Dorfkneipen auf der Demarkationslinie

„Die kleine Kneipe in unserer Straße ...“ (c)Christian Robbe
„Die kleine Kneipe in unserer Straße ...“ (c)Christian Robbe

Der Ur-Berliner w o h n t in der Weltstadt Berlin; sein Leben aber spielt sich in seinem „Kiez“ mit unsichtbaren Demarka­ti­ons­linien ab: „Mein Kiez kommt mir man­chmal schon fast dörflich vor ...“ so die in den Prenzlberg gezogene Schau­spie­lerin und ­Neu-Berli­nerin Heike Ma­katsch (DB–Magazin „mobil“ 11-2011).

 

Die Greifswalder Straße im Süden, die Danziger Straße im Osten und die Prenzlauer Allee im Nor­den umschließen den Winskiez; es geht das Gerücht, dass es Bewohner gibt, die diese Grenzlinien noch nie in ihrem Leben überschritten haben (... so, wie es Menschen im „alten“ West – Berlin geben soll, die noch nie im „Osten“ waren – und umgekehrt! ...).

Diese letzte Folge „Menschen und Knei­pen im Winskiez“ widmet sich dem zugehörigen Stück der Prenzlauer Allee beginnend beim „Café Übereck“ – äußerlich unscheinbar an der Ecke zur Christ­burger Straße, im Inneren den Charme der 1990er Jahre widerspiegelnd mit langer Theke, schummriger Beleuch­tung und einem umfangreichen Zei­tungs­­angebot.

Peter Alexander (1926–2011), Schlager­sänger und Entertainer hat mit einem kleinen Lied (mit dem romantischen Text von Michael Kunze) allen Kneipen dieser Welt ein idyllisch-musikalisches Denkmal gesetzt: 

„Die kleine Kneipe in unserer Straße

da, wo das Leben noch lebenswert ist,

dort in der Kneipe in unserer Straße 

da fragt dich keiner 

was du hast oder bist ...“

Cihan-Bistro und „Bei Bine“ (c)Christian Robbe
Cihan-Bistro und „Bei Bine“ (c)Christian Robbe

Der „Prenzlauer Krug“ war bis 2003 so ein gemütliches Stück Alt-Berlin – familiär geführt vom Wirtsehepaar Marianne und Hagen R. – frisches Bier vom Fass, kleine Speisen wie das legendäre „Würz­fleisch“ und anregende Gespräche über Gott und die Welt – die anheimelnde Atmosphäre zwischen real existierender Vergangenheit und der rauen neuen Wirk­lichkeit zog Alleinstehende, Paare und Familien an. Vorher betrieben die Wirtsleute eine Gaststätte, die mit dem Lied „Heute bin ich allein“ von Reinhard Lakomy (Text: Fred Gertz) kiezübergreifend bekannt war:

„Abends geh`n wir alle in die „Böse–Buben Bar“. Und dann bestell`n wir uns ein riesengroßes Fass. Da war ich das letzte Mal vor einem Jahr. Steht denn das Billard noch? Darauf war ich ein As.“

Eine Invasion von Imbiss – Buden setzte unmittelbar nach der Einheit ein und brachte den Döner in den Ostteil der Stadt, aber auch die hier immer schon heiß geliebten Broiler. Das heutige „Cihan-Bistro“ zwischen Marienburger Straße und ­Immanuelkirchstraße etablierte sich bald zur Speisekammer des Kiezes – zu jeder Tag- und Nachtzeit.

Direkt daneben ist man „Bei Bine“, eine der letzten Kneipen im Winsviertel. Viele Jahre prägte die Namensgeberin mit ihrem freundlichen aber auch resoluten Wesen die Gastwirtschaft mit eigener Dart-Mannschaft, Durchführung von Familienfeiern und Festen zu jedem sich bietendem Anlass. Kiezoriginale vor und hinter der Theke machten das besondere Flair aus – doch Bines fröhliches Lachen fehlt ...

Im Internet bei „Qype“ unter „lightwolf“ gefunden: „Die S.O.S.-Bodega heißt seit ... 2009 nur noch Bodega. Ansonsten ist alles geblieben inklusive ­den Gästen, Fußballfans und der Großleinwand.“

Die letzte Schenke auf der Allee ist das „Café Prenzlau“ – halb Kneipe, halb Restaurant und eher kein Café. Es wirkt wie in die Jahre gekommen, aus der Zeit gefallen ...

Am Ende der Serie steht ein Liedtext des Liedermachers Ulrik Remy aus den 1970er-Jahren:

„es ist stets dieselbe kneipe, 

es ist stets das gleiche bier,

du triffst stets dieselben leute, 

denn du wohnst schon beinah hier;

und der wirt macht dir ´nen deckel,

wenn du knapp bei kasse bist ...

... und so drehst du dich im kreise, 

andere drehen sich mir dir

um die kneipe um die mädchen, 

und nicht zuletzt ums bier –

manchmal fühlst du dich zuhause,

manchmal fühlst du dich allein,

doch du tröstest dich: ­woanders 

wird es auch nicht anders sein,

und dann am nächsten tag 

fällt´s dir ganz allmählich wieder ein,

und du denkst: mensch, muss ich gestern wieder voll gewesen sein!“


Christian Robbe (Dez 2011)