MOBBING

„Es geht um Machterhalt“

Wer anders als die anderen ist, fällt auf. Stimmt das Umfeld, können die Mitmenschen jene, die anders sind, wertschätzen. Stimmt es nicht, dann wird gemobbt. Auch im toleranten, weltoffenen, schillernd-anderen Prenzlauer Berg. Über Mobbing, Ursachen und Folgen – ein Gespräch mit Monika Hirsch-Sprätz, Dipl. Sozialpädagogin, Supervisorin, Mediatorin und Leiterin der Mobbingberatung Berlin-Brandenburg.

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Achtung Schule! In Bildungseinrichtungen und sozialen Branchen kommt Mobbing besonders häufig vor.

An dieser Stelle sollte ursprünglich eine andere Geschichte stehen. Die Geschichte eines wunderbaren Engagements und eines tollen Projektes, das Mut macht, befreit und beispielgebend sein kann. Die Geschichte eines Modells von demokratischem, lebendigem Lernen an einer Schule.
Diese Geschichte erscheint hier nicht. Denn die Macher dieses Projektes haben Angst, dass sie nach der Veröffentlichung wieder unter Druck gesetzt werden. Das geschah ihnen schon einmal, wochenlang sahen sie sich tribunalartigen Sitzungen, Drohungen und Verbotsversuchen ausgesetzt, denen sie nur schwer standhalten konnten. Das Mobbing hat Wunden bei ihnen zurückgelassen.

Da machen Menschen etwas Gutes und werden dafür nicht anerkannt und gelobt, sie werden unter Druck gesetzt. Frau Hirsch-Sprätz, wo beginnt Mobbing?
Das wird individuell unterschiedlich erlebt und hängt natürlich viel von den jeweiligen Personen und ihrer Geschichte ab. Beim einen ist es ständiges Hänseln, Zynismus und Spott - beim anderen fängt Mobbing erst mit der gezielten Ausgrenzung an. Sie kommen in einen Raum und alle lachen oder das Thema wird gewechselt. Betroffene werden von Informationen ausgeschlossen und haben das Gefühl, immer irgendwie nicht erwünscht zu sein. Andere merken es am gesundheitlichen Schaden, psychisch wie körperlich.
Viele Mobbingopfer passen sich an. Sie hoffen, durch verstärkte Leistung oder Anpassung an die Person oder Situation die Lage positiv zu verändern. Das ist jedoch eine Einladung für die Täter, weiterzumachen. Oft wird dann noch offener agiert. Das ist besonders schlimm.

Unser Mobbing-Fall stammt aus einer Schule. Sind Schulen besonders anfällig für Mobbing-Situationen?
Ja. Die Bildungs-, Sozial- und Gesundheitsbereiche sind die Haupt-Mobbingbereiche, überall da, wo es starke Abhängigkeitsstrukturen gibt. Auch Hochschulen sind Nährboden für Mobbing.

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Der erste Schritt für Mobbing-Betroffene: Raus aus der konfliktbeladenen Situation. Fotos (2): al

Warum gerade diese Bereiche?
Es gibt wenig klare Strukturen, die Kommunikationswege sind unklar. Man ist schnell beim Du, lebt aber dennoch in Hierarchieebenen. Aber es muss klar sein: Was ist eine Anweisung von Vorgesetzten und was ist mein kreativer Freiraum? Dann gibt es auch informelle Machtstrukturen, wie z.B. in Kliniken, wo beispielsweise Ärzte vor der Oberschwester Angst haben, die mehr Macht besitzt als sie, obwohl sie in der Hierarchie unter ihnen steht.
Eines der wichtigsten Kriterien von Mobbing: Führungskräfte nehmen ihre Führungsfunktionen nicht wahr oder besitzen keine Führungsqualifikation oder -verantwortung. Manche missbrauchen auch einfach nur ihre Machtposition, statt sie positiv einzusetzen.
 
Was ist speziell am Mobbing in Schulen?
Wenn von Mobbing im Schulbereich gesprochen wird, liegt der Fokus meist mehr auf Schülern als auf Erwachsenen. Das Mobbing von und durch Lehrer und Lehrerinnen oder zwischen Kollegen und Kolleginnen wird eher nicht thematisiert. Es existieren Ängste vor Gesichtsverlust. Da ist auch der Spielraum sich zu wehren begrenzt. Man ist schnell am Ende der Fahnenstange mit seinen Möglichkeiten, wenn weder Kollegen noch Schulleitung hinter einem stehen. Die Angst von Schulleitungen, der Ruf der Schule könnte leiden, ist groß. Da können finanzielle Zuwendungen, Renommée oder erhaltene Auszeichnungen auf dem Spiel stehen, Forderungen von Eltern nach Aufklärung eine Rolle spielen.

Gibt es typische Mobbing-Opfer?
Es gibt weder das typische Opfer noch den typischen Täter. Jedoch gibt es bestimmte klar definierte Verhaltensweisen auf beiden Seiten: Menschen, die lange schlucken und eher schüchtern sind, sind eine Einladung für Menschen, die ihr Mütchen kühlen wollen. Es trifft oft auch die, die anders sind, die nicht ins Denksystem passen: Kreative – wie in Ihrem geschilderten Fall –  viele Hochbegabte. Das kommt vor allem in starren Systemen vor, in denen ein Blick dafür, was diese Person Positives bewirkt, gar nicht vorhanden ist. Da geht es rein um Macht oder Angst vor Machtverlust.

Hört Mobbing von selbst auf oder wie lässt es sich stoppen?
Mobbing hört nie von selbst auf. Es geht ja nicht um konstruktive Lösungen, es geht um Zerstörung, Ausschluss, um Gewinner-Verlierer-Situationen.
Man muss als Betroffener ein Stopp setzen, aus der Situation rausgehen, sich jemanden an die Seite holen. Es geht vor allem um die eigene Gesundheit und weitere Lebensperspektive. Bei vielen Mobbing-Opfern ist beides in Gefahr.

…auch die Gesundheit?
Ja. Die Hirnforschung fand heraus, dass Mobbingattacken massiven Einfluss auf die Produktion von Nervenzellen im Hippocampus, einem Bestandteil des Gehirns, nehmen. Diese werden immer weniger, bis sich die Produktion ganz einstellt. Die Bildung von Nervenzellen ist wichtig für Motivation, Glück, Leistungsfähigkeit, Kreativität. Findet dieser Prozess nicht mehr statt, kommt es zu Lebensunlust, Leistungsabfall, Pessimismus, Depressionen bis hin zu Suizidgedanken. Fatal für Kinder und Jugendliche, deren Gehirn noch in der Entwicklung ist. Mobbing ist, genau betrachtet, Körperverletzung! Nur leider erkennen das weder unser Staat noch die Medizin offiziell an.

Der uns bekannte Fall findet in Prenzlauer Berg statt. Gibt es Unterschiede zwischen Mobbing in West und Ost?
Gemobbt wird überall, aber es gibt Unterschiede. Mobbing im Osten ist oft subtiler, unsichtbarer, es existieren viele alte Seilschaften, auch mit Stasi-Hintergrund, wo noch immer mit Methoden der Stasizersetzungsordnung agiert wird. Auch im Westen gibt es Seilschaften. Die entstehen aber eher auf gesellschaftlichen Events. Es wird auch mit Tribunal-Situationen und Druck gearbeitet, aber das geschieht direkter. Auf beiden Seiten gibt es zudem eine Menge unqualifizierter Führungs- und Leitungskräfte, die Mobbing begünstigen, zulassen oder anweisen. Aber auch im Nachbarschafts- und Mietbereich haben die Fälle stark zugenommen.

Was raten Sie Menschen, die von Mobbing betroffen sind?
Sie sollten dokumentieren, was sie erlebt haben. Eine Dokumentation der Konfliktsituationen und der Gespräche, mit Datum, kurzen Situationsbeschreibungen, Handlungen, beteiligten Personen und gesundheitlichen und beruflichen Auswirkungen. Man sollte nicht allein in bestimmte Gespräche gehen und sich jemanden mitnehmen, eine Person des Vertrauens.
Es gibt eine Liste der „100 Mobbinghandlungen von Wolmerath & Esser“, die findet man auch im Internet. Da kann das eigene Erleben mit den Handlungen abgeglichen werden. Betroffene sollten sich fragen: Was hat das Mobbing bereits an Auswirkungen für mich auf psychischer, körperlicher und beruflicher Ebene?
Dann sollten Betroffene eine Mobbingberatung aufsuchen. Wir in der Beratungsstelle erstellen eine Analyse und helfen bei den weiteren Schritten oder der Dokumentation: Was ist in der Vergangenheit passiert, was ist die jetzige Situation, was können Betroffene selbst tun und wie können wir sie unterstützen? Wir begleiten die Person entlang ihres möglichen Zieles, hin zu neuen Perspektiven. Das sind oft längere Prozesse.

Das Gespräch führte Katharina Fial (Juni 2015)


Hier gibt’s Hilfe
Die Mobbingberatung Berlin-Brandenburg ist ein unabhängiges interdisziplinäres Experten-Netzwerk für Konfliktsituationen und Mobbingfälle. Sie unterstützt präventiv, berät in Konflikt- und Mobbingsituationen, schult und moderiert Klärungsprozesse.
Beratung für Mobbing-Betroffene findet persönlich, telefonisch oder online statt.
Mehr Infos unter: www.mobbingberatung-bb.de, Tel. 030/86 39 15 72.