Occupy Wall Street! Occupy Bundestag! Occupy Prenzlauer Berg?

Empört Euch, 15M, 15O, aCAMPada, We are the 99%: Viele haben von der neuen Bewegung erst am 15. Okto­ber diesen Jahres gehört. Das war das Datum, an dem sich weltweit tausende Gruppen synchronisierten und einen globalen Ak­ti­ons­tag organisierten: United for global change! (Vereinigt für weltweite Verän­derung). Über 10.000 Menschen betei­- ­­ligten sich in Berlin, 40.000 bundesweit.

Wegbereiter und Vorläufer waren der arabische Frühling mit dem Sturz einiger Diktaturen, die überraschend großen Demonstrationen für ein neues System in Portugal und Spanien, dann 500.000 Israelis, die ihre Unzufriedenheit ausdrückten, und als Katalysator die „occupy Wall Street“-Demonstrationen.

In Berlin bewegt es sich schon sehr viel länger und Menschen aus Prenzlauer Berg sind dabei. Wann wird die erste Assam­blea auf dem Kollwitzplatz stattfinden?

 

Die Berliner Empörten

Im Juni 2011 trafen sich das erste Mal 25 Menschen auf dem Alex, die ein Camp errichten wollten.  Sie sind voller Fragen, empört, enttäuscht von der repräsentativen Demokratie. Sie wollen den öffentlichen Raum erobern, um sich mit den Menschen zu verbinden. Es ist ein Befreiungsschlag aus der isolierten Angst und Resignation. Ihr Vorbild ist die Bewegung 15-M aus Spanien. 

Die Idee der Assamblea

Ab dem 15. Mai hatten die Spanier zu Tausenden die zentralen Plätze ihrer Städte besetzt. Die basisdemokratische Form, die sie dort entwickelten, genannt Assamblea (Versammlung), ist eine ganz besondere: man sitzt auf der Erde, auf gleicher Augenhöhe, jeder kann sprechen, aber spricht nur für sich, nicht für eine Organisation, die Zustimmung, Ablehnung drückt man durch kodifizierte Handzeichen aus. Entscheidungen werden nur im Konsens getroffen. Wenn es keinen Konsens gibt, wird weiter geredet. Dieser Form liegt eine große gegenseitige Wertschätzung zugrunde und ein starkes Bedürfnis nach einer gewaltlosen Politik, in der jeder zählt. In Spanien haben sie so einen kraftvollen demokratischen Prozess in Gang gesetzt, der sich weiter in den Stadtteilen fortsetzte, wo sie nun direkt die Probleme  angehen. Der Prozess ging so weit, daß einige sich zu Fuß auf den Weg nach Brüssel machten, wo sie am 15. Oktober eine große Kundgebung machen wollten. Das war die Geburt von 15-O.

 

Ein Camp auf dem Alex

Im August existierte das Camp eine Woche lang mit permanent 20 bis 100 Leuten, die hier ihre Tage und Nächte verbrachten. In Anbetracht ihrer absoluten Gewaltfreiheit waren sie ungewöhnlich harten polizeilichen Schikanen ausgesetzt, denn es wurde alles verboten, was ein solches Camp ausmacht: Keine Zelte, obwohl das die Symbole der weltweiten Protestbewegung sind, keine Transparente, das Liegen, auch das Sitzen wurde verboten. Das Pavillon war zwar erlaubt, es durften sich darunter bei Regen aber keine Menschen aufhalten. Aber sie hielten durch. Sie bemalten das Pflaster und Regenschirme. Mit wenig Schlaf, der Witterung ausgesetzt, hielten sie täglich Assambleen ab. Sie zogen die Altaktivisten an, involvierten die Passanten in Gespräche über das, was uns im Tiefsten bewegt.  Sie waren unerfahren. Sie rangen darum zu lernen, wie man die Dinge angeht.

 

Die Zeltmärsche

Eine Woche später mussten sie aufgeben, denn weder strömten die Massen herbei, um eine Räumung durch die Polizei zu verhindern, noch war die Versammlungsbehörde einsichtig, welche die Bestimmungshoheit zu haben glaubt, wie ein Protest auszusehen hat.

Camps stehen nicht im Katalog

Doch die aCAMPada Leute waren eher gestärkt als resigniert.  Sie experimentierten mit ihren Möglichkeiten. So enstanden die Zeltmärsche: bunt angemalte Zelte wurden getragen. Boden berühren verboten! In einem heroischen Akt zivilen Ungehorsams setzten sie sich schließlich unter die Weltzeituhr in ihre Zelte. Sie wurden verhaftet, Daniel aus P`berg wurde geschlagen, keiner von ihnen wurde selbst gewalttätig.

 

15-O

Dann kam der 15. Oktober, auf den die aCAMPada Leute hingearbeitet hatten. In Deutschland gingen 40.000 Menschen auf die Straßen. In Berlin waren es über 10.000. Die Organisatoren waren komplett überrascht.

Der Protest sprühte vor kreativer Ener­gie. So gab es ein vorheriges „warm up“ im Mauerpark, um die eigene Kreativität zu beleben. Die hat sich dann auf ganz verschiedene Weise gezeigt, u.a. durch eine Künstlergruppe aus Prenzl`berg, die sich als Sardinenbüchsenarmee verkleidete: „Die Geldmacht presst uns in Dosen“ steht auf den Dosenkostümen der Frauen.

Sicherlich nicht unerheblich  für den Erfolg war, daß die  Medien endlich angefangen hatten, über Occupy Wall Street und den 15. Oktober zu berichten. Sie nannten es „Bankenprotest“ und sahen es als inspiriert von New York. Durch die Beschränktheit der Bericht­erstat­tung waren viele Demonstranten schlecht informiert über den Charakter, den diese Veranstaltung haben würde. Irritiert waren sie über die Assamblea mit ihren seltsamen Handzeichen und der Technik des menschlichen Mikro­phones. Jedoch strahlte das alles eine so spezielle Kraft aus, daß viele Hundert sich bald dazu setzten und mitredeten. Bis tief in die Nacht, bis sie von den Einsatzkräften weggetragen wurden.

 

Zukunft

Die Assamblea auf der Reichstagswiese findet nun täglich statt und es haben sich bereits mehrere Kommissionen gebildet, die rund um die Uhr online weiterarbeiten. Es wird Zeit dauern bis ein Manifest fertig ist, denn der basisdemokratische Prozess ist langwierig. Aber das macht niemandem dort Sorgen. Viel ist geplant, Camps, Märsche, Aktionen, auch Assambleen in die Stadtteile zu bringen. 

Aus anderen Ländern kommen ununterbrochen Neuigkeiten. Die Brüsselmar­schierer haben sich entschlossen, weiter nach Athen zu laufen. Unterwegs wollen sie die Idee der Assamblea in jedes Dorf tragen.

Wenn man vorbeischaut auf der Wiese vor dem Reichstag kann man es deutlich spüren: Das ist der Anfang. 

Wann wird die erste Assamblea in Prenz­lauer Berg auftauchen?

Johanna Krappmannn (Nov 2011)

Assambleas: täglich 15 Uhr vor dem Reichstag

aCAMPada Berlin: www.alex11.org

Occupy together: www.meetup.com/occupytogether