Das Wohnzimmer vom Winskiez

Treff der Generationen im Winskiez: Das "La Boheme".
Treff der Generationen im Winskiez: Das "La Boheme".

Sie schreiben Kiezgeschichte und Kiezgeschichten: Die Menschen und die Orte, an denen sie leben oder arbeiten. Diese Geschichten können so vieles sein: Absurd oder liebenswert, voll Dramatik oder ganz alltäglich. Wie das Leben eben. Eine dieser Kiezgeschichten spielt sich seit zehn Jahren in der Winsstraße ab, im Projekt Intergenerationelle Begegnungen "La Boheme".

 

Der Name ist eine schöne Erfindung und bringt das Konzept auf den Punkt: "Projekt Intergenerationelle Begegnungen". Weil diese schöne Erfindung jedoch auch etwas sperrig klingt und auch nicht so leicht auszusprechen ist, behelfen sich die MacherInnen mit den Initialen: PIB. Manche der Besucher und Besucherinnen sagen auch einfach "La Boheme". So steht es schon seit 20 Jahren über dem Eingang des PIB in der Winsstraße 12. 

Vor 20 Jahren war das "La Boheme" eine Boutique. Jetzt ist es Cafe, Spielzimmer, Theater und Galerie, Treffpunkt von Menschen jeden Alters, aus der Nachbarschaft und darüberhinaus. Der Name ist dem Ort geblieben, die Initiatorin auch. Ursula Kriese gab vor zehn Jahren ihre Boutique auf und gründete gemeinsam mit ihrer einstigen Schulfreundin Waltraud Endrulat das PIB. Der Gedanke lag nahe. Denn ein Ort zum Reinkommen, Bleiben und Treffen war die Boutique auch schon, weit mehr als ein Ort des Verkaufs.  Nun kamen noch Kunst, Kultur und Kaffee und das generationenübergreifende Konzept dazu.

Das Cafe ist auch eine Galerie: Derzeit stellt die Berliner Malerin Bettina Friedrich ihre Bilder "Argentinien und zurück" aus. Fotos (3): al
Das Cafe ist auch eine Galerie: Derzeit stellt die Berliner Malerin Bettina Friedrich ihre Bilder "Argentinien und zurück" aus. Fotos (3): al

"Wir sind eben vor allem ein gemütliches Wohnzimmer", sagt Ursula Kriese, "die Leute fühlen sich hier wohl". Große Worte um das eigene Werk zu machen, das liegt ihr nicht. Das gemütliche Wohnzimmer besteht eigentlich aus zwei Räumen: Im vorderen Raum stehen der Tresen und ein Klavier, Cafe-Tische, tiefe Sessel und ein Sofa. Auf den Tischen Kerzen und kleine Blumensträuße, Bilder an den Wänden. Ein volles Bücherregal, Scheinwerfer. Im hinteren Raum gesellen sich Kinderspielzeug und Kindermöbel zu Sesseln, Tischen und Stehlampen. Ein Wohnzimmer mit Spielbereich. 

Da hinten spielen Kinder. Je länger der Nachmittag dauert, umso mehr Kinder werden es. Daneben sitzen deren Mütter und Großmütter in den tiefen Sesseln, plaudern, trinken Kaffee. Eben hat Ursula Kriese den Kindern in der kleinen Küche Würstchen mit Salat gemacht, jetzt sitzt sie mit dem Terminkalender im vorderen Zimmer. Das nächste Monatsprogramm muss geplant werden – kleine Konzerte, Lesungen, Puppentheater. Eigentlich auch die Geburtstagsfeier. Schon im Februar war das zehnjährige Jubiläum, das Fest selbst soll im April stattfinden. Doch vorher müssen die neuen Mitarbeiter eingearbeitet werden. Es sind Menschen, die in Arbeitsmaßnahmen des Job-Centers beschäftigt sind. Ohne diese MAE-Arbeiter wäre der tägliche Betrieb des "La Boheme" nicht aufrechtzuerhalten, sagt Ursula Kriese. Vier ehemalige Arbeitslose arbeiten derzeit im PIB, vorn im Cafe-Betrieb und hinter den Kulissen. 

Ursula Kriese ist eine gebürtige Prenzlauer Bergerin, die noch heute "um die Ecke" vom "La Boheme" wohnt. Möglicherweise ist es ihr und ihrer Mitstreiterin Waltraud Endrulat deshalb so wichtig, mit dem Cafe einen Ort zu haben, an dem Nachbarschaft ganz unspektakulär praktiziert wird. So will es das Konzept, das die beiden Frauen gemeinsam ausgeklügelt haben und für das sie den Pankower Ehrenamts-Preis erhielten: Das PIB ist ein Ort, an dem Miteinander gelebt wird statt anonymen Großstadt-Nebeneinanders. 

"Wir sind ein gemütliches Wohnzimmer". Ursula Kriese, eine der Initiatorinnen.
"Wir sind ein gemütliches Wohnzimmer". Ursula Kriese, eine der Initiatorinnen.

Ursprünglich sollte das "La Boheme" vor allem ein Cafe für Alleinerziehende mit ihren Kindern sein. Jetzt kommen alle Generationen hierher – Familien, Singles, von Säuglingen bis zu Rentnern, "so, wie sie eben sind", sagt Uschi. Sie kommen teils von weither. Für seine älteren Besucher, die inzwischen nicht mehr im Kiez wohnen, hat das PIB einen Shuttle zu den Veranstaltungen eingerichtet. 

Die Nachbarn und ehemaligen Nachbarn kommen auf einen Kaffee, einen Plausch oder zum Spielen. Sie kommen zu den regelmäßigen Kursen – dem Chor, den Handarbeiten und zum Gedächtnistraining. Sie veranstalten Flohmärkte und Spielenachmittage. Selbsthilfegruppen und Vereine können die Räume ebenso für Versammlungen mieten, auch Geburtstagsparties fanden im Cafe schon statt.  

Das "La Boheme" ist auch ein Ort, den Berliner Künstler gern nutzen, um ihre Programme vorzustellen: Lesungen und Konzerte gibt es, regelmäßige Ausstellungen und Theater für Kinder. Die Künstler verzichten auf üppige Gagen, die der Treff ihnen ohnehin nicht zahlen könnte. Sie nutzen ihre öffentlichen Auftritte als Proben oder weil sie das kulturelle Generationen-Projekt unterstützen wollen. Prominente und noch unentdeckte Schauspieler und Musiker treten hier auf. Insofern ist der alte Boutique-Name "La Boheme" auch auf diese Weise noch ein Stück Programm. 

Getragen wird der kulturelle Nachbarschaftstreff von einem Verein, dem Freundeskreis "Tina Modotti". Er finanziert sich über Einnahmen und Spenden, Förderung der öffentlichen Hand gibt es nicht. Nach ihren Wünschen zum zehnjährigen Jubiläum befragt, sagt Ursula Kriese denn auch, dass eine Förderung schön wäre, "damit die Geldsorgen mal aufhören". 

Die Beliebtheit des Cafes hört nicht auf. Ganz im Gegenteil. Immer mehr Menschen kommen auf einen Kaffee herein und bleiben länger. Das liegt an der Mund-zu-Mund-Propaganda der Besucher und Stammgäste. Es liegt auch an Knut Elstermann. Seitdem der Journalist in seinem Buch "Meine Winsstraße" über das "La Boheme" schrieb, hat die Zahl der Neugierigen zugenommen. Es sind vor allem Menschen, die erst seit kurzem im Kiez wohnen. Ursula Kriese: "Sie kommen rein und sagen: Früher sind wir vorbeigelaufen und haben uns nicht reingetraut."

-al- (März 2014)

Projekt Intergenerationelle Begegnungen "La Boheme", Winsstraße 12, geöffnet Montag bis Freitag von 11 bis 19 Uhr und zu Veranstaltungen. Mehr Infos auf: www.pib-berlin.de