-Feier Berlins wurde, von 1983 bis 1986, ein einzigartiger Wohnpark durch die Architekten  Erhardt Gißke, Dr. Büchner, Funek, Oehring und Steffke entworfen. Mit 1.344 Wohnungen für ca. 4.000 BewohnerInnen, Pkw-Parkplätzen, Park- (für jede Wohnung ein Baum) und Rasenflächen, künstlichen Teich, Spielplätze, Kultur- und Theaterhaus, Veranstaltungszentrum (WABE), Planetarium, Schwimmhalle, Kindergärten, Schule, soziale Einrichtungen, Gaststätten, Einkaufsmöglichkeiten und eine Ernst-Thälmann-Denkmalanlage mit umliegenden 3.000 qm großen Platz. 

Zeitung Prenzlauer Berg Magazin
Thälmannpark Denkmal, 2008, Thomas Kuhr

Das 14 Meter hohe, 15 Meter breite und 50 Tonnen schwere Bronze-Denkmal, aus 200 Einzelteilen, wurde 1981-86 vom russischen Bildhauer Lew Jefimowitsch Kerbel (geb. 07.11.1917 in Surny- Ukraine, gest. 18.08.2003 in Moskau) geschaffen. Die gesamte Anlage wurde zum 100. Geburtstag vom Hamburger Hafen- und Transportarbeiter, Politiker und Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime, Ernst Johann Fritz Thälmann (geb. 16.04.1886 in Hamburg-Altona, gest./ermordet 18.08.1944 im KZ-Buchenwald) am 16.04.1986 eingeweiht. 1993 sollte das Denkmal, mit Beschluss der BVV Prenzlauer Berg, abgerissen werden. Aufgrund mehrere Proteste und zu hoher Kosten fand dies, sowie diverse Umgestaltungen, nicht statt. 1997 wurde, mit einer Umfrage des  ehemaligen Bezirksamtes Prenzlauer Berg, der Name des Wohngebietes mit Ernst-Thälmann-Park festgelegt. Obwohl das gesamte Ensemble in der umliegenden Bebauungsstruktur stark herausragt und gewöhnungsbedürftig erscheint, sind dort Wohnungen, speziell in den Wohntürmen, sehr begehrt. Eine Nachverdichtung, mit Wohnhäuserbebauung auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofes am S-Bahn-Ring, betrachte ich als wenig realistisch. Sinnvoller wäre dort, als Ergänzung des Vielfältigkeitkonzeptes vom Wohnpark, ein Parkhaus (Park-and-ride). Um den  Pkw-Verkehr an den Häusern, bei Veranstaltungen in der WABE, im Bezirk und in der Mitte von Berlin zu verringern. Zusätzlich z. B. mit CarSharing- und Fahrrad-Stationen, Bowling-Bahnen, Indoor-Tennisanlagen, Jugendeinrichtungen, Musiker-Studios und -Übungsräumen, Musikschulen und Clubs, oder anderen „lärmenden Gewerben“. Diese würden vom S-Bahn-Betrieb und ständigen Verkehr auf der Greifswalder Straße überrauscht. Zudem zentral und optimal erreichbar. In anderen Wohnquartieren im Bezirk sicherlich störend oder deplaziert. 

Thomas Kuhr (Text und Foto), März 2017