Als Goethe über die Schönhauser fuhr

Zeitschrift Prenzlauer Berg Magazin Teutoburger Platz
Im Sommer beliebt: Biergarten Prater

Im Jahre 1860 ist die Lottumstraße ein noch vollkommen ungepflasterter Lehm- und Schlammpfad und nur mit einigen eingeschossigen Häusern locker bebaut. Nur fünfzehn Jahre später, im Jahr 1875, gehört sie zu dem am dichtesten besiedelten Gebiet in Berlin.
In der Kastanienallee 71 steht ein 1874 von J. Jonerent als Steindruckerwerkstatt mit Wohn­ge­bäude errichteter Klinkerverblendbau. Alois Sene­felder, Namensgeber des Platzes, ist der Erfinder des Steindrucks, der Lithografie. Nicht vergessen darf ich das Stadtbad Oderberger Straße, das allmählich aus seinem Dornröschenschlaf erwacht. Errichtet 1899 – 1902 nach Plänen von Ludwig Hoffmann. Der an der Straßenfront gelegene Gebäudeteil zeigt Anklänge an die Renaissance. In den oberen Geschossen befanden sich ursprünglich Dienstwohnungen u. a. für die Rek­toren der seit 1900 auf dem inneren Gelände des Bau­blocks gelegenen Gemeindedoppelschule. Einbezogen in die Gesamtanlage war auch ein eigener Wasser­turm. Dass in der Schwedter Straße 263 errichtete Gebäude war ab 1863 eine Steingutgießerei, ab 1882 die Metallgießerei Czarnikow und später ein Wohn- und Verwaltungsgebäude.
Und hier noch ein paar Zahlen.
Am 30. November 1641 legt die erste Berliner Bau­ordnung fest, dass der Bau von Schweineställen und Vorbauten in den Gassen verboten ist. Diese Bau­ord­nung gilt bis 1853.
1691 erwirbt Kurfürst Friedrich III den Herrschaftssitz Niederschönhausen und das ganze Dorf Pankow. Bereits vier Jahre Später, 1695, werden entlang der „Schönhausenschen Landstraße“ die ersten Bäume gepflanzt. Am 31. März 1708 bestimmt ein könig­licher Erlass die Errich­tung eines „Kö­nig­­­­lichen Vorwerkes vor der Schön­hausen­schen Land­wehr“. Das Vorwerk mit einem einfachen Guts­haus liegt auf dem Ge­biet zwischen der heutigen Choriner und Lottum­straße. Dies ist die erste nachweisliche Be­sied­lung des Prenz­­lauer Bergs.
Der kalte Winter 1740/41 vernichtet zahl­reiche Wein­­berge in und um Ber­lin. Damit verliert der Weinanbau in der Gegend zunehmend an Bedeu­tung.
Am 3. Oktober 1760 beschießen russische Trup­pen von den Wein­ber­gen aus mit Kanonen Berlin und zwingen die Stadt, sich zu ergeben. Der Weinbergsweg ist übrigens die Verlängerung der Kastanienallee zum Rosenthaler Platz.
Johann Wolfgang von Goethe verlässt Berlin am 20. Mai 1778 nach seinem kurzen, nur fünftägigen Aufent­halt, über die „Chaussee nach Pankow“, also über die heutige Schönhauser Allee, in Richtung Tegel.
Am 20. Februar 1813 rücken russische Trup­pen auch von Pan­kow aus nach Berlin vor, dabei u. a. 150 Kosaken über das Schönhauser Tor. Die Russen und Kosaken werden durch die 7000 Mann starke französische Gar­ni­son in Berlin zunächst zurückgeschlagen. Jedoch räumen die Franzosen am 4. März 1813 die Stadt, wobei etwa 1600 von ihnen in russischer Kriegsge­fan­gen­schaft landen.

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Eingang zur ehemaligen Brauerei Pfeffer

Im Jahr 1823 erwirbt Wilhelm Griebenow das „Vorwerk vor dem Schönhauser Tor“. Eine nach Griebenow benannte Straße verläuft noch heute von der Schwedter Straße zur Zionskirche parallel zur Kastanienallee.
Bereits im Mai 1826 fällt in einem schriftlichen Erlass des Königlichen Polizeipräsidiums die Bezeichnung „Prenzlauer Berg“ für die Gegend um die Windmühlen- und Weinberge.
Ab Juli 1828 wird der bisherige Schlamm- und Lehmpfad, der später die Schönhauser Allee darstellt, gepflastert.
Auf dem Gelände des „Prater“, an der Kastanienallee, errichtet man 1837 einen Pferde-Ausspann für Fuhrwerke. Er heißt im Volksmund schon damals „Prater“ … vermutlich nach „pratum“, lateinisch „Wiese“.
Im Jahr 1841 wird auf „Wollanks Weinberg“ am Wein­bergsweg eine eiserne Lanzenspitze aus dem ersten Jahrhundert n.u.Z. gefunden. Dazu noch die Info, dass die heutige Torstraße um 1850 herum noch Wollankstraße hieß.
Johann Friedrich Adolph Kalbo kauft 1852 die ehemalige Fuhrmannsschenke in der Kastanienallee.
Eine neue Baupolizeiordnung tritt für Berlin 1853 in Kraft, nach der Innenhöfe in Mietskasernen mindestens 17 x 17 Fuß, also ca. 5,30 x 5,30 Meter groß zu sein haben, sodass sich mindestens eine von Pferden gezogene Feuerspritze oder -leiter darin problemlos drehen ließ.
Auf „Nickels Hof“, „am Verlorenen Weg“, heute Schwedter Str. 37-40 eröffnet am 31. Oktober 1854 eine evangelische Mädchenherberge.
Am 1. Oktober 1858 eröffnet, in gemieteten Räumen in der Kastanienallee 6, die „15. Berliner Gemeinde­schule“ mit zwei Knaben- und zwei Mädchenklassen ihren Betrieb. Sie ist damit die erste Schule auf dem Gebiet des späteren Prenzlauer Bergs. Die Schule bezieht am 13. Oktober 1864 ein von der Stadt errichtetes Schulhaus in der Kastanienallee 82.
Der Besitzer J.F.A. Kalbo beantragt für sein „Café Chantant“ eine Konzession zur Aufführung von Operetten, Lustspielen und Possen am 21. Januar 1867. Im Volksmund wird die einstige Fuhr­manns­schenke weiterhin nur „Prater“ genannt.
Und mit dieser letzten Information von vor der Reichseinigung von 1871 möchte ich meinen heutigen Text beenden: Am 5. April 1868 wird in der Schwedter Str. 7 die „Post-Expedition 37“ neu eingerichtet.
✒ Rolf Gänsrich (Aug 2013)