VOLKSENTSCHEID IN BERLIN: Freies Feld für aktive Bürger

Magazin Prenzlauer Berg Zeitung
Randbebauung oder nicht? Der Masterplan des Berliner Senats sieht eine Bebauung des Tempelhofer Feldes an drei Seiten vor. Die Bürgerinitiative will das Feld in Gänze als Freifläche erhalten. Grafik: Tempelhof Projekte GmbH

100 Prozent Tempelhofer Feld oder nur knapp 60 Prozent. Am 25. Mai stimmen die Berliner über ihre größte Freifläche ab. Der Volksentscheid ist eine einzigartige Chance für die Stadt, die sich so gern einzigartige Ideen auf die Fahnen schreibt. Pro und Contra eines Entwicklungspotenzials. 

Zwei Alternativen stehen den Berlinerinnen und Berlinern zum Volksentscheid zur Wahl: Das Tempelhofer Feld, Berlins jüngste Natur- und Freizeitfläche, bleibt frei und wird als grüner Erholungsort ausgestaltet. Oder: An drei Rändern entstehen Wohn- und Gewerberäume, der vierte Rand wird für spätere Bebauung vorbereitet. Eine Freifläche von knapp 60 Prozent der jetzigen Fläche bleibt im Zentrum des Feldes als öffentlicher Erholungsort.
Zwei Fronten stehen sich bei dieser Abstimmung des Volkes gegenüber: Die Bürgerinitiative "100 Prozent Tempelhofer Feld" plädiert für 100 Prozent Tempelhofer Feld und erzwang den nun anstehenden Volksentscheid mittels Volksbegehren. Die Drei-Rand-Bebauung will der Berliner Senat mit Verweis auf dringend benötigten neuen und bezahlbaren Wohnraum durchsetzen.
Lange nicht mehr war ein Gegenstand in Berlin so umstritten. Je näher der Wahltermin rückt, der auf den gleichen Tag wie die Europa-Wahl fällt, umso perfider die Methoden der Gegner, umso größer die Reihen der Unterstützer auf beiden Seiten. Das mag zum einen an der Historie des Feldes liegen, das seit knapp vier Jahren als Erholungsort genutzt wird. Der ehemalige Flughafen war einst Station der Berliner Luftbrücke, die die eingeschlossenen West-Berliner im Kalten Krieg mit Nahrungsmitteln versorgte. Und noch sehr viel früher starteten hier die ersten menschlichen Flugzeug-Versuche.
Doch braucht es gar nicht die Vergangenheit zu bemühen, um die Bedeutung des Volksentscheides zu ermessen. In keiner anderen europäischen Stadt liegt eine vergleichbar große innerstädtische Freifläche und damit die Chance für eine einzigartige Entwicklung vor. Auch global versierte Stadtentwickler sind von 386 Hektar Tempelhofer Grün und Frischluft begeistert. Etwa Richard Sennett, der weltgereiste britische Stadtforscher und Soziologe. Bei seinem jüngsten Berlin-Besuch, zu einer Tagung zur Vision von Stadt, nannte er jene Städte der Welt als am lebenswertesten, in denen "Stadtentwicklung von unten", sprich, aus Bürgersicht stattfinde. So habe auch Berlin mit dem Tempelhofer Feld die Chance, hauptstädtische Stadt-Vision an Einwohner-Bedürfnissen orientiert zu realisieren. Wenn sich seine Menschen denn dafür interessierten und engagierten. Hier sind die beiden Visionen, die zur Abstimmung stehen, in ihren wesentlichen Zügen:


Zukunftsvision Eins: Das welt-erste Klimaschutzfeld
Mit eindrucksvollen Begriffen argumentiert die Initiative "100 Prozent Tempelhofer Feld" für ihre Pläne. Als "grünes Juwel Berlins" will sie das öffentliche und vielfältig genutzte Areal für JederMann erhalten. In exakt der jetzigen Größe, und die umfasse sogar mehr als der Central Park in New York. Seit seiner Eröffnung im Jahr 2010 stünde das Feld für "selbstorganisierte Bürgerfreizeit und Bürgerengagement". Und das soll auch in Gänze so bleiben: Von Gemeinschaftsgärten bis hin zu Sportanlagen, von Cafes bis zu Kitas in den vorhandenen ehemaligen Flughafen-Gebäuden. Wald und Wiese könnten weiter wachsen und damit das Tempelhofer Feld, das jährlich zwei Millionen Menschen nutzen, zum "ersten Klimaschutzfeld der Welt" machen. Laut Wissenschaftlern ist die Freifläche  unabdingbar für die Kaltluftzufuhr Berlins. Die vom Senat geplante Randbebauung des Feldes würde diese Kaltluftzufuhr weitestgehend ausbremsen.

Zukunftsvision Zwei: Das einzigartige Quartier
Berlin braucht neue Wohnungen, bezahlbar und nicht nur am Stadtrand, sondern mittendrin. Das ist das Hauptargument des Berliner Senats, der einen Masterplan zur Entwicklung des Tempelhofer Feldes erstellen ließ. 250.000 Neuberliner werden bis zum Jahr 2030 erwartet. 4700 zusätzliche Wohnungen sieht der Tempelhofer Masterplan vor. 1700 von ihnen könnten bis zum Jahr 2016 am Tempelhofer Damm entstehen. Mindestens die Hälfte davon zu Quadratmeterpreisen von 6 bis 8 Euro, also auch für Einkommensschwächere erschwinglich. Zeitlich gestaffelt will der Senat dann auch den Süd- und Ostrand des ehemaligen Flughafen-Geländes bebauen. Neben Wohnungen sind Gewerberäume, Schule und Kitas sowie Sportanlagen vorgesehen. Von der Freifläche bleiben rund 230 Hektar im Zentrum des Feldes übrig – eine Fläche so groß wie der Tiergarten.
"Die Lage am Rand der zentralen Parklandschaft in Verbindung mit dem denkmalgeschützten Flughafengebäude bietet die Chance, Wohnraum und Arbeitsplätzen sowie Kultur und Freizeit in der südlichen Berliner Innenstadt eine besondere Adresse und Identität zu leihen", umschreibt es die für die Entwicklung des Masterplans zuständige Tempelhof Projekte GmbH, eine Tochter des Landes Berlin.
Zur Abstimmung steht am 25. Mai indes nicht der Masterplan, zur Abstimmung steht ein Gesetzesentwurf der großen Berliner Koalition. "100 Prozent Berlin. Tempelhofer Freifläche dauerhaft als Grünfläche sichern – behutsame Randentwicklung für Wohnen Wirtschaft und Wohlfühlen ermöglichen" haben CDU und SPD diesen Entwurf überschrieben. Sollte er die notwendige Stimmenanzahl bekommen, dann wird der Masterplan umgesetzt.
630.000 Ja-Stimmen braucht einer der Entwürfe zum Erfolg. Eine weitere Lösung, der von den Berliner Grünen ins Spiel gebrachte "dritte Weg", steht nicht zur Abstimmung. Dieser Kompromiss sah eine behutsame, soziale Bebauung bei größerem Freiflächen-Erhalt als im Masterplan vor. Es bleibt also bei der Entscheidung: "100 Prozent Tempelhofer Feld" oder "100 Prozent Berlin".
-al- (Mai 2014)
Die Argumente und Erklärungen der Initiative "100 Prozent Tempelhofer Feld"

gibt es hier: www.thf100.de
Die Senats-Argumente lassen sich hier nachlesen: www.tempelhoferfreiheit.de